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und in Böhmen konnten sich neben den souverän hervortretenden nationalen und politischen Zielen tiefere religiöse Motive nicht halten, sondern wurden wenigstens zunächst - später arbeitete sich das religiöse Element wieder hervor - durch kirchliche, social-revolutionäre und antihierarchische verdrängt.

Wer mithin die Stadien der Geschichte der Frömmigkeit in unserer Periode beschreiben wollte, müsste als Einleitung mit der Betrachtung der lyoneser, lombardischen und katholischen Armen beginnen. Dann folgt die Gründung der Bettelorden, welche das Mönchthum durch die Ausbildung des Princips der Armuth, des apostolischen Lebens und der apostolischen Busspredigt, sowie durch die Verkündigung der caritas auf seinen Höhepunkt bringen und entschränken, zugleich ihm aber den mächtigsten Einfluss auf die Laienwelt geben. Der Kirche gelingt es, diese Bewegung in ihren Dienst zu nehmen, durch dieselbe das aufstrebende Laienchristenthum für die kirchlichen Institutionen zu interessiren und die Ketzerei einzudämmen. Die Bettelorden bemächtigten sich aller Kräfte der Kirche, vor Allem bildeten sie die individuelle mystische Frömmigkeit durch schärferes Erfassen ihrer alten Grundelemente, Armuth und Gehorsam, die Liebe hinzufügend, tiefer aus und verliehen ihr eine mächtige Anziehungskraft, die dem aufstrebenden Individualismus entgegenkam und ihn grosszog. Durch eindringliche Busspredigten, die auf das zukünftige Gericht wiesen, wurden auch die weitesten Kreise bewegt, und in mönchsartigen Verbindungen (der dritte Orden) schlug die neue Bewegung zum Theil nieder. Aber das Princip der „Armuth“ umschloss nicht nur ein religiös-asketisches Ideal, sondern auch ein sociales und antihierarchisches, ja sogar ein politisches, sofern der indifferente Staat als die Macht angesehen werden konnte, welche der Kirche ihre Güter abzunehmen, resp. an der widerspenstigen das Gericht zu vollstrecken habe. Die neue Bewegung verband sich daher auch mit den apokalyptischen Ideen, die trotz Augustin im Abendland nie ausgestorben waren und durch Joachim und seinen Anhang eine neue Ausbildung erfahren hatten. Theils im Orden theils ausserhalb desselben erwuchs eine apokalyptisch-socialpolitische Erhebung in hundert verschiedenen Ansätzen. Ihr relatives Recht gegenüber der weltförmigen reichen Hierarchie geht aus der universalen Verbreitung hervor, die sie gewonnen hat: sie taucht in allen Ländern auf, und sie dauert, immer wieder aufs neue erstarkend, bis tief in das Reformationszeitalter. Die Bettelorden sind, wenigstens in den romanischen Ländern, in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts auf ihrem Höhepunkt. Von da ab verfallen sie bereits: die Gesammtbewegung zersplittert sich seit dem Ende des Jahrhunderts in die Wirkungen einzelner Männer. Der

grosse Kampf um die Armuth im Zeitalter Johann's XXII. hat als religiöser doch nur particulare Bedeutung gehabt. In Deutschland dagegen beginnt seit dem Ende des 13. Jahrhunderts die deutsche" Mystik, d. h. die Einführung der passionirten individuellen Frömmigkeit der mönchischen Theologen in die Laienkreise. Ein Jahrhundert lang und mehr ist an der inneren Bekehrung der Laien in Deutschland gearbeitet worden, und es sind ganz vornehmlich Bettelmönche, namentlich dominikanische, gewesen, die diesen Dienst geleistet haben (David von Augsburg, Theodorich von Freiburg, Meister Eckhart, Tauler, Merswin, die „Gottesfreunde", Seuse, Heinrich von Nördlingen, Margarethe Ebner, Ruysbroek u. s. w.).

Während die Bettelorden in den romanischen Ländern verfielen, in Deutschland das religiöse Leben, zum Theil noch durch sie, sich langsam hob, prostituirte die weltherrschende Kirche sich selbst in Avignon und schien absichtlich die Kirchentreue der schon gefährdeten Frömmigkeit auf die härteste Probe stellen zu wollen. Wie sehr das Papstthum und das Kircheninstitut doch noch die Gemüther und die Welt zusammenhielten, zeigen die Verwirrungen und Klagen, die sich, als das grosse Schisma hinzutrat, noch steigerten. Unter dem Eindruck furchtbarer elementarer Calamitäten wurden die apokalyptischen, antihierarchischen Ideen die eigentliche Gefahr, zumal da man selbst Bettelmönche als Gegner des Papstthums sah. Aber nur in England kam es damals zu einer grossen Bewegung. Das Gesetz Gottes, die Armuth, die augustinische Theologie das waren die Zeichen, unter denen Wiclif seine katholische Reform unternahm und der herrschenden Kirche Gericht und Umkehr predigte, ein zweiter Franciskus, verständiger aber matter, umsichtiger aber gebundener. Ausserhalb Englands war zunächst nirgends eine ähnliche Bewegung zu verspüren; aber überall zeigte es sich, dass die Welt in ein religiöses Zeitalter eingetreten war, in welchem die Mannigfaltigkeit der Strebungen Zeugniss davon ablegte, dass die Auflösung des Bestehenden als das Signal zu einem Neubau empfunden wurde der Spott und die Frivolität einiger untergeordneter italienischer Poeten und Novellisten kommt überhaupt nicht in Betracht. In ihren grossen Repräsentanten fühlte sich die Renaissance, vor Allem die deutsche, die in dem Reiche des Gedankens viel bedeutender gewesen ist als die italienische, weder der christlichen Religion noch der katholischen Kirche entwachsen. Was sich wirklich auflöste, war die mittelalterliche Gesellschaft, die mittelalterlichen Ordnungen, die mittelalterliche Welt. Sofern die Kirche mit dieser verflochten war, ja das Hauptstück in ihr bildete und in dieser Gestalt bisher als die

heilige gegolten hatte woran die Bettelorden nichts zu ändern vermocht hatten - war die Krisis gegeben. Aber man sagte sich von ihr nicht los; man suchte nach Mitteln, sie politisch zu reformiren (fast allein darum handelte es sich auf den Reformconcilien), und das Mönchthum schlug auch an seine eigene Brust. Vom Ende des 14. Jahrhunderts bis zur Reformationszeit läuft eine Kette von wirksamen Reformen in den älteren Orden und in den jüngeren, natürlich auf der einmal gegebenen Basis. Täuschen die Zeichen nicht, so haben sich namentlich die Bettelorden im Lauf des 15. Jahrhunderts fortwährend gehoben und an Einfluss auf die Volkskreise immer mehr gewonnen, in den romanischen Ländern durch die stossweise auftretenden Bussprediger, in Deutschland durch ernste stetige Arbeit. Aber unverkennbar ist allerdings doch, dass das Alles nicht mehr vollkommen genügte und beruhigte. Beweis dafür ist neben anderen sectirerischen Umtrieben, dass die wiclifitische Bewegung, litterarisch in das bereits apokalyptisch aufgewühlte und franciskanisch fanatisirte Tschechenthum eingeschleppt, in Böhmen durch Hus so feste Wurzeln schlagen und eine so furchtbare, das halbe Deutschland erschütternde Revolution hervorrufen konnte. Aus dem wirren Durcheinander „religiöser, socialer, nationaler, joachimisch-apokalyptischer, chiliastischer, speciell wiclifitischer und waldensischer Tendenzen, Gedanken, Hoffnungen und Träumen" haben sich die Einzelnen herausgenommen, was ihnen zusagte. Von den wilden Kriegern Gottes, die mit Feuer und Schwert das Gericht an der Kirche und an allen Verächtern des göttlichen Gesetzes ausübten, bis zu den stillen Brüdern, die im Grunde ebenso wegwerfend über die Kirche urtheilten und ebenso utopischen Gedanken über die Gestaltung der menschlichen Verhältnisse nachhingen, aber in Geduld und Stille abwarten wollten, waren alle Nuancen vertreten. Im 15. Jahrhundert flutheten die Ströme aller bisherigen Reformversuche ineinander; sie konnten in ein Bett zusammenfliessen; denn im Grunde entstammten sie alle einer Quelle der mit der Apokalyptik und gewissen augustinischen Gedanken verschwisterten Armuthslehre, also dem Katholicismus. „Armuth stille geht und leise", hatte einst Jacopone in seinem wunderbaren Hymnus gesungen. Das war wahrlich keine Weissagung auf die Zukunft!

Auch nachdem sich das Papstthum durch eine Diplomatie ohne Gleichen den drückenden Auflagen der Reformconcilien entzogen hatte, als die Völker um die sichere Aussicht auf die Reform der Kirche betrogen waren, als die Päpste bei dem grossen Unternehmen, einen sicheren Staat zu gewinnen, in bisher beispielloser Weise ver

wilderten und der Reform Hohn sprachen, wurde die Frömmigkeit an der Kirche nicht irre, sondern nur an ihrer augenblicklichen Repräsentation und an ihren verkehrten Ordnungen. Es ist ein falscher Schluss aus der Verachtung der Pfaffen und der faulen Mönche auf evangelische Stimmung. Die lauterste und gehorsamste katholische Frömmigkeit kann sich in ihr aussprechen. Diese entfaltete in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Stärke des lebendigen Triebes, zum Theil auch eine Kraft, wie nie zuvor. Und sie blieb unerschütterlich die alte Frömmigkeit. Sie zog die Laien mächtiger an; sie wurde werkthätiger und liebevoller; sie rief neue Verbindungen hervor; sie einigte Kleriker und Laien zu gemeinsamen frommen Unternehmungen; sie arbeitete auf Vertiefung und Verinnerlichung. Aber sie schätzte eben desshalb alle äusseren Zeichen um so höher, suchte sie auf, vermehrte sie und gab sich ihnen hin. Man mag darin ein Unruhiges, Unbefriedigtes entdecken; aber man darf nicht vergessen, dass eben dieses zur katholischen Frömmigkeit gehört. Diese sucht nicht nach einem Felsengrund, sondern nach Hülfsmitteln, und auch dort, wo sie die innerlichste ist und allem Aeusserlichen den Abschied gegeben zu haben scheint, muss sie bekennen, dass sie offen oder heimlich von den Narkosen und Stimulantien doch Gebrauch macht.

Eine ungeheure Umwälzung, immer wieder aufgehalten, bereitete sich im 15. Jahrhundert vor. Aber diese Umwälzung drohte den Institutionen, den politischen und den kirchlichen; sie drohte der Kirche, nicht dem Evangelium; sie drohte den neuen dogmenartigen Lehren, nicht dem alten Dogma. Dass sich eine Reformation der Frömmigkeit im Sinne des Glaubens anbahnte, ist schlechterdings durch nichts historisch Greifbares angedeutet; denn die radicalsten Gegner und die treuesten Anhänger der herrschenden Kirche waren darin einig, dass bei Augustin und Franciskus die Kräfte zur Reform des Kirchenwesens beschlossen seien. Die Kirchenlehren, die controvers wurden, waren im Grunde noch keine Kirchenlehren 1, und wiederum auch das radicalste Kirchenprogramm hatte an Elementen der vulgären Kirchenlehre seine starken Wurzeln und seinen Rechtstitel. So blieb auch das Dogma wesentlich unangetastet. Wie konnte im Zeitalter des Nominalismus Jemand vermuthen, das Heil der Reform müsse aus der Lehre kommen, solange die Autorität der dogmatischen Ueberlieferung unberührt

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1 Die Lehre vom Ablass, von der Hierarchie, vom freien Willen etc. Allerdings fanden auch einige altüberlieferte Lehren Widerspruch (ewige Verdammniss, Fegefeuer u. s. w.), aber keinen durchgreifenden,

blieb? Und doch wäre es eine sehr kindliche Betrachtung, welche die Reformation desshalb für ein absolut Neues erklären würde, weil für sie directe Vorstufen nicht nachweisbar sind. Der Individualismus, die Macht des persönlichen Lebens, die unabweislichen Forderungen der Umformung des staatlichen Lebens, die Bedürfnisse einer immer unruhiger werdenden Frömmigkeit, das Misstrauen gegen die Hierarchie, das aufstrebende Bewusstsein der eigenen Verantwortung und die Sehnsucht nach persönlicher Gewissheit, die Ueberzeugung, dass Christus in seiner Kirche sei und dass er doch nicht im Kirchenthum sei das Alles vermochte nicht zu seinem Ziele zu gelangen ohne eine Reformation, die äusserlich minder radical schien als das Programm der sengenden und brennenden Husiten, in Wahrheit aber dieses weit hinter sich liess. Und die Frömmigkeit, d. h. der kirchliche Glaube selbst, hatte unter den mannigfachen Elementen, die er einschloss, das neue Element als eingeborenes in seiner Mitte — an Sprüchen Christi und an Lehren des Paulus, an dem Lebensbild jedes Christen, der in dem Vertrauen auf die Gnade Gottes in Christus sich vom Gesetz der Gnadenspendungen und Verdienste und vom Gesetz des Buchstabens innerlich losgelöst hatte.

Unter einer zum Gestrüpp entarteten Theologie, aus den hunderten von religiös-kirchlichen Neubildungen, Vereinen und Brüderschaften, aus den unzähligen Formen, in denen das Heilige beschlossen und gesucht wurde, aus den Predigten und der Erbauungslitteratur aller Art hört man einen Ruf deutlich und immer deutlicher heraus den Ruf nach lebendigem religiösem Leben, nach dem praktischen Christenthum, nach der Religion, die wirklich Religion ist. Dic animae meae, salus tua ego sum" dieses Gebet Augustin's ist die verborgene Kraft der Unruhe der Völker, namentlich der germanischen, im 15. Jahrhundert gewesen. Dogmatisch ausgedrückt: man suchte nach einer sicheren Heilslehre; aber man wusste selbst nicht, was man suchte. Auf die unsicheren und stammelnden Fragen erfolgten nur unsichere und stammelnde Antworten. Man vermag sich dem Zauber auch heute nicht zu entziehen, der gerade an solchen Fragen und solchen Antworten haftet; denn sie öffnen einen Blick in die lebendige Bewegung der Herzen; aber wem die Religion so ernst geworden ist, dass er in ihr nicht nach Reizen sucht, sondern nach Nahrung, der wird Luther's kleinen Katechismus und seine Lieder nicht mit der ganzen Fülle, Schönheit und Lebendigkeit der deutschen Erbauungslitteratur des 14. und 15. Jahrhunderts vertauschen mögen1.

1 Das hier Gesagte gilt auch von der Gothik. Sie ist gewiss das Grösste, Vollendetste und Einheitlichste, was die Baukunst seit dem griechischen Tempel her

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