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Aber sie hat eben den Glauben selbst und seine Gewissheit in das Centrum der praktisch-christlichen Selbstbeurtheilung und Lebensführung gesetzt. Damit hat sie dem theoretischen Element man den sicheren Glauben an die Offenbarung, d. h. an den Gott, wie er in Christus offenbar ist, so bezeichnen will eine unmittelbare Bedeutung für die Frömmigkeit verliehen, wie sie die mittelalterliche Theologie nie gekannt hat. Summa esto: charitas nostra pro vobis mori parata est, fides vero si tangitur, tangitur pupilla oculi nostri." Nichts ist daher unrichtiger als jene weit verbreitete Meinung, die Aufhebung des dogmatischen Christenthums durch Luther sei gleichbedeutend mit einer Neutralisirung jeder fides quae creditur überhaupt: es komme nur noch auf fromme Gefühle an. Ein thörichteres Missverständniss der Reformation Luther's ist undenkbar; denn es gilt vielmehr genau das Umgekehrte von ihr: sie hat dem Glauben und damit der Glaubenslehre in dem Sinne, in

welchem dieselbe nichts Anderes ist als die Lehre von Christus - nach den Unsicherheiten des Mittelalters, die am Anfang des 16. Jahrhunderts ihren höchsten Grad erreicht hatten, erst wieder ihr souveränes Recht zurückgegeben und zum Schrecken aller Humanisten, Kirchenmänner, Franciskaner und Aufklärer die Theologie, d. h. die wahre theologia crucis, als die entscheidende Macht in der Kirche aufgerichtet. Das Dogma, welches stets nur gelehrt hat, wie die Erlösung möglich sei, und desshalb überhaupt nicht im Centrum der Frömmigkeit stehen konnte, ist von jener Glaubensverkündigung abgelöst worden, welche den Glauben selbst erzeugt und erbaut und daher die souveräne Stellung in der Religion als ihr Recht in Anspruch nimmt. Luther ist vom Mittelalter zur alten Kirche zurückgekehrt, indem er den ungeheuren Stoff der Glaubenslehre wieder auf die Christologie reducirt hat. Allein er unterscheidet sich von der alten Kirche darin, dass er es unternommen hat, den Glauben an die Offenbarung in Christus so zu gestalten, dass diese nicht nur als eine Bedingung unserer Seligkeit erscheint, sondern objectiv und subjectiv - als der allein wirksame Factor.

Ist hiermit aber der Umschwung der Dinge bezeichnet, dann lässt es sich wohl verstehen, dass die grosse Aufgabe, um deren Durchführung es sich handelte, von Luther selbst nicht rein vollzogen werden konnte. Ein übermenschlicher Geist wäre nöthig gewesen, um hier Alles correct durchzudenken und zu ordnen; denn es handelte sich um eine Doppelaufgabe, die fast wie ein Widerspruch schien und doch keiner war: die Bedeutung des Glaubens als Inhalt

der Offenbarung in den Mittelpunkt zu rücken gegenüber allem Meinen und Thun und so das zurückgedrängte theoretische Element hervorzuholen, und doch andererseits nicht jenen Glauben einfach hinzunehmen, den die Vergangenheit gebildet hatte, vielmehr ihn in der Gestalt zu zeigen, in der er Leben ist und Leben schafft, Praxis ist, aber Praxis der Religion. Aus der Grösse dieses Problems erklärt sich auch der Rückstand jener Elemente in Luther's Theologie, der dieselbe verwirrt und das Urtheil, die Reformation sei der Ausgang der Dogmengeschichte, erschüttert hat.

4. Die von Luther neben und in seinem Christenthum fest

gehaltenen katholischen Elemente.

Wie wenige oder wie viele katholische Elemente in dem Christenthum Luther's enthalten sein mögen so viel steht bereits nach dem bisher Ausgeführten fest, dass sie zwar zum „ganzen Luther" gehören, nicht aber zum ganzen Christenthum" Luther's. Wie Neander, Ritschl1 und viele Andere, so hat auch Loofs geurtheilt: „Die Entwickelung der lutherischen Reformation würde zu einem anderen dogmengeschichtlichen Abschluss gekommen sein, als es schliesslich der Fall war, wenn Luther die Consequenzen, die aus seinen Grundgedanken folgen, vollständig und der gesammten Tradition gegenüber durchgreifend geltend gemacht hätte. Die gebliebenen Fragmente des Alten haben später (nicht schon gleich Anfangs?) eine Verkümmerung der neuen Gedanken der Reformation verursacht." Die Frage, ob nicht Luther in den Jahren 1519 bis c. 23 einen Anlauf genommen hat, der durchgreifendere Reformen verhiess, wird von der neuesten Lutherforschung in der Regel verneint, nachdem H. Lang3 und Andere sie in unvorsichtiger und unhaltbarer Weise bejaht hatten. Allein m. E. lässt sich die Verneinung ohne grosse Vorbehalte nicht aussprechen. Es handelt sich m. E., wie oben (S. 692) bereits bemerkt wurde, nicht sowohl um zwei Perioden in der reformatorischen Wirksamkeit Luther's, als vielmehr um eine grosse Episode in diesem seinem Wirken, in welcher er über seine eigenen Grenzen hinausgehoben worden ist. Doch mag dies hier auf sich beruhen. Es gilt in diesem Zusammenhang zunächst die Gründe aufzudecken, die es Luther ermöglicht haben, soviel Altes, ja das altkatholische Dogma selbst, neben

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4 Ich freue mich, aus den Andeutungen Weingarten's, Zeittafeln und

Ueberblicke, 3. Aufl. S. 167-170, zu ersehen, dass er ähnlich urtheilt.

dem Neuen beizubehalten und mit ihm zu verflechten. Wir werden dabei an die Ausführungen anknüpfen können, die wir oben S. 691 ff. gegeben haben. Sodann werden die wichtigsten Gruppen altdogmatischer Lehren Luther's kurz darzustellen und zu beleuchten sein.

I, 1. Luther trat für den Glauben ein im Gegensatz zu jeglichem Werk, für die doctrina evangelii im Gegensatz zu den Leistungen und Processen, die den Menschen angeblich gerecht machen sollen. Daher stand er in Gefahr, jegliche Ausprägung des Glaubens sich anzueignen oder doch gelten zu lassen, wenn sie nur frei erschien von Gesetz und Leistung, Werk und Process (s. den Nachweis oben S. 698 f.). Dieser Gefahr ist er verfallen. Demgemäss trübte sich auch sein Kirchenbegriff. Der Begriff der Kirche (Gemeinschaft des Glaubens, Gemeinschaft der reinen Lehre) wurde so zweideutig wie der Begriff der doctrina evangelii.

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2. Luther glaubte nur gegen die Missbräuche und Irrthümer der mittelalterlichen Kirche zu kämpfen. Zwar erklärt er nicht selten, dass er mit den lieben Vätern" nicht zufrieden ist, und dass sie Alle in die Irre gegangen sind'; allein er ist nicht klarblickend genug gewesen, um sich zu sagen, dass, wenn die Kirchenväter im Irrthum gewesen sind, auch ihre Beschlüsse auf den Concilien unmöglich die volle Wahrheit enthalten können. A eusserlich fühlte er sich freilich gar nicht mehr an jene Beschlüsse gebunden, ja er zeigte sogar, z. B. in der Schrift von den Conciliis und Kirchen, leuchtende Blitze einschneidender Kritik; allein im Ganzen blieben sie ohne Wirkung. Immer wieder fiel er in die Betrachtung zurück, als habe nur der leidige Papst alles Unheil verschuldet, und als läge desshalb aller Schaden nur im Mittelalter. So wurde von dieser Seite her das günstige Vorurtheil, welches er für die Glaubensformeln der alten Kirche hatte, weil sie nicht mit Werken und Gesetz umgehen, nur noch verstärkt; ja es wirkte, ihm selbst unbewusst, hier doch noch ein Rest jener Vorstellung, dass die empirische Kirche Autorität sei, nach.

3. Luther kannte die alte Kirchen- und Dogmengeschichte viel zu wenig, um sie wirklich kritisiren zu können. Zwar wird man, wenn einst Alles zusammengestellt sein wird, was er durchstudirt hat, staunen, wie viel er auch hier gewusst hat; allein er konnte doch nicht mehr wissen, als sein Jahrhundert wusste, und es gab Manche, die ihm an patristischen Studien überlegen waren. In den Geist der Kirchenväter hat er sich nie versenkt; andererseits lag ihm zu allen Zeiten eine abstracte Kritik ganz fern: dann aber blieb nur eine conservative Hal

1 S. das im 1. Bd. (2. Aufl.) S. 277 n. 2 angeführte Citat.

tung übrig. Luther hat sie eigentlich nur dann sicher aufgegeben, wenn er die Väter auf den Wegen des Pelagius wandeln sah.

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4. Luther rechnete sich und sein Unternehmen stets in die eine Kirche, die er allein kannte, in die katholische Kirche (wie er sie verstand) ein. Er behauptete, dass diese Kirche ihm den Rechtstitel zur Reformation selbst gebe. Das war richtig, wenn es richtig war, dass die empirische Kirche nur so weit Kirche ist, als sie Gemeinschaft des Glaubens ist; allein es war falsch, sofern die katholische Kirche factisch bereits etwas ganz Anderes war nämlich ein auf bestimmten heiligen Statuten ruhender Staat. Diese katholische Kirche aber betrachtete Luther als eine vorübergehende, wenn auch bereits recht alte Missbildung, die überhaupt keine Rechte besitzen konnte. So glaubte er, in der alten Kirche bleiben zu können, ja sei es auch mit wenigen Freunden selbst die alte, wahre Kirche zu sein. Diese merkwürdige Betrachtung, die sich aus dem Idealismus des Glaubens erklärt, ermöglichte es Luther, die katholische Kirche preiszugeben und zu zertrümmern, dabei aber zu behaupten, selbst in der alten Kirche zu stehen. War er bei solcher Haltung auch so glaubensfest, dass es ihn nicht kümmerte, wie gross oder wie gering die Zahl derer sei, die in der Gegenwart ihre Kniee nicht vor Baal beugten, so hatte er doch das höchste Interesse daran zu zeigen, dass er die Kirche vertrete, die von Jahrhundert zu Jahrhundert existirt hat. Von hier aus erwuchs ihm die Pflicht, nachzuweisen, dass er in einer geschichtlichen Continuität stehe. Woran aber war das sicherer nachzuweisen als an den Glaubensformeln der alten Kirche, die noch immer in Kraft standen?

5. Luther hat nie den Antrieb stark empfunden, aus dem Innersten der von ihm gewonnenen neuen Anschauung vom Ganzen des Christenthums heraus eine systematische Darstellung des Ganzen zu liefern und pünktlich aufzuweisen, was bleibt und was fällt. Er schaltete in der Theologie wie ein Kind im Hause, Altes und Neues hervorholend und immer nur den nächsten praktischen Zweck im Auge habend. Um die Berichtigung theoretischer Irrthümer als solcher war es ihm gar nicht zu thun; nach der Helligkeit eines geordneten Lehrgebäudes hatte er nicht die geringste Sehnsucht; aber so wurde seine Kraft auch seine Schwäche1.

6. Luther hat die alten Lehren so benutzt, dass er in jedem Schema das ganze Christenthum zum Ausdruck gebracht hat, d. h. er deutete jedes Schema in dem Sinne seiner Auffassung vom Ganzen des Christenthums; was darüber hinaus in der Formel lag, das kümmerte ihn wenig,

1 Hier liegt die strenge Parallele zu seiner Massnahme in Bezug auf den Kultus, von der oben S. 726 die Rede gewesen ist.

wenn er es auch gelten liess. Diese eigenthümliche Haltung machte es ihm möglich, sich auch an sehr Fremdes anzupassen (s. oben S. 710). 7. Luther hat im Princip für eine gesunde geschichtliche Exegese die Bahn gebrochen; aber wie viel fehlte noch seinem Jahrhundert und ihm zu der wirklichen Ausführung! Im Einzelnen ist er fast überall noch ein mittelalterlicher Exeget, befangen in allen Vorurtheilen dieser Exegese, in der Typologie und in der Allegoristik trotz mancher Proteste. Wenn er auch grundsätzlich die Freiheit des Schriftverständnisses von der Autorität der kirchlichen Ueberlieferung verlangt hat, so steckte er doch noch selbst tief in dieser Ueberlieferung drinnen. Er durchbrach sie, wo es sich um die Rechtfertigung handelte, aber er durchbrach sie dann auch in Bezug auf solche Schriftstellen, die von der Rechtfertigungslehre oder vom Glauben schlechterdings nichts oder nur Fremdes enthielten. Unter solchen Umständen kann es nicht auffallen, dass er die Trinitätslehre, die Zweinaturenlehre u. s. w. in der hl. Schrift, und zwar auch im AT., gefunden hat. Aber man muss hier noch mehr sagen - er hat überhaupt, so wenig wie die allermeisten seiner Zeitgenossen ein geschichtliches Verständniss besessen. Die Geschichte im höchsten Sinn des Worts war ihm ein verschlossenes Buch. Weder für die Relativität des Geschichtlichen noch für das Wachsen und Werden der Erkenntniss innerhalb der Geschichte hat er einen Sinn gezeigt. Wie sollte er unter solchen Umständen im Stande gewesen sein, das richtig zu ermitteln, was die Schrift als geschichtliche Urkunde enthält? Wie kann aber eine reine Ausdrucksform für das Wesen des Christenthums erwartet werden, wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist?

Die bisherigen Erwägungen haben fast durchweg solche Schranken aufgewiesen, die in der eigenthümlichen Haltung des Reformators als Reformator oder in dem geistigen Zustande des Zeitalters gegeben waren und daher gar nicht übersprungen werden konnten. Allein es haben Luther's Gesammthaltung auch solche Schranken begrenzt, die keineswegs unter diese Betrachtung fallen, vielmehr seiner Haltung als Reformator entgegengesetzt sind. Wenn ich recht sehe, sind es vornehmlich folgende2:

1 Man darf bei diesem Urtheil allerdings nicht vergessen, dass seine heroische Genialität an entscheidenden Punkten ihn das Richtige hat sehen lassen.

2 Ich möchte in das folgende Schema nicht die Erinnerung daran aufnehmen, in wie viel grobem Aberglauben Luther befangen gewesen ist, und zwar auf allen möglichen Gebieten. Ich rechne dazu nicht seinen Teufelsglauben, denn der gehört in ein anderes, für meine Erfahrung incommensurables Gebiet; aber man kann zur Bestimmung seiner Gesammthaltung als Confessionsstifter doch von der Thatsache nicht absehen, dass er abergläubischer gewesen ist als viele seiner Zeitgenossen, ja

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