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6. Luther hat die formalen äusseren Autoritäten für den Glauben, wie sie der Katholicismus aufgerichtet hat, vernichtet. Dass er hier ebenfalls nicht nur mittelalterliche Aufstellungen getroffen, sondern die altkatholische Lehre beseitigt hat, ist unwidersprechlich. Da oben S. 582 ff. hiervon schon gehandelt ist, so sei hier nur das Nothwendigste zusammengefasst. Der Katholicismus, wie er überall in seiner Betrachtung das religiöse Erlebniss zuerst zersetzt hat, um es dann verständig zu bearbeiten, hatte auch hier die Unterscheidung zwischen der Sache selbst und der Autorität eingeführt. Diese Unterscheidung entspricht der Methode seiner Distinctionen überhaupt, die sich bald in der Differenzirung von Nothwendigkeit, Möglichkeit und Wirklichkeit, bald von Form und Sache, bald von Wirkung und Heilswirkung ergeht. Alle diese höchst verwirrenden Künste der Vernunft fehlen in den ursprünglichen Ansätzen Luther's. So ist auch ihm nicht die Unterscheidung eines formalen und materialen Princips aufzubürden 1; denn die Sache war ihm die Autorität und die Autorität die Sache. Diese aber ist der gepredigte geschichtliche Christus, das Wort Gottes. Von hier aus hat er die Einsicht und den Muth gewonnen, gegen die formalen Autoritäten des Katholicismus zu protestiren als gegen Menschensatzungen. Damit warf er aber das ganze System des Katholicismus, wie es seit Irenäus gezimmert war, über den Haufen; denn die Unverbrüchlichkeit dieses Systems ruhte lediglich auf den formellen Autoritäten: die fides, an welche die Kirchenväter und Scholastiker appellirten, war der Gehorsam unter die Kirchenlehre, der seiner Sache desshalb gewiss ist, weil jene Autoritäten angeblich unerschütterlich sind. Luther opponirte aber gegen alle diese Autoritäten, gegen die Unfehlbarkeit der Kirche, des Papstes, der Concilien und der dienstes sich erworben hat, wenn man sich die Nothwendigkeit nicht verschleiert, dass auf diesem Gebiet von den in Luther's reformatorischer Anschauung liegenden Principien aus ein wirklicher Neubau versucht werden muss. Aber wie auf anderen Gebieten, so liegt auch hier die Sache so, dass Luther selbst bereits die wirklich evangelischen Principien des Neubaus aus seiner religiösen Grundanschauung entwickelt hat und zwar in viel weiterem Umfang, als dies aus seinen Reform thaten und den auf diese bezüg lichen Schriften erkennbar ist." Der sichere Beweis hierfür ist in der Abhandlung selbst gegeben.

1 S. Ritschl in der Ztschr. für K.-Gesch. I S. 397 ff. Nach dieser Abhandlung wird jetzt mehr und mehr die Unterscheidung eines formalen und eines materialen Princips bei Luther aufgegeben. So sagen auch Thomasius-Seeberg II S. 345: „Das Princip des Protestantismus ist der rechtfertigende, von der hl. Schrift bezeugte, durch das Wort Gottes (durch den hl. Geist) gewirkte Glaube an Christum als den alleinigen Heiland." Allein im Folgenden wird diese Erkenntniss zu Gunsten des Schriftprincips zum Theil wieder verleugnet.

Kirchenväter in Bezug auf Glaubenslehren wie in Bezug auf ihre Schriftauslegung, gegen die Garantie, welche die Verfassung der Kirche der Wahrheit gewähren soll, und gegen jede Lehrformulirung der Vergangenheit als solche sie bedarf immer erst eines Erweises. Luther opponirte aber in derselben Zeit, in der er den Kampf gegen die Autorität der Concilien so tapfer führte, auch gegen die Unfehlbarkeit der Schrift, und wie konnte er anders? Wenn nur das Autorität ist, was auch Sache ist die Gebundenheit und die Freiheit des Christenstandes forderte dies, wie sollte da Autorität sein können, wo die Sache nicht deutlich erscheint oder gar ihr Gegentheil erscheint. Nie kann sich mit einem geschriebenen Wort, wäre es auch das klarste und sicherste, der Inhalt einer Person decken, die sich zu eigen giebt. So hat Luther auch zwischen Wort Gottes und hl. Schrift unterscheiden müssen. Gewiss, ein solches Buch, welches sich als sicheres Wort Christi und als apostolisches Zeugniss giebt, stellt im höchsten Sinn die Anforderung, dass es als Wort Gottes betrachtet wird. Aber dennoch liess sich Luther gerade in der schwersten Zeit, in der er die formelle Autorität des Buchstabens am nöthigsten zu haben schien - selbst durch das Apostolische nicht imponiren und den Mund stopfen. Welche Einschränkungen und Einbussen er sich selbst später zugezogen hat, darüber wird unten zu handeln sein; aber kein Zweifel kann bestehen, dass Luther's Stellung zum NT., wie er sie in den Vorreden" eingenommen hat, die correcte, d. h. die seinem Glauben entsprechende gewesen ist, und dass er durch seine Haltung gegenüber allen formalen Autoritäten des Katholicismus diesen an seinen geschichtlichen Anfängen aufgelöst hat.

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7. Endlich ist noch auf einen sehr wichtigen Punkt hinzuweisen. Luther hat sich an sehr vielen Stellen hinreichend deutlich darüber ausgesprochen, dass er seinen Gegnern die theologische Terminologie eben nur concedirt und sich selbst nur in derselben bewegt, weil er durch die Ueberlieferung an sie gewöhnt und der Gebrauch von unzutreffenden Worten nicht nothwendig von Uebel sei. Ueber die wichtigsten Termini hat er sich so ausgesprochen. Erstlich sind ihm alle die verschiedenen Bezeichnungen der Rechtfertigungslehre zuwider gewesen: iustificare, regenerari, sanctificare, vivificare, iustitia, imputare etc. etc.; er empfand sehr wohl, dass die blosse Mehrzahl eine bedenkliche Last für seine Auffassung bildete, und dass kein einziges Wort seiner Betrachtung ganz entsprach. Zweitens hat er in gleicher Weise das Wort satisfactio in jedem Sinn beanstandet; er will es den Gegnern eben nur noch durchlassen. Drittens hat er sich an dem Terminus „Kirche" (ecclesia) ge

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stossen; denn er verdunkelt oder verwirrt das, was einfach christliche Gemeinde, Sammlung oder noch besser eine heilige Christenheit heissen sollte. Viertens hat er das Bedenkliche des Wortes „Sacrament" sehr wohl bemerkt; er wollte es am liebsten ganz vermieden sehen und an die Stelle der missverständlichen Formel Wort und Sacramente" lieber das Wort allein gesetzt wissen oder mit Beibehaltung des Namens Sacrament von einem Sacrament und mehreren Zeichen reden 1. Fünftens hat er selbst einen solchen Terminus wie óμoobotoç für unerlaubt im strengen Sinn erklärt, weil es ein Unfug sei, solche Worte in der Glaubenslehre zu erfinden: indulgendum est patribus . . . . quod si odit anima mea vocem homousion et nolim ea uti, non ero haereticus; quis enim me coget uti, modo rem teneam quae in concilio per scripturas definita est? etsi Ariani male senserunt in fide, hoc tamen optime... exegerunt, ne vocem profanam et novam in regulis fidei statui liceret" 2. Ebenso hat er sich an den Worten Dreifaltigkeit“ „Dreiheit“ „unitas" „trinitas" gestossen und sie lieber vermieden. Doch waltet hier, wie die eben angeführten Worte beweisen, der Unterschied ob, dass er die Terminologien der mittelalterlichen Theologie meistens für irreführend und falsch, dagegen die Terminologien der altkirchlichen Theologie nur für unnütz und kalt gehalten hat. Allein noch von einer anderen Seite her hat er den ganzen Betrieb der Theologie, wie er seit den Tagen der Apologeten überliefert war, aufs ernstlichste beanstandet, und hier ist in noch höherem Masse seine Abkehr vom alten Dogma zum Ausdruck gekommen, als in dem Tadel einzelner Begriffe, nämlich in jener Unterscheidung des „für sich“ und „für uns", die sich so häufig bei Luther findet. Immer wieder und zu allen Zeiten hat er Bestimmungen der alten Dogmatik über Gott und Christus, über den Willen und die Eigenschaften Gottes, über die Naturen in Christus, über die Geschichte Christi u. s. w. mit der Bemerkung zurückgestellt: das hat er für sich", um dann unter der Formel das hat er für uns" oder einfach „für uns" seine neue Betrachtung, die ihm die Hauptsache, ja das Ganze ist, einzuführen. „Christus ist nicht darumb Christus genennet, dass er zwo Naturen hat. Was gehet mich dasselbige an? Sondern er träget diesen herrlichen und tröstlichen Namen von dem Ampt und Werk, so er auf sich genommen hat... dass er von Natur

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Erlang. Ausg. Opp. var. arg. V. p. 21: „tantum tria sacramenta ponenda... quamquam, si usu scripturae loqui velim, non nisi unum sacramentum habeam et tria signa sacramentalia."

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Mensch und Gott ist, das hat er für sich" 1. In diesem für sich" und für uns" kommt die neue Theologie Luther's und zugleich seine conservative Art am deutlichsten zum Ausdruck. Theologie ist nicht die Zerlegung und Beschreibung Gottes und der göttlichen Thaten vom Standpunkt der selbständig Gott gegenüberstehenden Vernunft, sondern sie ist das Bekenntniss des Glaubens zu seinem eigenen Erlebniss, d. h. zur Offenbarung. Damit aber ist die alte Theologie mit ihrer Metaphysik und ihrem Vorwitz abgethan 2. Wenn aber Luther nun doch unter dem Titel „Gott an sich" „der verborgene Gott" „der verborgene Wille in Gott" jene alten Lehren hat bestehen lassen, so bestehen sie eben nicht mehr als die eigentlichen Glaubenslehren. Darüber kann kein Zweifel aufkommen. Dass er sie aber nicht gänzlich abgethan hat, hat seinen Grund einerseits darin, dass er sie in der Schrift zu finden meinte, andererseits in einem Mangel an zusammenfassendem, systematischem Durchdenken der Probleme, auf den wir im folgenden Abschnitt einzugehen haben.

Nach dem, was in den beiden letzten Paragraphen über das Christenthum Luther's und über seine Kritik am kirchlichen Dogma ausgeführt worden ist, kann das Urtheil nicht anders lauten, dass in der Reformation Luther's das alte dogmatische Christenthum abgethan und eine neue evangelische Auffassung an die Stelle desselben gesetzt ist. Die Reformation ist wirklich ein Ausgang der Dogmengeschichte. Die positiven und die negativen Elemente der christlichen Lehre Luther's hängen aufs engste zusammen; diese sind die Folge, jene die Ursache. Wenn er mit dieser oder jener Formulirung der alten oder der mittelalterlichen Kirche noch zusammentrifft, so ist das, von hier aus angesehen, theils ein Schein, theils ein freies Zusammentreffen, welches niemals seinen Grund in der aprioristischen Unterwerfung unter die Tradition haben kann. Die formalen Autoritäten des Dogmas sind niedergerissen: damit ist es selbst als Dogma, d. h. als unverbrüchliche, vom

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2 S. Theod. Harnack, Luther's Theologie I S. 83: „Allein die Offenbarung verbürgt eine wahre und heilsame Erkenntniss »der wesentlichen Gottheit in ihr selbst<<. Ja die Christen allein können davon reden und haben diese göttliche Weisheit. Wohl stellt die Offenbarung an die Theologie bestimmte Bedingungen und legt ihr Schranken auf, aber diese bestehen nicht in jener eigenmächtigen und trostlosen Scheidung von Gottes Wesen und Offenbarung, sondern sind theils objectiv, in dem Inhalt, dem Mass und dem Zweck der Offenbarung selbst gegeben, theils beziehen sie sich subjectiv auf das mit dem Object selbst gesetzte Princip und die dadurch bedingte Art und Tendenz des theologischen Erkennens.“

hl. Geist gestellte Lehrordnung, abgethan. Aber es taucht auch keineswegs in der alten Gestalt, nun aber als Inhalt des frommen Glaubens wieder auf, vielmehr erscheint die pura doctrina evangelii gegenüber der alten Dogmatik als eine neue; denn alle jene verständigen Zersetzungen des Glaubensinhalts, durch welche derselbe in Metaphysik, natürliche Theologie, Offenbarungslehre, Sacramentslehre und Moral zerspalten wurde, sind entfernt. Die Revision hat sich damit bis über das 2. Jahrhundert der Geschichte der Kirche hinauf erstreckt, und sie ist überall eine radicale. Der Dogmengeschichte, wie sie im Zeitalter der Apologeten, ja der apostolischen Väter begonnen hat, ist ein Ende gemacht.

Damit ist das Werk Augustin's endlich zum Abschluss gekommen; denn bereits dieser grosse Mann hat, wie wir im zweiten Buche gezeigt haben, den Anfang damit gemacht, durch Rückgang auf den Paulinismus die herrschende dogmatische Ueberlieferung zu brechen, kräftig umzubilden und die Theologie dem Glauben zurückzugeben. Aber der Skeptiker machte bei den formalen Autoritäten des Katholicismus Halt, und der Neuplatoniker wollte das Schwelgen im All-Einen nicht lassen: dazu, die Kraft des Glaubens an Gott als den Vater Jesu Christi wusste sich Augustin noch nicht sicher anzueignen. So hat er seiner Kirche mit einer Aufgabe ein complicirtes und verwirrtes Erbe hinterlassen, das alte Dogma, und neben ihm herlaufend eine neue innere Frömmigkeit, die sich in ganz anderen Gedanken bewegte als das Dogma. Diese Haltung zeigt schon am Anfang des Mittelalters Alcuin, und von Bernhard ab hat der Augustinismus, zum Theil um werthvolle Elemente vermehrt, fortgewirkt. Gewiss steht Luther in mancher Hinsicht einem Irenäus und Athanasius näher als den Theologen des 14. und 15. Jahrhunderts; aber in vieler Hinsicht steht er jenen ferner als diesen, zum deutlichen Beweise, dass die innere Entwickelung der Christenheit im Mittelalter keine bloss rückläufige oder gänzlich verfehlte gewesen ist. Wenn Luther selbst mit einem Tauler oder Bernhard brechen musste, wie viel mehr mit Augustinus und Irenäus! Die Reformation ist der Ausgang der Dogmengeschichte, weil sie diesen Ausgang so bringt, wie er innerhalb der Geschichte der Frömmigkeit von Augustin begründet und dann in dem folgenden Jahrtausend vorbereitet worden war. Sie hat den evangelischen Glauben aufgerichtet an Stelle des Dogmas, indem sie den Dualismus von dogmatischem Christenthum und praktisch - christlicher Selbstbeurtheilung und Lebensführung aufgehoben hat.

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