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sessen, was soeben vermisst wurde, einen Reichthum ursprünglicher Anschauungen, der alle mangelnden Bildungselemente" aufwog, eine Sicherheit und Kühnheit des Blicks, die mehr war als „freie Forschung", eine Kraft, das Unwahre zu treffen, das Probehaltige zu conserviren, neben der alle „kritischen Einwürfe" matt und schwach erschienen, vor Allem aber ein wundervolles Vermögen, dem starken Gefühl und dem wahren Gedanken Ausdruck zu geben, wirklich zu reden und durch das Wort zu überzeugen, wie kein Prophet vor ihm. Allein alle diese gewaltigen Eigenschaften waren doch unvermögend, dem kommenden Geschlecht eine reine Bildung zu sichern, weil sie in Luther selbst nicht aus dem Triebe herausgeboren waren, die Dinge zu erkennen, wie sie sind. Gewisser hatte Grösseres zu thun, als die Wissenschaft zu berichtigen und die allgemeine Kultur in der Breite ihrer Entwickelung zu befördern, und dankbar dürfen wir es preisen, dass wir einen Mann erlebt haben, der all' sein Trachten in den Dienst der Erkenntniss des lebendigen Gottes gestellt hat. Aber es ist doch eitel Romantik und Selbsttäuschung, wenn man die Schranken der Luther'schen Eigenart als sein Bestes preist, und es ist schlimmer als Romantik und Selbsttäuschung, wenn man das, was einem Heros erlaubt war, der nicht reflectirte, sondern that, was er musste, zu einem allgemeinen Gesetz für eine Zeit erheben will, die, wenn sie sich unbefangen und rücksichtslos der Erkenntniss der Wahrheit hingiebt, auch thut, was sie thun muss. Und dann wer wagt es denn wirklich, den ganzen Luther" zu repristiniren mit der Massivität seines mittelalterlichen Aberglaubens, den vollendeten Widersprüchen seiner Theologie, der seltsamen Logik seiner Argumente, den Fehlern seiner Exegese und der Ungerechtigkeit und Barbarei seiner Polemik? Sollen wir denn das alles vergessen, was wir gelernt haben und was Luther nicht kannte, die Relativität des geschichtlichen Urtheils, das Mass der Dinge und das bessere Verständniss des NT.'s? Fordert das Christenthum, je strenger man es als geistige Religion fasst, nicht den Einklang mit dem gesammten Leben unseres Geistes und kann man aufrichtiger Weise sagen, dass uns das Christenthum Luther's den bietet?

Indessen ist es nicht nur das mangelnde theoretische Interesse gewesen, was Luther veranlasste, bei dem alten Dogma Halt zu machen, auch nicht nur die unsichere Kenntniss und das mangelnde Verständniss der altkatholischen Zeit, sondern das alte Dogma selbst kam der neuen Auffassung des Evangeliums, die er verkündigte, entgegen. Er hat sich also auch hier, wie überall, nicht

1 Man hat auch darauf hingewiesen, dass das alte Dogma seit Justinian das bürgerliche Rechtsbuch eröffnete, dass der Rechtsschutz, den es verhiess, nur

nur von äusseren Autoritäten leiten lassen, sondern die innere Uebereinstimmung, die er zwischen seinem Glauben und jenem Dogma zu finden meinte, hat ihn an demselben nicht irre werden lassen. Er hat in dem „Glauben" nur die Ehre Gottes und Christi gesucht; die alten Glaubensformeln thaten das auch. Er wollte in dem, Glauben" nichts hören von Gesetz, Werken, Leistung und Verdienst; die alten Glaubensformeln schwiegen über sie. Ihm war die Sündenvergebung, wie sie eine heilige Kirche schafft und Leben und Seligkeit bringt, das Hauptstück der Religion; er fand diese Stücke in souveräner Stellung in den alten Formeln. Er ergriff Jesum Christum als den Spiegel des väterlichen Herzens Gottes, darum als Gott und wollte von keinem anderen Tröster wissen als von Gott selbst, wie er in Christus erschienen ist und durch den hl. Geist wirkt; die alten Glaubensformeln zeugten nur von Vater, Sohn und Geist, von dem einen Gott, der eine Dreiheit sei, und sagten nichts von Maria, den Heiligen und anderen Nothhelfern. Seine Seele lebte in dem Glauben an den Gott, der uns irdisch so nahe gekommen ist wie ein Bruder dem Bruder; die alten Glaubensformeln bezeugten dies durch ihre Lehre von den zwei Naturen in Christo. Er wappnete sich wie Paulus wider die Anläufe des Teufels, der Welt und der Sünde mit der Gewissheit, dass Christus durch seinen Tod die Mächte der Finsterniss bezwungen und die Schuld getilgt habe, und dass er jetzt als der erhöhte Herr zur Rechten Gottes sitzt; die alten Glaubensformeln bekannten sich zu dem Kreuzestod, der Auferstehung und der Erhöhung Christi. Indem er unter dem Schutt des Mittelalters den alten Glauben des Paulus in dem NT. wieder entdeckte, entdeckte er ihn auch in dem alten Dogma: die Kirche besass ihn, bekannte ihn täglich, aber achtete seiner nicht, wusste nicht mehr, was sie ihre Priester murmeln liess, und hat so mitten im Besitz ihren der Orthodoxie zugesprochen war, und dass somit jeder Angriff auf die Trinität und die Christologie damals als Anarchismus empfunden werden musste und unter den schwersten Strafen stand. Das ist gewiss richtig; aber ich kann nicht finden, dass Luther an die schweren Folgen, welche eine Auflehnung wider das Dogma für ihn und seine Anhänger gehabt hätte, jemals gedacht hat. Er kam, soviel ich sehe, niemals so weit, um sich darüber Sorge zu machen, da er ohne Schwanken an dem alten Dogma festhielt. In dem anderen Fall hätte er gewiss den Muth bewiesen, den Servede gezeigt hat. Anders steht es, wenn ich nicht irre, bei Melanchthon und Calvin. Der Erstere hat auch aus ängstlichen kirchen- und staatspolitischen Erwägungen jede Gemeinschaft mit Solchen vermieden, deren Stellung zum alten Dogma verdächtig war, und Calvin ist schwerlich von dem Vorwurf freizusprechen, dass er sich selbst zu dem alten Dogma anders gestellt und auch die Antitrinitarier anders behandelt hätte, wenn er minder politisch gewesen wäre. Andeutungen über die rechtliche und politische Seite der Frage bei Kattenbusch, Luther's Stellung zu den ökumenischen Symbolen S. 1 ff.

Besitz vergessen. Wie sollte er dieser Kirche gegenüber mit dem NT. nicht auch das alte Dogma preisen, welches das Wort Gottes bezeugte! Und in einer sehr wichtigen Hinsicht hatte er ja völlig Recht

dieses alte Dogma war wirklich ein Ausdruck der Religion der alten Zeit gewesen: das, was diese Zeit daneben festhielt und wodurch sie ihr Dogma begrenzte, hatte sie nicht in das Dogma selbst aufgenommen. Erst in dem Mittelalter haben Gesetz, Verdienst und Leistung in den Glaubenslehren und im Kultus eine Stelle gefunden. Die altkatholische Kirche hatte im Vergleich mit der mittelalterlichen überhaupt ein mehr religiöses Gepräge: sie bekannte in ihrem Glauben und in ihrem Kultus das, was Gott durch Christus gethan hat und thun wird.

Aber hatte er nicht überhaupt Recht? standen nicht sein Glaube und das alte Dogma wirklich in schönster Harmonie? Man behauptet es heute noch, und man beruft sich dafür auf den scheinbar stärksten Zeugen, auf ihn selber, der es nicht anders gewusst hat. Nach dieser Auffassung ist die Dogmenbildung der alten Kirche bis zum 6. und 7. Jahrhundert gesund" gewesen; es fehlte ihr nur die Rechtfertigung aus dem Glauben. Diesen Zusatz hat Luther hinzugefügt, indem er zugleich die mittelalterliche Fehlentwickelung gereinigt, resp. abgethan hat. Allerdings spricht man dabei doch zugleich auch von einem „Umbau" und einer „Neubildung" des Dogmas, die Luther vorgenommen habe; aber es ist schwer anzugeben, was dieses Wort bedeuten soll: Zusätze und Abstriche sind kein Umbau 1. Man meint es daher auch nicht ernsthaft mit demselben; aber es bezeichnet das Eingeständniss, dass Luther's Glaubensbegriff irgendwie das gesammte Dogma modifi

1 S. Thomasius-Seeberg, a. a. O. II S. 748: „Die dritte Periode bietet die Neubildung des Dogmas durch die Reformation. Hier ist vom Mittelpunkt des evangelischen Rechtfertigungsglaubens aus das mittelalterliche Verständniss des Christenthums an seinen beherrschenden Punkten durchbrochen worden, und es ist von jenem Centrum aus mit Beibehaltung der gesunden, an den Urkunden des Urchristenthums sich bewährenden Resultate der seitherigen Dogmenbildung ein Umbau des Dogmas unternommen worden." Der Ausdruck »an den Urkunden des Urchristenthums sich bewährend«< ist übrigens erstlich ganz modern, im Sinne Luther's daher höchst anstössig, zweitens ein Verzicht in Bezug auf Alles, was die Kirche in den letzten 150 Jahren in Bezug auf das NT. und die älteste Dogmengeschichte gelernt hat. Noch deutlicher hat Kahnis (Die Sache der luth. Kirche gegenüber der Union 1854 S. 90) seine Ansicht über das Verhältniss der lutherischen Kirche zur römischen ausgesprochen. Nachdem er constatirt hat, dass beide Kirchen die ökumenischen Symbole anerkennen und dass die lutherische Kirche Nachsicht mit den Rationalisten und Schleiermacherianern übt, fährt er fort: „Sollten wir denn keine Nachsicht haben mit den römischen Brüdern, welche diese Wahrheiten festhalten und nur ein Plus haben, gegen welches wir potestiren."

cirt hat. Wie das geschehen ist, das kann man freilich nicht sagen; denn die Dogmenbildung der alten Kirche war ja „gesund". Auf diesem Standpunkt muss nothwendiger Weise die ganze Entwickelung des Protestantismus seit dem Ende des 17. Jahrhunderts bis heute als eine Fehlentwickelung, ja als ein Abfall erscheinen - misslich nur, dass nahezu alle Protestanten abgefallen sind und sich hauptsächlich nur durch das Mass von Klarheit und Aufrichtigkeit unterscheiden, in der sie ihren Abfall eingestehen.

Wir haben zu untersuchen, ob Luther's Glaubensbegriff, d. h. das, was zugestandenermassen seine reformatorische Bedeutung ausmacht, das alte Dogma fordert und daher auch mit ihm aufs innigste verbunden ist oder nicht'. Wir stellen zu diesem Behufe zunächst die wichtigsten Sätze, in denen sich sein Christenthum darstellt, zusammen. Sodann werden wir die entscheidendsten kritischen Sätze, die er selbst als Folgerungen seines religiösen Verständnisses des Evangeliums ausgesprochen hat, aufführen. Auf Grund dieser Untersuchungen wird sich dann ergeben, ob und in welchem Masse die Gesammthaltung, welche Luther dem alten Dogma gegenüber eingenommen hat, eine widerspruchslose gewesen ist. Ist sie es gewesen, so erhebt sich letztlich die Frage, ob es der Kirche der Gegenwart noch möglich ist, dieselbe Haltung einzunehmen.

2. Das Christenthum Luther's2.

In der Zelle seines Klosters hat Luther den Seelenkampf ausgekämpft, dessen Frucht die neue und doch alte evangelische Erkenntniss werden sollte. Innere Unruhe, die Sorge um sein Heil, hatten ihn in das Kloster getrieben. Er war dort eingetreten, um — echt katholisch

durch gehäufte Leistungen den strengen Richter für sich zu stimmen und „einen gnädigen Gott zu kriegen" 3. Aber indem er alle

1 Es handelt sich hier lediglich um die Frage der inneren Zusammengehörigkeit des Christenthums Luther's und des alten Dogmas. Dass er die äussere Autorität des Dogmas ausser Kraft gesetzt hat, darüber s. oben S. 582 ff.

"Ausführliche Darstellungen der Theologie Luther's haben Köstlin, Theod. Harnack und Lommatzsch geliefert. Dogmengeschichtlich von Wichtigkeit ist Plitt's Einleitung in die Augustana. Für die Anfänge der Bildung des eigenthümlichen Christenthums Luther's kommen besonders die Arbeiten von Köstlin, Riehm, Seidemann, Hering, Dieckhoff, Bratke, Ritschl und Kolde in Betracht. Präcis und lehrreich ist die Darstellung von Loofs in seinem Leitfaden zur Dogmengeschichte S. 214 ff. Eine zuverlässige Darlegung, aber freilich im Lichte der Theologie der Epigonen, haben Thomasius-Seeberg geboten, a. a. O. II S. 330–394. Im Folgenden ist mein Vortrag: „M. L. in seiner Bed. f. d. Gesch. d. Wissenschaft u. d. Bildung" 1883 benutzt.

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3 Vgl. vor Allem die „kleine Antwort auf Herzog Georg's nähestes Buch"

die Mittel benutzte, welche ihm die mittelalterliche Kirche bot, wuchsen seine Anfechtungen und Qualen. Er hatte das Bewusstsein mit allen Mächten der Finsterniss zu ringen und sich im Kloster statt in der Gemeinschaft der Engel unter Teufeln zu befinden. Wenn ihn nachmals auf der Höhe seines Wirkens Kleinmuth überfiel, so bedurfte es nur der Erinnerung an jene klösterlichen Schrecknisse, um ihn wieder zu festigen. In dem Systeme von Sacramenten und Leistungen, dem er sich unterwarf, fand er die Gewissheit des Friedens nicht, die er suchte und die nur der Besitz Gottes selbst gewähren konnte. Er wollte sein Leben für Zeit und Ewigkeit auf einen Fels gründen den Wechsel des Mystikers zwischen Entzückung und Furcht hat er nicht erlebt; denn er war zu streng gegen sich selbst -, aber alle Stützen, die man ihm anpries, zerbrachen unter seinen Händen und der Boden wankte unter seinen Füssen. Er glaubte, mit sich und seiner Sünde zu kämpfen; aber in Wahrheit rang er mit der Religion seiner Kirche: eben das, was ihm Trost gewähren sollte, offenbarte sich ihm als der Schrecken. In solcher Noth ging es ihm langsam und allmählich an dem verschütteten kirchlichen Glaubensbekenntniss („ich glaube die Vergebung der Sünden"), und an der hl. Schrift auf, was die Wahrheit und die Kraft des Evangeliums sei. Auch Augustin's Glaubensauffassung von den ersten und letzten Dingen ist ihm dabei ein Leitstern gewesen. Aber

(Erl. Ausg. XXXI S. 273): „Ist je ein Münch gen Himmel kommen durch Müncherei, so wollt ich auch hinein kommen sein; das werden mir zeugen alle meine Klostergesellen." Nach katholischem Urtheil freilich hat es Luther im Kloster ganz verkehrt angefangen und durch seinen Hochmuth bewiesen, dass er nicht dorthin gehörte. Sein Hochmuth bestand aber lediglich darin, dass er es ernsthafter trieb als seine Genossen.

1 Eine der charakteristischsten Stellen s. a. a. O. S. 278 f.: „Und mir ward auch also Gluck gewuntscht, da ich die Profession gethan hatte, vom Prior, Convent und Beichtvater, dass ich nu wäre als ein unschüldig Kind, das itzt rein aus der Taufe käme. Und fürwahr, ich hätte mich gern gefreuet der herrlichen That, dass ich ein solcher trefflicher Mensch wäre, der sich selb durch sein eigen Werk, ohn Christus Blut, so schon und heilig gemacht hätte, so leichtlich und so balde. Aber, wiewohl ich solches süsses Lob und prächtige Wort von meinem eigen Werk gern hörete, und liess mich also für einen Wunderthäter halten, der sich selbs so liederlicher Weise künnt heilig machen, und den Tod fressen sampt dem Teufel u. s. w., so wollt es doch den Stich nicht halten. Denn wo nur ein klein Anfechtung kam vom Tod oder Sunde, so fiel ich dahin, und fand weder Taufe noch Müncherei, die mir helfen möcht; so hatte ich nu Christum und seine Taufe längest auch verloren. Da war ich der elendeste Mensch auf Erden, Tag und Nacht war eitel Heulen und Verzweifeln, dass mir niemand steuren kunnte... Gott sei Lob! dass ich mich nicht zu Tod geschwitzet habe, ich wäre sonst längst im Abgrund der Hölle mit meiner Münchtaufe. Denn ich kannte Christum nicht mehr, denn als einen gestrengen Richter, für dem ich fliehen wollt, und doch nicht entfliehen kunnte."

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