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der romantischen Epoche Abgründe überbrückt und Klüfte zugedeckt haben. Ein Jeder hält den Einfall des Anderen für falsch; aber anerkannt wird, dass er die Kluft überhaupt zugedeckt hat, einerlei mit welchen trügerischen Mitteln. Die Dogmengeschichte würde dem gegenüber sich selbst quiesciren, wenn sie das alte Vorurtheil fortpflanzen würde, als stünde der Protestantismus heute bei dem Concordienbuch und den Beschlüssen von Dortrecht. Selbst wenn es nicht anginge, das, was wir heute einsehen, besitzen und nicht trotz unseres Christenthums, sondern auf Grund desselben behaupten- die Reinheit des Glaubens als Glauben an den Vater Jesu Christi, die strenge Zucht christlicher Erkenntniss, die Milde in der Beurtheilung abweichender christlicher Ueberzeugungen, die volle Freiheit der geschichtlichen Forschung in der Schrift und hundert andere Güter wenn es nicht anginge, diese Güter aus der Reformation selbst abzuleiten, so bliebe uns nichts übrig als zu bekennen, dass die Reformation nicht das Letzte gewesen ist, und dass wir im Laufe der Geschichte neue Reinigungen durchgemacht und neue Güter als Geschenk erhalten haben. Nicht auf die Reformation sind wir als evangelische Christen verpflichtet, noch weniger auf den „ganzen Luther“ und den ganzen Calvin", auf die man in trauriger Verzweiflung an der Klarheit des Evangeliums und an der eigenen Freiheit alles Ernstes uns verweist, sondern auf das Evangelium Jesu Christi. Allein man verlässt nicht das helle Zeugniss der Geschichte, wenn man das, wozu sich heute der Protestantismus, in Schwachheit und gehemmt, entwickelt hat, in dem Christenthum Luther's und in den ersten Ansätzen der Reformation wiederfindet, und wenn man weiter urtheilt, dass der Glaubensbegriff Luther's noch heute die bewegende Seele des Protestantismus ist, so Viele oder so Wenige ihn sich angeeignet haben mögen. Eben desshalb sind die Ansätze, den Glaubensformeln der Epigonen des Reformationszeitalters Bekenntnisse nachzusenden, die nicht mit vieler Noth getragen und mühsam aufrechterhalten werden müssen, sondern die in Wahrhaftigkeit als der evangelische Glaube bekannt werden können, mit hoher Freude zu begrüssen. Gescheitert ist freilich im Jahr 1846 das echt evangelische Unternehmen, ein neues Bekenntniss einzuführen: die Union war zu schwach, mehr zu vermögen als sich selbst zu proclamiren; sie schien in dem Momente zusammenzustürzen, wo sie bekennen sollte, was sie denn eigentlich sei. Aber die Aufgabe ist unvergessen geblieben, und jüngst hat ein evangelischer Theologe, der sich selbst als orthodox und pietistisch bezeichnet, in eindrucksvollster Weise wieder an sie erinnert. Ueber Worte braucht man nicht zu streiten: er verlangt ein neues „Dogma" (Christliche Welt 1889 Oct. und Nov.). Er meint ein neues Bekenntniss des evangelischen Glaubens, befreit vom Dogma. Aber während bei uns in traurigster Verblendung eine solche Forderung an sich bereits für verdächtig gilt und ihr Spott und die frivole Losung ,,beati possidentes" entgegengesetzt wird, regt es sich bei unseren Brüdern jenseits des atlantischen Oceans. Vor mir liegt eine Reihe von Kundgebungen aus der Mitte der dortigen ernsten Calvinisten, die Westminster Confession (das Hauptsymbol) zu revidiren, d. h. sie in Bezug auf viele Punkte, die im 17. Jahrhundert für die wichtigsten galten, zu corrigiren. An der Spitze dieser Bewegungen steht Prof. Schaff (vgl. dessen Artikel: „The Revision of the Westminister Confession, A Paper read before a special meeting, Nov. 4 1889, of the Presbytery of New-York"). Wenn irgend ein Name, so bürgt der Schaff's dafür, dass hier nichts unternommen wird, was nicht auch durchgeführt werden wird und zwar in besonnenster und erfreulichster Weise durchgeführt. Schaff und sehr Viele mit ihm wollen Confess. c. III, 3. 4. 6. 7. VI, 1. X, 3. 4. XXV, 6. XXIV, 3 geändert resp. ausgemerzt sehen. Aber sie verlangen noch mehr. Die denkwürdigen Worte lauten (p. 10):

... Or if this cannot be done without mutilating the document, then in humble reliance upon the Holy Gost, who is ever guiding the Church, let us take the more radical step, with or through the Pan-Presbyterian Council, of preparing a brief, simple, and popular creed, which shall clearly and tersely express for laymen as well as ministers, only the cardinal doctrine of faith and duty, leaving metaphysics and polemics to scientific theology; a creed that can be subscribed, taught, and preached ex animo, without any mental reservation, or any unnatural explanation; a creed that is full of the narrow of the gospel of God's infinite love in Christ for the salvation of the world. Such a consensus-creed would be a bond of union between the different branches of the Reformed Church in Europe and America and in distant mission fields, and prepare the way for a wider union with other Evangelical Churches. . . In conclusion: I am in favor of both a revision of the Westminster Confession by the General Assembly, and a oecumenical Reformed Consensus to be prepared by the Pan-Presbyterian Council. If we cannot have both, let us at least have one of the two, and I shall be satisfied with either." Zu dieser Freiheit haben sich die von Lutheranern gern als „gesetzlich“ bezeichneten Calvinisten aufgeschwungen! Was würde man bei uns sagen, wenn ein ehrlicher Mann eine Revision der Augustana verlangen würde! Allerdings, die calvinischen Kirchen Amerikas besitzen etwas, was wir nicht besitzen, eine freie organisirte Kirche, die sich selbst Gesetze giebt, und -Muth! So werden wir vielleicht einmal folgen, wenn die Evangelischen in Amerika die Fackel vorantragen.

Jedenfalls ergiebt sich aus diesen Ansätzen, was übrigens an sich aus dem Principe der Reformation klar ist, dass die symbolischen Bestimmungen im Protestantismus nicht für unfehlbar erachtet werden. Man sucht freilich im Lutherthum eifrig nach einem Zwischenbegriff zwischen reformabel und unfehlbar; aber man hat ihn bisher, soviel ich sehe, nicht zu entdecken vermocht. Das alte Dogma aber gab sich als unfehlbar, ja es war nur Dogma, sofern es mit diesem Anspruch auftrat. Also sind die Formulirungen des Protestantismus des 16. Jahrhunderts keine Dogmen.

Zweites Capitel: Die Ausgänge des Dogmas im römischen Katholicismus.

1. Die Codificirung der mittelalterlichen Lehren im Gegensatz zum Protestantismus (das Tridentinum).

Durch die Reformation ist der katholischen Kirche eine Codificirung ihrer Lehren aufgenöthigt worden. Lange hat man sich in Rom gesträubt, der Verdammung der lutherischen Sätze eine positive Darlegung der eigenen Lehre hinzuzufügen oder gar durch ein Concil hinzufügen zu lassen. Jenes wie dieses erschien auf streng curialistischem Standpunkt gleich unnöthig und gefährlich. Dass Fürsten und Völker gebieterisch Beides verlangten, und dass wirklich ein Concil zu Stande gekommen ist, welches ausser Reformdecreten, die eine erhebliche Besserung des Kirchenwesens zur Folge haben mussten, bisher unbestimmte Lehren fixirt hat, ist ein Triumph des Protestantismus gewesen. Dieses Concil sollte im Sinne der Fürsten die Aufgabe endgiltig lösen, die man bisher auf den Religionsgesprächen, nicht ohne sich wirklich näher zu

kommen, unternommen hatte, und die im kaiserlichen Interim vorläufig gelöst erschien. In Wahrheit aber setzte es die Curie durch, dass zu Trident der Gegensatz zum Protestantismus zur schärfsten Aussprache kam. Sie hat diesem damit einen sehr bedeutenden Dienst geleistet; denn was wäre aus der Reformation nach Luther's Tode - wenigstens in Deutschland geworden, wenn man zu Trident entgegenkommender gewesen wäre?

Zu den Beschlüssen von Trident haben die besten Kräfte, über welche die alte Kirche damals verfügte, mitgewirkt. Wahre Frömmig keit und ausgezeichnete Gelehrsamkeit sind zu Worte gekommen. Der erneuerte Thomismus, in Italien an der Reformation selbst erstarkt, war auf dem Concil bereits jeder anderen Richtung ebenbürtig. Aus dem Humanismus und der Reformation hatte der mittelalterliche Geist der Kirche Kräfte an sich gezogen, sich verstärkt und zum Kampfe gestählt. Dieser Geist im Bunde mit der Curie bestimmte schliesslich das Concil, auf dem sich eine Regeneration der alten Kirche vollzogen hat. Diese Regeneration zeigt sich auf dogmatischem Gebiet in dem Bruch mit den skeptischen, kritischen Elementen der Scholastik und in der dadurch gewonnenen Zuversicht zu der Lehre und der Theologie1. Es war doch ein ungeheures Unternehmen, nach einer Jahrhunderte langen Zeit des Schweigens aus dem fast unübersehbaren Stoff, den die Scholastik und Mystik herbeigebracht hatten, kirchliche Dogmen mit fester Hand zu umschreiben! Nie hätte man an eine solche Aufgabe gedacht, noch weniger hätte sie gelöst werden können, wäre nicht die Reformation mit ihrer Augustana vorangegangen. Der Gegensatz zur Reformation, der alle auf dem Concil vertretenen, sonst so verschiedenartigen Richtungen verband, hat wie die Auswahl der zu bestimmenden Dogmen, so ihre Formulirung bewirkt. In vielen Fällen ist noch ersichtlich, dass man zu Trident der Augsburgischen Confession gefolgt ist; in allen Decreten ist der Widerspruch gegen die evangelische Lehre das Leitmotiv. Die dogmatischen Decrete von Trident sind der Schatten der Reformation. Dass es dem Katholicismus vergönnt worden ist, sich selber zu verstehen, seine dogmatische Eigenart zum Ausdruck zu bringen und sich damit aus den Unsicherheiten des Mittelalters herauszureissen, verdankt er der Reformation.

Allein vollkommen hat sich der römische Katholicismus im Tridentinum noch nicht zur Aussage zu bringen vermocht. Es muss das

'In dem dogmatischen und ethischen Probabilismus kehrte freilich der nominalistische Skepticismus in einer für die Kirche sehr bequemen Gestalt bald wieder zurück.

Jedem offenbar werden, der die Decrete mit dem heutigen Zustande und den heutigen Zielen der Kirche vergleicht, und der die Concilsacten durchstudirt, um zu erkennen, was die streng curialistische Partei schon damals erreichen wollte und noch nicht erreicht hat. Nicht nur blieb die Spannung zwischen Episkopalismus und Papalismus ungelöst eine kirchliche Capitalfrage für den römischen Katholicismus, ja die entscheidende Frage, sondern man musste auch der jüngst erstarkten augustinischthomistischen Richtung innerhalb der Dogmatik einen viel grösseren Spielraum gewähren, als das auf das äusserliche Sacrament, den Gehorsam, das Verdienst und die Religion zweiter Ordnung gestellte Kirchenwesen es zuliess. Die Rücksicht auf die augustinisch-thomistische Richtung erklärt sich aus verschiedenen Gründen. Man konnte erstlich, wenn man Dogmen wie die von der Erbsünde, Sünde, Erwählung und Rechtfertigung öffentlich fixiren wollte, an der Autorität Augustin's überhaupt nicht vorbei, mochte sich auch in der Gegenwart nicht eine einzige Stimme für ihn erheben; man sah zweitens die tüchtigsten, wahrhaft frommen Bischöfe und Theologen in den Reihen der Thomisten; man konnte sich endlich der Thatsache nicht verschliessen, dass ein Bedürfniss nach Reform gegenüber dem kirchlichen Mechanismus in den weitesten Kreisen wirklich vorhanden war, und dass demselben nur durch Eingehen auf die augustinischen Gedanken entsprochen werden könne. So ist die römische Kirche im 16. Jahrhundert dazu gekommen, mehr von Augustin in ihr Dogma aufzunehmen, als man das nach der Geschichte, die sie im 14. und 15. Jahrhundert erlebt hat, zu erwarten berechtigt ist. Allein die Art, wie sie ihn zu Trident aufgenommen hat, ist nicht frei von Unwahrhaftigkeit. Zwar dass man an den einzelnen Decreten mühsam und unter beständigen Correcturen gefeilt und gedrechselt hat, sollte man den Vätern des Concils nicht zum Vorwurf machen: solange Dogmen nicht von Propheten verkündigt, sondern von Synodalen angefertigt werden, wird man keine andere Methode erfinden können als die, nach der man auch in Trident gearbeitet hat. Aber das Unwahrhaftige liegt hier darin, dass die eine Partei — und sie hat schliesslich den Ausschlag gegeben -- den Augustinismus gar nicht wollte, dass sie vielmehr in allen Stücken die Gewohnheiten der römischen Kirche als Dogma durchzusetzen suchte, die sich nur mit der semipelagianischen Doctrin und dem sacramentalen Mechanismus vertrugen. Und doch ist selbst damit noch nicht das Letzte gesagt: die Unwahrhaftigkeit liegt noch tiefer. Die herrschende, mit Rom verbündete, von Rom aus geleitete Partei wollte überhaupt keine Fixirungen; denn sie wusste sehr wohl, dass sich ihre dogmatischen Grundsätze, wie sie in ihrer Praxis zu Tage treten, überhaupt nicht fassen lassen und

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gar nicht gefasst werden dürfen. Sie hatte also bei dem ganzen Concil nur den einen Zweck im Auge, möglichst unverändert, d. h. mit allen ihren Gewohnheiten, Praktiken, Anmassungen und Sünden aus dem Fegfeuer des Concils hervorzugehen. Diesen Zweck hat sie in der Formulirung der tridentinischen Dogmen immerhin nur unsicher erreicht eben desshalb sind dieselben zum Theil unwahr und irreführend', obgleich ein scharfes Auge schon hier gewahrt, welcher Spielraum dem „Probabilismus", diesem Todfeind aller religiösen und sittlichen Ueberzeugung, gelassen ist; aber sie hat ihn vollkommen erreicht, indem sie den Beschlüssen die Professio Tridentina nachsandte und es zugleich durchsetzte, dass dem Papst allein das Recht zugesprochen wurde, die Beschlüsse auszulegen. So hat sie Feigen von den Dornen und Trauben von den Disteln gesammelt; denn nun brauchte sie keine einzige Wendung in den Decreten zu fürchten und genoss andererseits den Vortheil, den eine so imposante Kundgebung der ganzen Kirche gegen den Protestantismus gewähren musste.

Wie die Curie zu Trident gearbeitet hat, wissen wir seit der herben Darstellung Paolo Sarpi's. Eben desshalb müssen wir das Tridentinum zu der Geschichte der Ausgänge des Dogmas rechnen; denn eine stärkere Macht als das Glaubensinteresse oder das Interesse der reinen Lehre schwebte über den Bemühungen des Concils und leitete sie in ihrem Sinne, das Interesse der römischen Kirche, sich als irreformabele Anstalt der Herrschaft und Seligkeit zu behaupten. Und wenn sich unleugbar zu Trident und in den Beschlüssen des Concils auch frommer Glaube, der keine höhere Macht über sich kannte, ausgesprochen hat, so ist das doch in der Gesammtwirkung untergegangen. Mittelst der Befugniss, die Decrete allein auszulegen, hat der Papst eigentlich die ganze dogmatische Arbeit zu Trident unsicher und illusorisch gemacht, und die folgenden Jahrhunderte haben es zur Genüge bewiesen, dass der sich den schwersten Irrthümern über die praktischen und dogmatischen Interessen der römischen Kirche hingeben würde, welcher allein auf Grund der tridentinischen Decrete (ihrem gegebenen Wortlaut nach) ein Bild von dem Glauben der römischen Kirche entwerfen wollte. Er erfährt hier ja das nur unsicher, was heute das eigentliche Streben der römischen Kirche auf dogmatischem Gebiet geworden, zu Trident aber

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1 Doppelsinnig ist schon die Selbstbezeichnung der Synode: „Haec sacrosancta, oecumenica et generalis Tridentina Synodus in spiritu sancto legitime congregata, in ea praesidentibus (eisdem) tribus apostolicae sedis legatis"; vgl. auch den berühmten, oft wiederholten Zusatz: „salva semper in omnibus sedis apostolicae auctoritate." Bekanntlich wurde auch hartnäckig darüber gestritten, ob man der Synode den Titel: „universalem ecclesiam repraesentans" zu geben habe.

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