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da vermag sich auch der höhere, der bessere Mensch in uns nicht vollkommen erhoben und befriedigt zu fühlen.

Vilmar macht in seiner Literaturgeschichte (II, S. 120 ff.) mit vollem Grunde darauf aufmerksam, dass, seitdem das christliche Element, welches seit tausend Jahren ein mit dem nationalen Leben der Völker des Occidents, vor Allem des deutschen Volkes auf das innigste verwachsenes Lebenselement und nicht etwa bloss das Wissen, sondern das gesammte Sein der deutschen Nation erfüllender und dieselbe bis in ihre Tiefen befriedigender Lebensinhalt gewesen sei, gegen das antik-heidnische Element in den Hintergrund getreten sei, eine nicht wegzuleugnende Dissonanz in unsere Poesie gekommen sei, welche den höchsten poetischen Genuss nicht zu erreichen gestatte, ein geheimes, im tiefsten Kern ungemildertes Weh, ein Widerspruch zwischen der Idee und der Wirklichkeit, zwischen dem Anspruche und der Erfüllung, zwischen Wollen und Können. Dieser Zwiespalt träte dann recht auffallend hervor, wenn wir die Grösse unserer alten Poesie dagegen hielten, die stille Ruhe, die ungetrübte Heiterkeit, den milden Schimmer des Friedens, der darüber ausgebreitet sei, welches beweise, dass die Nation sich mit sich selbst einig, dass sie sich in ihren tiefsten Daseinsbedürfnissen völlig befriedigt gewusst habe. Diese innere Befriedigung, diese innere Harmonie der altdeutschen Dichtung sei zerstört worden, als sich unsere neue Dichterzeit des versöhnenden, Ziel und Ruhe gebenden Elementes gewaltsam und zu ihrem Schaden entschlagen habe, des christlichen Elementes, welches sie nicht ignoriren könne, während es ihr gleich unmöglich sei, zu der plastischen Ruhe der griechischen Heidenwelt zurückzukehren.

Dieser Zwiespalt, dieses Bewusstsein der Entzweiung, dieses Suchen und Nichtfindenkönnen, zieht sich auch durch Goethe's Dichtungen hindurch, so namentlich durch den Werther, Götz und Faust, und selbst da, wo der Dichter zur vollkommenen Ruhe, zum Abschluss mit sich selbst, zur vollendeten poetischen Harmonie gekommen zu sein scheint, gewahren wir bei tieferem Eingehen immer noch etwas Unaufgelöstes. Der Kampf des natürlichen und geistigen Menschen, jene Entzweiung zwischen Ideal und Wirklichkeit kann nur

geschlichtet und bezüglich zur Einheit geführt werden durch das Christenthum, wenn wir uns an der höchsten sittlichen Vollendung in der Person des Erlösers theilhaftig, in den Plan der göttlichen Liebe mit aufgenommen fühlen und so zu der wahren inneren Harmonie, Freiheit und Selbständigkeit gelangen. Blicken wir auf Shakspeare, der ein ungleich concreteres Religionsbewusstsein als Goethe hatte und sich gleich seinem grossen Zeitgenossen Keppler innerlich mit aller Festigkeit und Entschiedenheit zu den Hauptlehren und Hauptgeschichten des Christenthums bekannte, und der seinerseits einen nicht unbedeutenden Antheil daran hat, dass das populärchristliche Bewusstsein in der Bevölkerung Englands und Amerikas ein kräftiges Leben führt. In allen seinen Dichtungen sehen wir ihn auf dem Standpunkte einer durch und durch christlichen Weltanschauung, alle sind sie still und absichtslos in den Geist des Christenthums getaucht, wie in das innerste Lebenselement. Sein Ideal ist das der innerlich freien gebildeten Humanität im christlichen Sinne, und die grosse allgemeine Menschennatur stellt er überall und zu jeder Zeit nur so dar, dass das Natürliche von dem Christlichen in seinem Innersten durchdrungen ist. Wir könnten aus seinen Werken Stellen genug anführen, welche dies direct und evident beweisen. So hat er z. B. in einem besonderen Stücke: Troilus und Cressida, den Gegensatz des antiken und des neuen Lebensprincips durch das Christenthum von der sittlichen Seite her zur Darstellung gebracht. Eine Folge dieser tiefreligiösen, christlichen Gesinnung und Haltung in Shakspeare's Schöpfungen, aus denen uns der volle Einklang von Poesie, Philosophie und Religion entgegentönt, in denen der protestantisch-christlich-germanische Geist weht, ist der innerlich freie, selbständige und durch und durch poetisch-harmonische Geist, der sie durchdringt, der sichere Halt, der Adel, den sie dem Bewusstsein des Volkes gegeben haben und noch geben. Darum wird heutzutage in England in allen Schulen und gebildeten Familien nächst der Bibel hauptsächlich auch Shakspeare mit als Grundlage einer sittlichen Bildung gebraucht.

Doch seien wir nicht ungerecht gegen Goethe. Bedenken wir, dass er in seiner Poesie dem Zeitalter wieder zurückgegeben

hat, was ihm die Philosophie zu rauben schien. Während letztere alles Objective in Frage stellte, hat Goethe, für alles Schöne und Edle im Leben und in der Natur begeistert, in den menschlich grossartigen Gestaltungen seiner Dichterwerke dem Leben wieder einen objectiven Gehalt verliehen, er hat der Welt die Augen und Herzen geöffnet und angewiesen, auf sich und die Dinge umher mehr zu achten und sie gelehrt, letztere als Glieder einer wohlgefügten Kette, als Töne einer höheren Harmonie zu betrachten. Er ist es ferner, der wieder wahres Gefühl in die versteinerten Herzen und Gemüther gegossen, der durch die Uneigennützigkeit, Wahrhaftigkeit und Treue seines dichterischen Schaffens und Denkens die Welt vom Egoismus geheilt hat, welcher nur überall sich selbst und seine zufälligen Neigungen erblickt. So hat er an seinem Theile sein Zeitalter allmälig auf das Leben mit hingeführt, welches das Christenthum erweckt. Beurtheilen wir also Goethe nicht nach unserm jetzigen neugewonnenen Standpunkte, lassen wir auch alles persönliche Richten bei Seite, vergessen wir nicht, dass er an dem Processe der Neubildung unseres Lebens mitgearbeitet hat, einer Neubildung, welche das Christenthum immer mehr zu heben und zu fördern berufen ist.

Wilhelm Girschner.

Ludwig Tieck und die romantische Schule.

Im Anschluss an Gödeke's Grundriss III, 1.

Fast keine Periode unserer Literaturentwicklung ist mit solcher Einseitigkeit und Härte in den literargeschichtlichen Werken der Gegenwart behandelt worden, als diejenige, welcher man vorzugsweise den Namen der „romantischen" beigelegt hat. Die Angriffe gegen die Männer, welche man als die Begründer und Häupter derselben zu betrachten pflegt, gehen freilich bis fast zum ersten Auftreten der beiden Schlegel und Tieck zurück; allein jene, sowie die spätern, in denen sich das sogenannte „junge Deutschland" gefiel, unterscheiden sich von denen, welche die Literaturhistoriker der Gegenwart auf die Koryphäen und Jünger der romantischen Schule unternahmen, sehr wesentlich dadurch, dass jene auf Partei- oder persönlichen Gründen beruhten, während diese aus dem System und wissenschaftlichen Interessen hervorgingen.

Seit dem umfangreichen Werke von Gervinus über die deutsche Nationalliteratur ist es Sitte geworden, den Verfall der schönen Literatur Deutschlands von den Romantikern herzuleiten, den hervorragenden Erscheinungen jenes Zeitabschnittes alle Kraft der Production abzusprechen, ihr ganzes Verdienst um die Fortentwicklung des deutschen Geistes nur in ihrer negirenden Kritik und ihren Uebersetzungen zu suchen und zu finden, durch welche sie das Verständniss der neueren ausländischen Literatur, namentlich der englischen, spanischen und italiänischen anbahnten und förderten, und ihnen auf wissenschaftlichem Felde höchstens die ersten Anregungen zu der späteren grossartigen Entwicklung zuzugestehen, welche die Wissenschaft gegen

wärtig in mehr als einem Zweige erlangt hat.

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Diesen Standpunkt hält auch das in vielfacher Beziehung höchst verdienstvolle Werk von Karl Gödeke, Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. Verlag von L. S. Ehlermann, Dresden 1863" in seinem dritten Bande, erstes Heft, fest und es möge daher vergönnt sein, an dieses Buch einige Anmerkungen über jene Periode zu knüpfen und damit zugleich mancherlei Berichtigungen, Ergänzungen und Notizen bibliographischer Natur zu verbinden.

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Man wird es wohl natürlich finden, dass sich diese Betrachtungen und Bemerkungen an den Namen Tieck's reihen, den Herr Gödeke als das productivste Talent der Schule" bezeichnet, und welcher demgemäss als die Persönlichkeit erscheint, welche am geeignetsten sein möchte, einen Stützpunkt für die vorzulegenden Ansichten und Notizen abzugeben.

Bei der Betrachtung und Kritik der älteren Productionen Tieck's hat man immer wesentliche, charakteristische und wichtige Punkte übersehen, deren Beachtung wohl einen andern Standpunkt für die Beurtheilung des Dichters gegeben haben dürfte. In den ironischpolemischen Dramen dieser Periode in Tieck's Dichterlaufbahn muss der Stoff für den Kampf gegen die Prosa, Nüchternheit, seichte Anmaasslichkeit und flache Aufklärung dienen, der alle Tiefe und Fülle des Gemüthes abging, die sich nicht entblödete, Goethe in seinen grössten Productionen zu verhöhnen und welche daher, zumal da sie zugleich auf der anderen Seite die Mittelmässigkeit und Erbärmlichkeit in den Himmel hob, durchaus geeignet war, den Zorn und Uebermuth eines jugendlich begeisterten kräftigen Gemüthes zu erregen, das vollkommen befähigt war die Grösse, Tiefe und Erhabenheit der Schöpfungen des verunglimpften Genius zu fühlen und zu verstehen. Das tiefe Gefühl für Wahrhaftigkeit der Empfindung, der Hass gegen die geistige Lüge und den inneren Selbstbetrug hat diese Werke geschaffen, und lebt in allen Figuren dieser Schöpfungen. Beides kleidet sich, der Dichternatur gemäss, in Uebermuth, Witz und Ironie. Die unmittelbare Richtung auf die Gegenwart giebt diesen Dichtungen das phantastische Element und die oft genug gerügte Willkür, während doch in den ernsten Scenen eine so wahre, ächt dramatische Poesie hervortritt, dass Goethe, nach Lesung des Zerbino, dem Verfasser rieth, diese

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