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Hochverehrte Versammlung!

Mit dem heutigen Tag und mit dieser Stunde, welcher Ihre ehrenvolle Gegenwart den Character eines Festes verleiht, schliessen wir Lehrer abermals ein Jahr unseres Berufslebens, unsere Schüler ein Jahr ihrer Vorbildung ab. Auch Sie, verehrteste Anwesende, fühlen sich bei allem, was dieses Jahr in sich schloss an Förderung unserer Arbeit und an Hemmung derselben, betheiligt, als Glieder unseres gesamten Vaterlandes, dem wir seine künftigen Sprecher und Verwalter erziehn, als Bürger dieser Stadt, deren Ehre, Ruhm und Stolz an die Pflege der geistigen Bildung geknüpft ist, und mehr noch als Väter und Mütter unserer Zöglinge.

Die öffentlichen Prüfungen, welche vor wenig Tagen unter Ihren Augen mit jener Redlichkeit und jede Täuschung, jeden Prunk und jeden falschen Schein verschmähenden Offenheit abgehalten wurden, in deren Anerkennung wir unsern Stolz und Sie Ihr Zutrauen setzen, diese Prüfungen können an meiner Statt ein Zeugniss ablegen, ob und wie weit die Lehrer ihre Pflicht erfüllt und ihre Aufgabe gelöst haben. An wohlwollender Fürsorge unserer väterlich gesinnten Kreisregierung, an gewissenhafter Thätigkeit der Lehrer, meist auch an gutem Willen unserer Schüler hat es nicht gefehlt, aber auch an Hemmungen nicht, gross genug, den Erfolg

*) Gehalten bei der öffentlichen Preisvertheilung am 29. August 1835.

unseres Bemühens im ganzen zu beschränken, und uns für das, was zu wünschen übrig geblieben, hinreichend zu entschuldigen. Mit gleichviel Bedauern für die Sache als mit Theilnahme für die Person ist Ihnen bewusst, dass einer der thätigsten Lehrer durch unverschuldete Leiden der verschiedensten Art einen grossen Theil des Jahres hindurch seinem Beruf entzogen wurde und durch seine Abwesenheit nicht blos Eine, sondern zwei Klassen zugleich der Verwaisung preisgeben musste. Aber auch ein älteres Uebel, an welchem die Anstalt leidet, währt gleichzeitig fort; die oberste Klasse des Gymnasiums entbehrt fortdauernd eines eigenen Lehrers, gerade diejenige Klasse, welche die reifsten und erwachsensten unserer Schüler unmittelbar für die höheren Studien vorbereiten und von der Schule auf die Academie hinüberführen soll. Bis die Königliche Gnade durch eine neue Dotation die Möglichkeit an die Hand giebt, diesem Mangel abzuhelfen, sah ich für den Augenblick kein anderes Mittel, als selbst in die Lücke zu treten. Und ist es mir auch bei meiner Vorliebe für den Schulunterricht und bei dem löblichen Eifer der sämtlichen Schüler möglich geworden, sie unbeschadet meiner andern Berufsarbeiten noch gleich einem Klasslehrer zu beschäftigen, so fühle ich doch die Unvollständigkeit meiner Leistungen in Vergleich mit der Wichtigkeit der Aufgabe zu tief, um nicht eine gründlichere Abhülfe dringend zu wünschen.

Desto dankbarer wollen wir auf der andern Seite anerkennen, dass der gute Ruf und die Ehre unserer Anstalt von Seiten ihrer Sittlichkeit auch in diesem Jahre unbefleckt geblieben. Wir dürfen es wagen, Sie zu Zeugen aufzurufen, dass sich unsere Schüler einer glücklichen und ehrenvollen Verborgenheit erfreut und der öffentlichen Aufmerksamkeit und dem Gespräch der Stadt keinen Stoff dargeboten haben. Aber wäre es anders, wir würden nicht in jedem Fall die Verantwortung getragen haben; denn keine Weisheit der

Schulsatzungen, kein Argusauge der Aufsicht, keine Strenge und Consequenz der Zucht wird es vermögen, auch einzelnen Ausbrüchen jugendlichen Uebermuthes für immer vorzubeugen. Aber wenn die Jahrbücher unserer Anstalt mit solch traurigen Erinnerungen arger Excesse vielleicht mehr als andere verschont bleiben und nicht selten Jahre vergehn, ehe eine Disciplinarstrafe von Belang zu verhängen nöthig wird, so wollen wir uns nicht verhehlen, dass der gute Wille der Lehrer durch die günstigsten Verhältnisse von aussen her unterstützt wird.

Die mässige Zahl der Schüler, die es möglich macht, den einzelnen im Auge zu behalten, der beschränktere Umfang unserer Stadt, der die Aufsicht im ganzen erleichtert, das einfache Leben ihrer Bewohner, welches der Zerstreuungsanstalten grosser Städte entbehrt und sträfliche Ausschweifungen mit Schande brandmarkt; die ungestörte Eintracht der Lehrer, die freundliche Mitwirkung der berufsverwandten Behörden, die langjährige Gewöhnung der Schüler selbst an Ordnung und Sitte lauter Verhältnisse, welche den Erfolg unserer Bemühungen erleichtern und sichern, und welchen wir gern die grössere Hälfte des Verdienstes um die gute Zucht und Ordnung einräumen wollen.

Allein diese Zucht und Ordnung ist nicht das einzige, was die Schule neben dem Unterricht bezweckt. Denn Zucht ist noch nicht Erziehung, Ordnung ist noch nicht Sittlichkeit, und wehe dem Erzieher, der diese Tugenden verwechselt. Die Ordnung lässt sich durch Zucht erzwingen, die Sittlichkeit aber, der wahre Triumph der Erziehung, ist eine Frucht der Freiheit.

Ja ich kann mehr noch sagen: Anstalten, welche einen besondern Werth auf jene Ordnung legen und sie zur Schau tragen, können bei dem tiefer Blickenden den nicht ungegründeten Verdacht erregen, dass dieses geringere Gut erst auf Kosten des höheren errungen, dass über dem Mittel der

Zweck vergessen, dass die Erziehung zur inneren Freiheit der Gewöhnung an äussere Gesetzlichkeit aufgeopfert worden, dass endlich wohl gar der edle, unschätzbare Freiheitssinn durch den übertriebenen, überschätzten Ordnungssinn zurückgedrängt, niedergehalten oder gar erdrückt und vernichtet werde.

Ich bitte daher um die Erlaubniss, in den mir vergönnten Augenblicken meine Ansichten aussprechen und meine Bekenntnisse niederlegen zu dürfen über die wichtige Frage: Wie die Schule den Freiheitssinn der ihr vertrauten Jugend nähren könne und solle. Ich werde das thun, nicht in dem unheimlichen Gefühl, als ob jener Verdacht einer Ueberschätzung der Ordnung auf Kosten der Liberalität auch auf unserer Anstalt laste, und nicht in der Absicht, durch eine Schutzrede die öffentliche Meinung eines besseren zu belehren, sondern weil eine offene Darlegung unserer Grundsätze Ihnen die wohlthätige und beruhigende Ueberzeugung gewähren wird, dass wir in der Pflege des Freiheitssinnes mit Besonnenheit verfahren und des Guten nicht zu viel noch zu wenig thun.

Wenn ein Lehrer und Erzieher öffentlich erklärt, dass er seine Schüler zur Freiheit erziehe, so räth ihm die Klugheit und Vorsicht für die eigene Person, und verpflichtet ihn die Rücksicht auf die Hörenden, ein Wort der Erklärung vorauszuschicken, von welcher Freiheit allein hier die Rede sein könne; denn es ist das Schicksal gerade der Worte, mit denen der Mensch seine höchsten, heiligsten Interessen bezeichnet, in demselben Maasse dunkler und vieldeutiger zu werden, je mehr die Menschen sie besprechen und sie aufzuklären bemüht sind; Freiheit aber war von jeher, seit die Weltgeschichte ihren Gang geht, nicht blos ein vielseitiger, sondern auch ein gefahrdrohender Name.

Nicht meine ich jene Freiheit, von der Europa seit Jahren wiederhallt, als sei sie die einzige unter der Sonne, die

politi

politische Freiheit. Ehre sei ihr gezollt, wie sie's verdient, und wen von uns nicht seine Natur und sein Herz zu ihrer Verehrung triebe, den würde das Gesetz verpflichten, ihr zu huldigen, denn in einem Staate, dem sein König eine Verfassung gab, soll öffentlich keiner sich als Verächter der bürgerlichen Freiheit bekennen. Für die Schule jedoch und für die Jugenderziehung ist sie keine Aufgabe. Es lässt sich allerdings mit glänzenden Worten und Redensarten vorstellen, wie diese Interessen nicht früh genug geweckt und genährt werden können, und wie Familie und Schule wetteifern, müssten, dem Vaterland einen künftigen Vorfechter seiner Rechte zu erziehn. Aber wer die Täuschung, die in diesem Eifer liegt, nicht schon mit der Vernunft erkannt hat, den haben ja doch wohl die Erfahrungen der letzten Jahre im Inund im Auslande eines bessern belehrt. Wer sah nicht erst mit gerechtem Staunen, wie in den letzten Bürgerschlachten zu Paris sechzehnjährige Schüler an die Spitze der Volksbewegung vorgeschoben und glänzende Heldenthaten verrichten, und sah dann ohne Entrüstung oder ohne Mitleid dieselben, als sie kaum das siegreiche Schwert in die Scheide gesteckt, gewillt und entschlossen, ihren Vätern und dem gesamten Vaterland Gesetze vorzuschreiben, als hätte dieses Jahrhundert das Palladium der Weisheit den Männern entzogen und den Knaben anvertraut?

Wir kennen noch eine andere Freiheit, deren Wahlspruch lautet: frei ist nur, wer Gottes Knecht ist. Das zu fassen mit dem Geist und mit dem Herzen, die Ueberzeugung, dass der Mensch in dem Maasse die wahrsten, wenn auch unsichtbarsten Sclavenketten abschüttelt, je mehr er alles eigenen Willens ledig, Gottes Werkzeug sein mag, das ist der Gipfel aller Religiosität. Allein diese Freiheit in ihrem ganzen Umfang darzustellen, bleibe dem Redner an heiliger Stätte überlassen.

Der Mensch sucht und bedarf neben ihr noch eine weltliche Freiheit, die weit entfernt mit jener in Streit zu sein,

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