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Doch war das ganze Unternehmen der combinatorischen Zusammenstellung selbst neu (wesshalb der Lombarde vielfach misstrauisch als Abälardianer betrachtet wurde)1. Erst im 13. Jahrhundert traten die neuen dogmatischen Impulse des 11. und 12. Jahrhunderts materiell, wenn auch nicht formell, gleichberechtigt neben die Fülle der überlieferten patristischen Sätze. Durch diese, die sich theils in einer weitschichtigen exegetischen Tradition, theils in theologischen, in ihrem ursprünglichen Zusammenhang nicht mehr verstandenen Sätzen darstellen, ist der Kleinigkeitsgeist der mittelalterlichen Theologie befördert worden, der sich wunderbar mit ihrer Energie und mit ihrem

Dies nicht ohne Grund; denn abgesehen von der objectiven Erlösung, die in der Befreiung von den Banden des Teufels besteht (doch wird auch dies subjectiv gewendet, s. Sentent. III Dist. 19 A: „si ergo recte fidei intuitu in illum respicimus qui pro nobis pependit in ligno, a vinculis diaboli solvimur, i. e. a peccatis, et ita a diabolo liberamur, ut nec post hanc vitam in nobis inveniat quod puniat. Morte quippe sua, uno verissimo sacrificio, quidquid culparum erat, unde nos diabolus ad luenda supplicia detinebat, Christus exstinxit, ut in hac vita tentando nobis non praevaleat“), kennt der Lombarde nur eine subjective; l. c. „quo modo a peccatis per Christi mortem soluti sumus? Quia per eius mortem, ut ait apostolus, commendatur nobis caritas dei, i. e. apparet eximia et commendabilis caritas dei erga nos in hoc, quod filium suum tradidit in mortem pro nobis peccatoribus. Exhibita autem tantae erga nos dilectionis arrha, et nos movemur accendimurque ad diligendum deum, qui pro nobis tanta fecit, et per hoc iustificamur, i.e. soluti a peccatis iusti efficimur. Mors ergo Christi nos iustificat, dum per eam caritas excitatur in cordibus nostris". Doch daneben findet sich auch die andere Wendung: „dicimur quoque et aliter per mortem Christi iustificati, quia per fidem mortis eius a peccatis mundamur." Aber dieser Gedanke wird nicht weiter verfolgt; dagegen heisst es wiederum Dist. 19 F: „reconciliati sumus deo, ut ait apostolus, per mortem Christi. Quod non sic intelligendum est quasi nos sic reconciliaverit Christus, ut inciperet amare quos oderat, sicut reconciliatur inimicus inimico, ut deinde sint amici qui ante se oderant, sed iam nos diligenti deo reconciliati sumus; non enim ex quo ei reconciliati sumus per sanguinem filii nos coepit diligere, sed ante mundum, priusquam nos aliquid essemus. Quomodo ergo nos diligenti deo sumus reconciliati? Propter peccatum cum eo habebamus inimicitias, qui habebat erga nos caritatem, etiam cum inimicitias exercebamus adversus eum, operando iniquitatem. Ita ergo inimici eramus deo, sicut iustitiae sunt inimica peccata, et ideo dimissis peccatis tales inimicitiae finiuntur, et reconciliamur iusto quos ipse iustificat. Christus ergo dicitur mediator, eo quod medius inter deum et homines ipsos reconciliat deo." Nun aber setzt wieder ein anderer Gedanke ein, wenn der Lombarde unmittelbar darauf fortfährt: „reconciliat autem, dum offendicula hominum tollit ab oculis dei, id est dum peccata delet quibus deus offendebatur et nos inimici eius eramus.“ Der durchschlagende Gedanke der Erregung der Gegenliebe, den der Lombarde von Abälard übernommen hat, findet sich schon bei Augustin; s. z. B. de catech. rud. 4: „nulla est maior ad amorem invitatio, quam praevenire amando, et nimis durus est animus, qui dilectionem si nolebat impendere, nolit rependere.“

juristischen Scharfsinn verquickt hat. Der Ansatz der scholastischen Wissenschaft ist durchweg erhaben und gross; „aber der Kleinigkeitsgeist zog auch den Himmel herab". Vom wissenschaftlichen Standpunkt und vom Standpunkt des „juristischen Denkens" darf man diesen Geist allerdings nicht schelten; denn verlangt die Wissenschaft nicht, dass man die Probleme bis zu den letzten Consequenzen hin durchdenkt? Der Fehler liegt lediglich in den Prämissen und in der Vorstellung, dass jenes Denken Denken über die Religion sei. Aber auch das musste man sich damals so vorstellen; denn die Religion war ja Contemplation!

Achtes Capitel: Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettel

orden bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts.

Wenn wir auch in diesem Capitel wiederum unsere Aufmerksamkeit zunächst der Geschichte der kirchlichen Frömmigkeit, des kirchlichen Rechts und der kirchlichen Wissenschaft zuwenden, so geschieht das weniger des Verständnisses der Veränderungen wegen, welche das Dogma in diesem Zeitraum von 300 Jahren erlebt hat, als um zu zeigen, wie die Bedingungen, unter denen dasselbe gestanden hat, dazu dienten, es immer stabiler zu machen und vor jedem Eingriff zu schützen. Es muss vor Allem nachgewiesen werden, wie es möglich gewesen ist, dass die ungeheure kirchliche Revolution des 16. Jahrhunderts - die wiedertäuferischen Bewegungen abgerechnet - vor dem alten Dogma Halt gemacht hat. Dies kann aber nur verstanden werden, wenn man erwägt, welche Befestigungen dasselbe im 13. bis 15. Jahrhundert erfahren hat. Diese Befestigungen waren eine Folge der eigenthümlichen Geschichte der Frömmigkeit, des kirchlichen Rechts und der Wissenschaft in diesem Zeitraum. Sie alle verlangten nicht einen „unbewegten Beweger" im Hintergrunde denn Beweger" ist das Dogma eben nicht mehr gewesen sondern eine unbewegliche

Basis. Sowohl die Mystik als die kirchliche Rechtsentwickelung als die nominalistische Theologie vermochten nur auf der Grundlage eines autoritativen Dogmas sich zu entwickeln, resp. sich nur so vor bedenklichen Consequenzen zu schützen.

Erst in zweiter Linie kommt in Betracht, inwiefern die allgemeinen Bedingungen auch gewisse Veränderungen am Dogma erzeugt haben, sodann, inwiefern sich eine individuelle Frömmigkeit entwickelte, wie aus dieser das Bedürfniss nach individueller Heilsgewissheit hervorgegangen ist, und wie dieses Bedürfniss sich zu einer

mächtigen Kraft zusammengefasst hat. Es war an sich stark genug, um eine Revision der gesammten kirchlichen Ueberlieferung zu fordern und zu leisten. Aber es wird sich in dem letzten Buche (s. u.) zeigen, dass es in seiner Entfaltung niedergehalten worden ist durch die noch grössere Gewalt einer fünfzehnhundertjährigen Entwickelung.

1. Zur Geschichte der Frömmigkeit.

Was im 12. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Kreuzzüge, keimte jene Frömmigkeit, wie sie Bernhard in sich erlebt und dargestellt hat, die ihre Kraft aus der Demuth gegenüber Gott und aus der Liebe zu dem schmerzensreichen Erlöser empfing, das hat sich in dem heiligen Bettler von Assisi zu der Blüthe entfaltet, „deren Duft die Welt erfüllte". In Franciskus kommt die mittelalterliche Frömmigkeit zu ihrem klarsten und kräftigsten Ausdruck. In ihm spricht sie sich am einfachsten und darum am gewaltigsten und eindrucksvollsten aus, weil ihr Accord humilitas, caritas und obedientia" hier am reinsten angeschlagen ist und zugleich die Klangfarbe, die Franciskus demselben verliehen hat, die schmelzendste war'.

Humilitas das ist die vollkommene Armuth. Die Ehrfurcht vor dem, was unter uns ist, welche die Bernhardiner verkündet haben, verträgt kein anderes Gewand als das der vollkommenen Armuth und Demuth. Wohl hatten griechische Mönche längst, ja von Anfang an, diesem Ideale nachgestrebt; aber in ihren Händen wurde es zur Fackel, die mit dem Körper auch die Phantasie, den Sinn und den Reichthum des inneren Lebens, aufzehrte. Sie sollte das Mittel der Entkörperung sein; aber sie verödete oft genug den Geist. Hier ist sie dagegen die Nachahmung des armen Lebens Jesu, und wie sie so ein persönliches Ideal empfangen hat, entwickelte sie auch in der unerschöpflich lebendigen Phantasie des hl. Franciskus einen Reichthum der Anschauung aus sich heraus, der allen Gebieten des äusseren und inneren Lebens zu Gut gekommen ist. Jüngst hat uns ein geistvoller Forscher gezeigt, welche Wirkungen vom hl. Franciskus auf das Gebiet der Kunst ausgegangen sind. Aber in allen Sphären menschlichen Lebens bis zur strengen Wissenschaft hin hat der neue Antrieb gewirkt - die Gottesfurcht, die Gott allein die Ehre giebt, die lebendige Vorstellung von Christus, die das Persönliche in den Vordergrund schob, die heilige Einfalt, die in die Herzen und in die Welt hineinleuchtete. In dem sonnigen Gemüthe des heiligen Dichters von Assisi, des Troubadours Gottes und der Armuth, spiegelte sich die Welt nicht als

1 Müller, Die Anfänge des Minoritenordens und der Bussbruderschaften 1885. 2 Thode, Franciskus v. Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance 1885.

der Kampf ums Dasein oder als die Stätte des Teufels, sondern als das Paradies Gottes mit unseren Brüdern und Schwestern, der Sonne, dem Mond und den Sternen, dem Wind und dem Wasser, den Blumen und den Thieren. In der Armuth, die nichts Anderes ist als die Schwester der Demuth, durch welche die Seele wie das Auge wird, das Alles sieht, nur sich selbst nicht, war ein neues Organ für die Betrachtung Gottes und der Welt gewonnen. Aber die Armuth ist nicht nur Nachahmung des armen Lebens Jesu, sondern sie ist auch, ja vornehmlich, Nachahmung des apostolischen Lebens, des bedürfnisslosen, des predigend reisenden, Liebe beweisenden". Die älteste Regel des hl. Franciskus hat dieses Ideal mit höchster Klarheit vorgestellt 1.

Mit jener Gesinnung, deren Beweis die Armuth und Demuth ist, soll sich die Liebe verbinden. Die paarweise ausziehenden neuen Apostel sollen in demüthiger Liebe dienen; sie sollen sich für keine Arbeit zu gering achten; sie sollen „pro amore Jesu Christi se exponere inimicis tam visibilibus quam invisibilibus"; sie sollen nach der Bergpredigt willig Unrecht erdulden; sie sollen vor Allem in Hütte und Haus, wohin sie nur kommen, den Menschen den Liebesdienst der Busspredigt leisten, ihnen verkündigen: „timete et honorate, laudate et benedicite, gratias agite et adorate dominum deum omnipotentem in trinitate et unitate . . . facite paenitentiam, agite dignos fructus paenitentiae, quia scitote quod cito moriemur. Date et dabitur vobis, dimittite et dimittetur vobis, et si non dimiseritis, dominus non dimittet vobis peccata vestra. Beati qui moriuntur in paenitentia, quia erunt in regno coelorum etc." 2. Aber die Kraft dieser Liebe strömte aus dem Vorbilde Christi und seines lebendigen Jüngers, des hl. Franciskus, der das Leben und das Leiden seines Meisters immer inniger nachempfand. Mehr und mehr ging sein Gefühl in einem einzigen auf, in der Liebe. Dieses Gefühl, welches bei ihm so stark war, dass es ihn oft überwältigte, so dass er sich in einsame Kirchen und Wälder zurückziehen musste, um ihm freien Lauf zu lassen, war die Liebe zu Christus; aber es vermählte sich immer inniger mit der schrankenlosen Hingebung an den Nächsten, mit der Sorge für dessen geistliches und leibliches Wohl, mit dem warmen Mitleid und der Selbsterniedrigung im Dienste der Brüder. So schuf er aus Demuth und Liebe sein Leben zu einem Gedicht er, der grösste Dichter, der damals gelebt; denn das sinnliche Element seiner lebendigen Natur erscheint schliesslich nach heissen Kämpfen nicht

1 S. Müller, a. a. O. S. 19 ff. 185 ff.
2 Die Regel von 1209, s. Müller S. 187.

ausgetilgt, sondern überwunden und verklärt, ja umgestaltet zum reinsten Organ des Seelischen 1.

Ein grosses Werk der inneren Mission ist von Franciskus nicht ins Auge gefasst, sondern begonnen worden; er war nicht der Erste, der es unternahm, aber er war der Erste, durch welchen es der ganzen Kirche zu Gut kam: die Christenheit hat wohl den rechten Glauben; aber sie ist nicht, wie sie sein soll. Sie steht unter den Priestern und Sacramenten; aber es gilt nun dem Einzelnen. Er soll angefasst und zur Busse geführt werden. Das Evangelium soll jedem Menschen nahe kommen: aufs neue soll durch einen gewaltigen Bussruf die Welt erschüttert und von dem alten Wesen befreit werden: wer die Süssigkeit der Christusliebe geschmeckt hat, wird sich mit Freude zur Busse und zur Armuth kehren. Aber es handelt sich nicht nur um die Mönche oder um die Priester, sondern um die einzelnen Christen, die Laien; sie sollen ebenso für ein bussfertiges, heiliges Leben gewonnen werden. Die ,,Bussbrüder", welche dem hl. Franciskus vorschwebten, und die er erweckt hat, waren, trotz des Verbleibens im Familienleben, wirkliche Asketen, die sich schroff von der Welt und dem bürgerlichen Leben zurückziehen und vor Allem keine Kriegsdienste leisten sollten. Der grosse Heilige hat noch nicht mit der Welt capitulirt: die späteren Tertiarier sind so wenig seine Schöpfung wie die späteren Franciskaner 2.

Von den Mönchen zu den Weltpriestern, von den Weltpriestern zu den Laien das ist der Gang, der das Christenthum aus der Säcularisirung befreien sollte; es ist zugleich die Geschichte der Erweckung des religiösen Individualismus im Abendland. Und in dem Masse, als die Religion extensiv und intensiv weltflüchtiger wird, erhält sie paradox und doch verständlich genug - eine höhere sociale und politische Bedeutung, dringt tiefer in das Volksleben ein, entwickelt sich aus der aristokratischen Gestaltung

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so war sie als

1 S. die schöne Charakteristik bei Thode, a. a. O. 59 ff. 2 S. Müller, S. 117-144. Eine treffende Charakteristik des Zwecks des hi. Franz bei Werner (Duns Scotus S. 2): „Der ursprüngliche Zweck des vom hl. Franz von Assisi gegründeten Ordens war die Erneuerung des urchristlichen Apostolates mit seiner Armuth und Weltentsagung, um in Kraft dieser Erneuerung auch die Kirche selbst im apostolischen Geiste zu erneuern, das Streben nach christlicher Heiligkeit und Vollendung allerwärts in den Seelen zu wecken, das Beispiel der unmittelbaren Nachfolge Christi in continuirlicher lebendiger Veranschaulichung der Welt vor Augen zu halten, alles Leid und Elend mit dem Troste der christlichen Barmherzigkeit zu trösten und in aufopfernder Hingebung den geistlich Verlassenen und leiblich Armen Alles zu werden."

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