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Aber wie Augustin für seine Person gewusst hat, wovon seine Seele lebte, und wie er es verstanden hat, davon in lebendiger Rede, ja in einigen Ausführungen auch lehrhaft, zu zeugen, so hat er auch nach dieser Seite auf die Folgezeit mächtig eingewirkt. Er ist nicht nur der Vater der katholischen Gnadenlehre, sondern auch jener Mystik geworden, die bis zum Tridentinum, ja bis zum jansenistischen Streit Bürgerrecht innerhalb der katholischen Kirche besessen hat. Er hat an mehr als hundert Stellen seiner Werke, er hat vor Allem durch seine christliche Persönlichkeit den Antrieb gegeben, ein Leben mit Gott zu gewinnen, innerhalb welches man in der Gnade den persönlichen Gott selbst ergreift. Man darf hier auch an seine Prädestinationslehre erinnern. Sie hat unstreitig eine ihrer Wurzeln an dem Gedanken der Souveränetät des persönlichen Verhältnisses zu Gott. So ist sie auch überall verstanden worden, wo sie in der Folgezeit das Mittel gewesen ist, sich den verderblichen Folgen der kirchlichen Gnaden- und Sacramentslehre zu entziehen. Aber allerdings lässt sich nicht verkennen, dass Augustin, wo er seine bedenkliche Gnadenlehre zurückschiebt, dann auch sofort in Gefahr gerathen ist, die Bedeutung Christi überhaupt zu neutralisiren. Christi Werk bezieht sich und erschöpft sich nach Augustin in der Sündenvergebung. Aber das, was der Christ zur Seligkeit nothwendig hat, erschöpft sich, wie wir in dem gleich Folgenden sehen werden, keineswegs in der Sündenvergebung. Daher ist die Gnadenlehre relativ unabhängig von dem geschichtlichen Christus. Diese Gefahr, die positive Gnade ohne Beziehung auf Christus zu fassen, oder sie mit Christus nur in der Form ästhetischer Betrachtungen in Beziehung zu setzen, hat fortgewirkt. Erst Luther, der vom Augustinismus ausgegangen ist, hat sie überwunden, sofern er, wenn er sich auf Gott bezog, überhaupt nur an den Gott dachte, wie er ihn in Christus kannte. Daran war Augustin durch seine Religionsphilosophie und auch durch seinen Biblicismus verhindert, die sich beide mit selbständigen Ansprüchen bei ihm geltend machten. So ist es gekommen, dass er die Frömmigkeit der abendländischen Christen sowohl durch eine Gnadenlehre bestimmt hat, die den niederen Antrieben derselben entgegenkam, als durch eine Verkündigung der Unmittelbarkeit des religiösen Verhältnisses, welche der Bedeutung Christi als des Spiegels des väterlichen Herzens Gottes und als des bleibenden Mittlers nicht gerecht wurde. Hier wie dort hat er Elemente ausgeprägt und lebendig gemacht, die in der überlieferten Lehre nur als todte Stoffe oder als verkümmerte Keime vorhanden waren.

3. Augustin theilte mit der ganzen Christenheit seiner Zeit den Gedanken als den entscheidenden, dass einst vor dem Richterstuhl

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Christi ein Jeder empfangen wird, darnach er gehandelt hat", und Niemand wird die Christlichkeit dieses Gedankens in Zweifel ziehen. Allein Augustin ging noch einen Schritt weiter und recipirte auch die von Tertullian und Cyprian her in der Kirche geläufige Vorstellung der merita. Er wusste es nicht anders, als dass bei der schliesslichen Entscheidung nur merita in Betracht kommen können. Mit seiner Gnadenlehre aber vermittelte er diesen Satz dadurch, dass er lehrte, Gott kröne seine munera, indem er unsere merita kröne1. Hiermit schien beiden Erwägungen entsprochen zu sein, und die Sicherheit, mit welcher sich diese Auffassung in der Kirche durchsetzte, scheint dafür zu bürgen, dass die richtige Betrachtung nun getroffen sei. Allein erstlich fragt es sich, ob nicht die Amphibolie jener Vermittelung zu ihrer Einbürgerung beigetragen hat; zweitens muss es auffallen, dass über den Glauben in dem Satze völlig geschwiegen ist. Wir stehen hier wiederum an einem Punkte, wo Augustin bei seiner Reformation der herrschenden Frömmigkeit dieser einen sehr bedeutenden Tribut bezahlt hat. Unzweifelhaft hat er die Bedeutung und Kraft des Glaubens in ergreifender und neuer Weise zum Ausdruck gebracht. Wer nicht auf die Formeln achtet, sondern auf den Geist, wird überall in den Werken Augustin's einen Strom paulinischen Glaubens finden. Vor ihm haben nur seine Lehrer Victorinus und Ambrosius in einigen Ausführungen ähnlich gesprochen. Stellen, in denen Augustin den Glauben als das Element, in welchem die Seele lebt, als Anfang, Mitte und Ende der Frömmigkeit gepriesen hat, lassen sich zahlreich anführen. Allein innerhalb der dogmatischen Reflexion hat Augustin höchst unsicher, ja in der Regel nicht anders als seine Vorgänger vom Glauben geredet. Verschiedene Momente trafen hier zusammen. Erstens war es einfach die Macht der Ueberlieferung, die ihn in dem Glauben nicht mehr als einen Act der Initiation erkennen liess. Zweitens haben ihn Schriftstellen zu der Annahme angeleitet, dass schliesslich vor Gott doch noch etwas

1 S. z. B. Confess. IX, 34: „Quisquis tibi enumerat vera merita sua, quid tibi enumerat nisi munera tua." Ep. 194 n. 19: „cum deus coronat merita nostra, nihil aliud coronat quam merita sua." De gratia et lib. arb. 15: „Dona sua coronat deus, non merita tua . . . si ergo dei dona sunt bona merita tua, non deus coronat merita tua tamquam merita tua, sed tamquam dona sua." De gestis Pelag. 35: „Redditur quidem meritis tuis corona sua, sed dei dona sunt merita tua." De trinit. XIII, 14: Et ea quae dicuntur merita nostra, dona sunt eius etc." XV, 21: „Quid animam faciet beatam, nisi meritum suum et praemium domini sui? Sed et meritum eius gratia est illius, cuius praemium erit beatitudo eius." De praedest. sanct. 10. Eben desshalb bleibt der Grundsatz bestehen, dass die Gnade nicht secundum merita nostra verliehen wird.

anderes in Betracht kommen müsse als der Glaube, nämlich das habituelle Gutsein (Gerechtigkeit). Drittens endlich hat er die Bedeutung der Sündenvergebung eingeschränkt. Das Letztere ist bei ihm das Paradoxeste und doch hier das Wichtigste. Er, für den die Gewissheit, einen Gott zu besitzen, das Höchste gewesen ist, und der seiner ganzen Zeit zugerufen hat: "Nondum considerasti, quanti ponderis sit peccatum", hat sich nie die strenge Beziehung vergegenwärtigt, die zwischen dem Glauben und der Sündenvergebung besteht, und er hat sich nie klar machen können, dass die Gewissheit der Sündenvergebung Leben und Seligkeit ist. An diesem Punkte tritt plötzlich das Moralische mit souveräner Gewalt in die religiöse Reflexion ein. Es ist, als ob sich Augustin hier den quietistischen Folgen seiner Doctrin (s. oben) habe entziehen wollen und in dem Unvermögen, aus dem Glauben an die Sündenvergebung die Kräfte des Guten abzuleiten, von dem Glauben zu den Werken abgesprungen sei. Oder hinderten ihn die religionsphilosophischen und kosmologischen Reste, die seiner Theorie von der Religion noch anhaften, an der reinen Erkenntniss, dass die Religion in dem Glauben an die Sündenvergebung beschlossen ist? Oder ist diese Erkenntniss selbst vielmehr eine irrige, undurchführbare, die Kraft der sittlichen Anspannung lähmende? Diese Fragen sollen hier nicht untersucht werden. Thatsache ist, dass, weil Augustin die Sündenvergebung als etwas Vorläufiges betrachtete, er auch den Glauben als ein Vorläufiges fasste. Sieht man genau zu, so ist ihm innerhalb der dogmatischen Theorie die Sünde nicht Schuld, sondern Schaden und Krankheit. Derselbe Mann, der nach einem dauernden Verhältniss mit Gott gerungen und es gefunden hat, ist nicht im Stande gewesen, das, was er erfahren, als Lehre richtig wiederzugeben und auszusprechen. Er lenkt in die herkömmliche moralistische Betrachtung ein, sofern er in der Gnadenlehre nicht an die Feindschaft wider Gott, sondern an die Seuche der Sünde denkt, nicht an die Kindschaft, sondern an die Herstellung eines solchen Zustandes, in welchem der kranke Mensch befähigt wird, gut d. h. sündlos zu werden. Darum ist der Glaube nur etwas Vorläufiges, und daher ist es so schwer, Augustin's Auffassung von der Sündenvergebung zu bestimmen. Sie scheint doch ganz wesentlich identisch gewesen zu sein mit der äusserlichen magischen Vorstellung seiner Vorgänger, nur dass er die Vergebung sicherer als eine That Gottes fasste, deren sich auch der Getaufte

1 In seinem 177. Briefe z. B. (ad Innocent. c. 4) erklärt er es ausdrücklich für einen Irrthum, wenn man sage, die gratia sei das liberum arbitrium oder die remissio peccatorum.

fort und fort getrösten dürfe. Allein er dachte über sie selten so nach, dass er die Gewissheit über sie als etwas betrachtete, wodurch die Seele Kraft und Flügel empfängt. Er blieb wesentlich bei dem Eindruck stehen, dass etwas durch sie thatsächlich weggeräumt sei, freilich das Schwerste, die Sünde. Aber die Unvollziehbarkeit dieser Vorstellung wird immer einen geheimen Zweifel übrig lassen. Augustin bewegt sich daher trotz seiner neuen Empfindung vollkommen in dem alten Schema, wenn er die Sündenvergebung zu ergänzen und zu überthürmen suchte und sich nach einem Positiven umsah, was nun neben der negativen Wirkung einzutreten habe. Er findet es in der Liebe. Nicht in dem Glauben, sondern nur in der Liebe vermag er die Kraft zu erkennen, die das Innere eines Menschen wirklich ändert, die ihm ein neues Verhalten giebt. Nun ist es ihm aber auch trotz der entgegenstehenden empirischen Bedenken nicht zweifelhaft, dass Liebe eingegossen werden kann wie eine Medicin. Dessen gewiss, dass Gott allein Alles wirkt, überträgt er die Vorstellung, die bei dem Glauben (Vertrauen) zutreffend ist dass er aufhört, er selbst zu sein, wo er sich anders empfindet als ein opravov λnatixóv —, auf die Liebe, als könne dieselbe auch ebenso einfach als munus dei per Christum betrachtet werden. Die Folge dieser Betrachtungen ist, dass Augustin einen stufenweise fortschreitenden Heiligungsprocess für die zutreffendste Beschreibung des Verhältnisses der frommen Seele zu Gott gehalten hat. Hier glaubte er alle berechtigten Erwägungen unterbringen zu können, die grundlegende Bedeutung des Glaubens, die Fassung der (sacramentalen) Gnade als Anfang, Mitte und Ende, das Bedürfniss nach positiven Kräften, die im Stande sind, die Zustände im Menschen zu ändern, die Einsicht, dass nur der Gerechte selig werden könne und dass gerecht Niemand sei, dessen Werke nicht vollkommen seien, d. h. die Nothwendigkeit von Verdiensten u. s. w. Er glaubte einen Ausgleich gefunden zu haben zwischen den Ansprüchen der Religion und der Sittlichkeit, der Gnade und der Verdienste, der Lehre vom Glauben und der Eschatologie. Die allmächtige Liebe wurde ihm das Princip, welches Alles bindet, Alles trägt. Glaube, Liebe, Verdienst waren ihm die Stufenfolge des Weges zur Seligkeit, und diese Betrachtung hat er der katholischen Kirche der Folgezeit und ihrer Frömmigkeit bis heute eingeprägt. Es ist das alte Schema des Processes der zur Seligkeit führenden Heiligung, aber so umgebildet, dass die Gnade auf allen Stufen wirkt. So trefflich und für manche Entwickelungsstufen zweckmässig diese Auffassung erscheint, so lässt sich doch nicht verkennen, dass Augustin in ihr hinter seiner eigenen Erfahrung zurückgeblieben ist,

und dass er wider seinen Willen das Religiöse dem moralisch Guten doch untergeordnet hat; denn diese Unterordnung ist keineswegs durch die Gleichung,,nostra merita, dei munera" ausgeschlossen. Wo merita eine Rolle spielen, da ist verkannt, dass es ein Verhältniss zu Gott giebt, welches sich unter Schwachheit und Sünde ebenso behauptet, wie mitten im Elend und im Tode 1.

seine Erkenntniss von der Liebe

Das hat auch Augustin geahnt, und er hat der Kirche, welcher er seine Lehre vom Glauben, von der Liebe und dem Verdienst überliefert hat, desshalb auch die Keime einer Auffassung mitgetheilt, welche jener Lehre tödtlich sein mussten. Sie liegen nicht nur in seiner Prädestinationslehre beschlossen, sondern mindestens ebensosehr in jeder Stelle seiner Schriften, wo er das Bekenntniss zum Ausdruck bringt: „Mihi adhaerere deo bonum est". In diesem Bekenntniss fällt das religiöse Gut und das sittlich Gute zusammen und ist auf den Quellpunkt zurückgeführt, auf Gott. Aber auch abgesehen hiervon „et in hac vita virtus non est nisi diligere quod diligendum est; faciunt boni amores bonos mores" - ist so zutreffend und gewaltig gewesen, dass jede Kritik wie vorwitzige Kleinmeisterei erscheint. Dennoch wird man sie vom Standpunkt des Evangeliums üben müssen. Es ist schon oben bemerkt worden, dass Augustin's Gnadenlehre als Lehre von der eingeflössten Liebe neutral ist gegenüber dem Werk des geschichtlichen Christus. Desshalb hat er auch eine doppelte Christologie, einerseits ist Christus Gott, unus ex trinitate, andererseits der erwählte Mensch, der ebenso unter der Gnade stand wie wir. Alles das geht letztlich darauf zurück, dass er die Bedeutung der Sündenvergebung und des Zöllnerglaubens unterschätzte, dass seine Frömmigkeit noch nicht einfach genug war 2.

4. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass Augustin als Reformator der christlichen Frömmigkeit den Charakter derselben als

1 Nicht minder aber ist die letzte und höchste Frage nach der Heilsgewissheit noch verkannt.

2 Der Vorzug der augustinischen Heiligungsauffassung scheint eingeräumt werden zu müssen, dass er durch sie das quietistische Moment, welches als Gefahr seiner Gnadenlehre anhaftet, corrigirt hat. Allein bei genauerem Zusehen ergiebt sich, dass er bei der Liebe nicht sicher an sittliche Bethätigung im Dienst des Nächsten denkt, sondern an Gefühle, resp. an solche Liebeswerke, die ihren Werth mindestens ebensosehr an dem Reflexiven haben, wie an der Hülfeleistung. Auch hier ist er über die Linie der altkatholischen Christen, Cyprian's und Ambrosius', in sehr vielen Ausführungen nicht hinausgekommen: vermittelst der caritas sorgt man am besten für sich selber und wird Gott gefällig, indem man sich des Weltlichen entäussert.

Harnack, Dogmengeschichte III.

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