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2. Die Entwickelung des kirchlichen Rechts1.

Wenigstens mit einigen Worten sei des Aufschwungs gedacht, den das kirchliche Recht in unserer Periode genommen hat und der nicht ohne Folgen für die Auffassung des Dogmas und für die Dogmengeschichte geworden ist.

Erstlich ist es von Wichtigkeit, dass seit der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts das kirchliche Recht mehr und mehr auf pseudoisidorischer Grundlage aufgebaut wurde. Zweitens ist die vorwiegende Beschäftigung mit dem Recht überhaupt und die zunehmende Unterstellung aller kirchlichen Fragen unter Rechtsbegriffe charakteristisch. Was das Erste betrifft, so ist es bekannt, dass die Päpste immer mehr in die Verwaltung der Diöcesen eingegriffen haben, dass die alte Metropolitanverfassung ihre Bedeutung verlor, und dass die alten Verfassungszustände überhaupt in der ersten Hälfte unserer Periode verkümmerten und aufhörten. Zwar erstarkte vielfach die bischöfliche Gewalt zu einer landesherrlichen, und andererseits brachten die Kaiser von Otto I. bis Heinrich III. das versunkene Papstthum zeitweilig in die Abhängigkeit von der Kaiserkrone, nachdem sie es reformirt. Allein da auch sie jeden Antheil solcher Laien, die nicht Fürsten waren, an der Leitung kirchlicher Angelegenheiten aufhoben und die Selbständigkeit der localen Kirchenkörper (der Gemeinden) im kaiserlichen und im „frommen" Interesse unterdrückten, so blieben nur der Kaiser (der sich rector ecclesiae und vicarius Christi nannte), der Papst und die Bischöfe als selbständige Gewalten übrig. Um den Besitz der Letzteren und um die Frage, wer der wahrhafte Rector des Gottesstaates und Statthalter Christi sei, drehte sich im Grunde der grosse Streit zwischen dem Kaiserthum und dem reformirten Papstthum. In diesem Kampf entwickelte sich dieses, dem Impulse Gregor's VII. folgend, zu der autokratischen Macht in der Kirche und bildete demgemäss, nachdem es sich selbst in Rom von den letzten Resten älterer Verfassungszustände befreit hatte, auch seine Gesetzgebung durch zahllose Decretalien aus. Auf den ökumenischen“ Lateransynoden von 1123 und 1139 hat das Papstthum über diese neue Stellung, die es zu behaupten willens war, keinen Zweifel ge

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1 Die älteste Zeit bei Maassen, Gesch. der Quellen und Litt. des kanonischen Rechts I. Bd. (bis Pseudoisidor) 1870. Die spätere Zeit bei v. Schulte, Gesch, der Quellen und Lit. des kanonischen Rechts von Gratian bis auf Gregor IX. 1875. S. die Einleitungen zur Ausgabe des corp. iur. can. von Friedberg.

* Nicolaus I., Leo IX., Alexander II., Alexander III. sind die Stufen zu Innocenz III. Aber Gregor VII. ist die Seele der grossen Bewegung im 11. Jahrhundert gewesen.

lassen 1. Die Päpste bis zu Innocenz III. haben dann unter schweren, aber siegreichen Kämpfen die autokratische Stellung in der Kirche vertheidigt und befestigt. Zwar haben sie manches besorgte Wort von ihren treuesten Söhnen hören müssen; allein der Aufstieg des Papstthums zur Tyrannis in der Kirche und damit zur Weltherrschaft ist von der Frömmigkeit und allen idealen Mächten des Zeitalters befördert worden. Nicht wider den Geist der Zeit wie wäre das auch möglich gewesen! sondern mit ihm im Bunde hat das Papstthum den Thron der Weltgeschichte im 11. und 12. Jahrhundert bestiegen. Seine Gegner waren, soweit sie Religion besassen, seine geheimen Bundesgenossen oder kämpften mit unsicherem Gewissen oder vermochten doch nicht die Güter, für welche sie stritten, als die höchsten und heiligsten zu erweisen. Unter solchen Umständen erhielten die päpstlichen Decretalien ein immer grösseres Ansehen2.

1 Die Zählung der ökumenischen Concilien, wie sie jetzt sententia communis unter den curialistischen Theologen geworden ist, stammt erst von Bellarmin (s. Döllinger und Reusch, Die Selbstbiographie des Cardinals Bellarmin. 1887 S. 226 ff.). Noch im 16. Jahrhundert herrschten die grössten Verschiedenheiten in der Zählung; ja die Mehrzahl sah in den ohne Betheiligung der griechischen Kirche gehaltenen Concilien überhaupt keine ökumenischen. Ebenso war Streit, ob das Basler, Florentiner (und Constanzer) Concil mitzuzählen seien. Erst Bellarmin in der römischen Ausgabe der Concilia generalia von 1608 f. hat die Lateranconcilien von 1123 und 1139 aufgenommen (und das Basler weggelassen). „Die Frage war zwar für ihn insofern von untergeordneter Bedeutung, als er die Beschlüsse der unter dem Vorsitz des Papstes gehaltenen oder von ihm bestätigten Particularconcilien denen der allgemeinen gleichstellt; aber mit Rücksicht auf diejenigen, welche nicht den Papst, sondern das allgemeine Concil für unfehlbar hielten, musste er doch die Frage erörtern, welche Concilien als allgemeine anzusehen seien." Er liess sich aber natürlich bei dieser Bestimmung von seinem streng curialistischen Standpunkt leiten, d. h. er beseitigte das Constanzer und Basler Concil, und stellte das Florenzer, das 4. und 5. Lateranconcil, das 1. Lyoner und das von Vienne unter die ökumenischen, weil sie dem Papstthum günstig waren. So ist die Anzahl von 18 approbirten allgemeinen Concilien bei ihm zu Stande gekommen (8 aus dem ersten Jahrtausend, die Lateranconcilien von 1123. 1139. 1179. 1215, die von Lyon 1245 und 1274, das Vienner 1311, das Florenzer, das 5. Lateranconcil und das von Trident). Aber auch hier, wie überall in der katholischen Dogmatik, giebt es „halbe“ Instanzen und halbwerthige Münzen trotz des hl. Geistes, der in alle Wahrheit leitet. "Theils bestätigt, theils verworfen" sind nämlich mehrere Concilien, unter ihnen das Constanzer und Basler, und „weder augenscheinlich bestätigt noch augenscheinlich verworfen“ ist das Concil von Pisa 1409. Seit dem Jahre 1870 hat die Frage nach der Zahl der ökumenischen Concilien bei den Katholiken vollends jedes wirkliche Interesse verloren. Aber der reactionäre Protestantismus hat allen Grund, sich für dieselbe zu interessiren.

* Ueber die Entwickelung des Primats im 11. und 12. Jahrhundert vgl. Döllinger, Janus S. 107 ff. (Schwane, Dogmengesch. des Mittelalters S. 530 ff.). Wie viel mächtiger war die gregorianische Partei im 11. Jahrhundert als die

Sie traten neben die alten Kanones 1, ja selbst neben die Beschlüsse ökumenischer Concilien. Jedoch blieb streng genommen das Mass des Ansehens noch ganz unsicher, und dogmatische Fragen sind vor Innocenz III. nicht oder nur ganz selten in ihnen behandelt worden, wie denn überhaupt die Päpste der anderthalb Jahrhunderte von der Synode von Sutri bis 1198 mit der Durchführung der römischen autokratischen und mönchischen Kirchenordnung vollauf beschäftigt gewesen sind 2.

Niemals hätte das Papstthum, indem es sich als jurisdictionelle Oberinstanz entwickelte, in der Kirche, die doch Glaubensund Kultus gemeinschaft ist, die monarchische Leitung in Bezug auf

pseudoisidorische im 9., und wie viel revolutionärer und zielbewusster war Gregor VII. als Nicolaus I.! „Er ist der Einzige, der mit vollem klaren Bewusstsein einen neuen Zustand der Kirche mit neuen Mitteln herbeizuführen entschlossen war. Er hat sich nicht bloss als den Reformator der Kirche, sondern als den gottberufenen Begründer einer früher nie dagewesenen Ordnung der Dinge betrachtet." Seine Hauptmittel waren vom Papst selbst gehaltene Synoden (damit hat Leo IX. begonnen) und neue kirchliche Gesetzbücher. Der Neffe des Papstes Alexander II., Anselm von Lucca, wurde der Begründer des neuen gregorianischen Kirchenrechts, und zwar theils durch zweckmässige Verwerthung Pseudoisidor's, theils durch eine neue Reihe von Fictionen (z. B.: der Episkopat habe überall von Petrus seinen Ausgang genommen) und Fälschungen. Ihm folgte Deusdedit, Bonizo und Gregor von Pavia. Deusdedit formulirte das neue Princip, dass Widersprüche in der kirchenrechtlichen Ueberlieferung stets so zu schlichten seien, dass nicht die ältere, sondern die grössere Autorität die entgegenstehende schlage, d. h. der Ausspruch des Papstes. Damit war die Autokratie der Päpste aufgerichtet. Ueber die Kette neuer Fictionen und Fälschungen der alten Ueberlieferung s. Janus S. 112 ff. Besonders wichtig ist, wie man der Geschichte Zeugnisse ablockte, um die Untrüglichkeit päpstlicher Decretalien zu beweisen, und für diese neue Lehre selbst Augustin zum Gewährsmann stempelte (S. 119 ff.). Man brachte es fertig, einen Satz von ihm so zu drehen, dass er den Sinn bekam, die päpstlichen Briefe stünden den kanonischen Schriften gleich. Seitdem haben sich die Vertheidiger der Unfehlbarkeit des Papstes, die schon Gregor VII. deutlich in Anspruch genommen, ja als Concessum behandelt hat (S. 124 f.), stets auf Augustin berufen. Gregor VII. hat sogar nach älterem Vorgang eine volle persönliche Heiligkeit für die Päpste denn sie haben Alles was Petrus hat in Anspruch genommen, und

die Gregorianer haben mit der Unfehlbarkeit die Heiligkeit des Papstes so kühn gelehrt (Anrechnung des Verdienstes Petri), dass Steigerungen nicht mehr möglich

waren.

1 Alexander II. hat an König Philipp von Frankreich geschrieben, er möge die päpstlichen Decrete den Kanones gleichachten; s. Jaffé, Regesta 2. edit. Nr. 4525.

* Die Lateransynoden von 1123. 1139. 1179 enthalten (den 27. Kanon des Concils von 1179 ausgenommen, der die Ausrottung der Katharer betreibt, aber von ihren Lehrern nichts sagt) schlechterdings nichts Dogmatisches; s. Mansi XXI. XXII, Hefele V2 S. 378 ff. 438 ff. 710 ff,

Glaube und Sitten erlangen können, wäre nicht in unserer Periode die Verquickung von Dogma und Recht perfect geworden. Nicht die Päpste haben sie herbeigeführt sie verwertheten nur eine Anschauungsweise, die überall herrschte und der sich kaum ein Einziger entzog. Wir haben in unserer Darstellung vom Anfang dieses Bandes an darauf hingewiesen, dass die rechtliche Betrachtung der Religion ein altes Erbtheil der lateinischen Kirche gewesen ist: die Religion ist lex dei, lex Christi. Diese Betrachtung hat zwar durch den Augustinismus principiell eine tiefgreifende Correctur erfahren; aber Augustin selbst hat in vielem wichtigen Detail die rechtlichen Schemata bestehen lassen. Dann trat die abendländische Kirche ihre Weltmission bei den fremden, heidnischen und arianischen, Völkern an. Ihnen gegenüber war sie nicht bloss Kultusanstalt, sondern das römischchristliche Kultur- und Rechtssystem. Nicht nur als Gemeinschaft des Glaubens wollte und durfte sie sich behaupten, vielmehr konnte sie sich überhaupt nur behaupten, indem sie ihre gesammte Ausstattung und alle ihre Grundsätze, die zum Theil höchst profaner Herkunft waren, unter den Schutz des göttlichen Gesetzes stellte. So haben die germanischen und die romanischen Völker alle Rechtsordnungen der Kirche als Glaubensordnungen kennen gelernt und umgekehrt. Bonifatius und Karl der Grosse sorgten dann dafür, dass sie sich fügten. Das muss" in den Sätzen: „Wer selig werden will, muss Folgendes glauben“ und „der Christ muss den Zehnten bezahlen“, „der Ehebruch muss mit dieser bestimmten Strafe gesühnt werden" u. s. w. wurde identisch. Wie lebhaft die Ausbildung, resp. Codificirung des kirchlichen Rechts seit der Sammlung des Dionysius Exiguus bis zu Pseudoisidor betrieben worden ist, zeigen die zahlreichen Sammlungen, die überall auch in Rom noch aus dem reichen Synodalleben der Provinzialkirchen hervorgegangen sind und die Selbständigkeit, die Rechte, sowie das eigenthümliche Leben der Kirche in der neuen Welt der germanischen Bildungen sicherstellen wollten. Ueberall (vor dem 9. Jahrhundert) tritt das Dogmatische ganz zurück; aber eben desshalb gewöhnte man sich daran, alle Aussagen der Kirche als Rechtsordnungen zu empfinden. Die cluniacensisch-gregorianische Reform des 11. Jahrhunderts brachte unzählige Verfassungs- und Rechtsordnungen der Ueberlieferung zum Absterben und schuf dafür neue, in denen sich in steigendem Masse die Selbständigkeit der Kirche gegenüber dem Staate ausdrückte. In Folge dessen entwickelte sich im 11. Jahrhundert eine grossartige Gesetzgebung, die in Gratian's Sammlung insofern einen verspäteten, von den Thatsachen überholten Abschluss fand, als sie hier noch nicht

durchweg von dem Gedanken der Concentration der Kirchengewalt in der Hand des Papstes bestimmt ist. Aber diese Sammlung und einige ältere, die ihr vorangegangen sind, zeigen ausser der Aufnahme der gregorianischen Lehren auch desshalb eine ganz neue Wendung, weil sie aus dem Rechtsstudium hervorgegangen sind. Auch hier ist Gregor VII. epochemachend. Er ist der grosse Jurist auf dem päpstlichen Stuhl gewesen, und von seiner Zeit an beginnt die juristisch-wissenschaftliche Behandlung aller Functionen der Kirche die höchste Aufgabe zu werden. Das Studium des Rechts, in Bologna vor Allem betrieben, übte einen unermesslichen Einfluss auf die denkende Betrachtung der Kirche in der ganzen Breite ihrer Existenz aus; ja an dem Rechtsstudium bildete sich das Denken überhaupt.

Was sich früher aus zwingenden Verhältnissen heraus entwickelt hatte, die Kirche als Rechtsinstitut, wurde nun durch den Gedanken befestigt und ausgebaut 3. Das juristische Denken nahm Alles in Beschlag. Doch auch hier hat die Noth gewaltet. Denn was vermögen die, welche noch in einer Welt der Abstractionen leben und blind sind für die Natur und Geschichte, zunächst anders zu werden als Juristen und Dialektiker, wenn der Trieb des Nachdenkens einmal erwacht ist? So lagerte sich der nun bewusst gewordene Geist der Jurisprudenz über die ganze Kirche, auch über ihren Glauben. Alles wird von demselben mit Beschlag belegt. Er ist eine starke Kraft in dem, was man „Scholastik" nennt, er leitet die gewaltigsten Päpste (Alexander III. als magister Rolandus), und er beginnt die Darlegung der überlieferten Dogmen in sein Netz zu ziehen. Allerdings hatte er dabei leichtes Spiel; denn in ihren praktischen Spitzen waren diese Dogmen bereits völlig in ein Rechtsverfahren als Rechtsmittel hineingezogen. Was noch übrig blieb, war, auch die centralen Glaubenslehren selbst einer juristischen Exposition zu unterziehen und sie damit, wissen

'S. v. Schulte, Lehrbuch des kathol. und evang. Kirchenrechts, 4. Aufl. S. 20. 2 'S. Denifle, Die Univ. des Mittelalters I. 1885. Kaufmann, Gesch. der deutschen Univers. I S. 157 ff.

3 S. v. Schulte, Gesch. der Quellen u. s. w. I S. 92 ff. II S. 512 f. Indem Gregor VII. noch energischer als irgend einer seiner Vorgänger die Kirche als das auf Petrus gegründete Reich fasste und Alles auf die ihr verliehene Gewalt zurückführte, war damit der Rechtsorganismus in den Vordergrund gerückt; s. Kahl, Die Verschiedenheit kathol. und evang. Anschauung über das Verhältniss von Staat und Kirche (1886) S. 6 f.: „Die katholische Kirche charakterisirt sich schon nach der Lehre von ihrer Begründung und nach ihrem Begriffe als Rechtsorganismus." Die vollständigsten und zuverlässigsten geschichtlichen Nachweise bei Hinschius, Kath. Kirchenrecht.

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