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Bösewicht macht. Eckardt vergleicht Karl mit dem unglücklichen Dichter Günther; bei seiner Construction von Franzens Charakter hätte er an Lord Byron erinnern können, den seine körperliche Missgestalt (er war bekanntlich an einem, nach Trelawny und Leigh Hunt an beiden Füssen lahm) sein ganzes Leben lang verfolgte, menschenscheu und schwermüthig machte. Scherr in seiner allgemeinen Literaturgeschichte, 2. Auflage S. 347 sagt: „Auf den mit ausserordentlicher Sensibilität ausgestatteten Knaben machten die Spöttereien über seine Lahmheit, welche er fortwährend von Seiten seiner Schulkameraden, ja sogar aus dem Munde seiner Mutter hören musste, einen sehr nachhaltigen Eindruck und hetzten ihn frühzeitig in jene Verbitterung hinein, welche ihn später einmal ausrufen liess: „Wie zum Teufel hat man eine Welt wie unsere machen können? In welcher Absicht, zu welchem Zwecke Stutzer schaffen können und Könige und Magister und Weiber von einem gewissen Alter und eine Menge Männer von jedem Alter und gar vollends mich! Wozu denn?" Es dürfte vielleicht nicht zu kühn sein anzunehmen, dass schon in der Seele des Knaben, wenn derselbe in kindischem Unmuth die Lehren des Katechismus von einer allgütigen Vorsehung mit der körperlichen Beschaffenheit verglich, welche ihm zu verleihen dieser allliebenden Vorsehung beliebt hatte, der Keim jener düstern, wühlenden Skepsis entstanden sei, welche alle Werke Byron's dämonisch durchwaltet." Wilhelm Claus, Byron und die Frauen 1862, sagt: Byron starb, weil er, was er von jeher gesucht hatte, nicht fand, Liebe. Byrons Leben ist eine Bewährung der Worte im Prediger Salomo: „Meine Seele sucht noch und hat es nicht gefunden. Unter tausend habe ich einen Menschen gefunden, aber kein Weib habe ich unter den allen gefunden." Hier haben wir die Genesis, freilich nicht einer teuflischen Bosheit, wohl aber des dem Wissenden wohlbekannten Byronismus, der von Karl weit mehr in sich schliesst, als von Franz. Aber gerade eine solche Genesis vermissen wir bei Schiller, wie dies Schiller selbst in der oben angeführten Stelle aus der Selbstkritik der Räuber mit lobenswerther Offenheit bekennt, und eine solche Genesis hat Schiller absichtlich unterlassen. Rötscher hat, wie ich nachgewiesen habe, Recht, wenn er es als einen

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Fehler rügt, dass bei Franz nicht irgend eine Verletzung, eine Zurücksetzung die Quelle der Bosheit erkläre. Freilich war das Gefühl des Unterdrückt seins, wie Eckardt in seiner Entgegnung bemerkt, das dem Dichter bekannteste, aber von der Karlsakademie, nicht vom Elternhause aus und es wäre sehr übereilt, wenn man aus dem Umstand, dass in allen schillerischen Dramen irgendwo ein Familienzerwürfniss vorkommt, einen Rückschluss auf eigene traurige Erfahrungen Schiller's machen wollte. Hauptsächlich in Karl hat Schiller sich selbst geschildert, und auch Karl war ein Unterdrückter, dessen Geist nach Thaten, dessen Athem nach Freiheit dürstete, der in einer kleinen Welt nicht gross werden konnte, vergl. Eckardt S. 108. Nur ist es freilich ein Fehler in der Composition des Dramas, dass seine Handlung nicht nach dem siebenjährigen Kriege, sondern in diesen Krieg hineinfällt, wie aus der Erzählung Hermann's von Karl's Tod in der Schlacht bei Prag 1757 unwidersprechlich hervorgeht. Danach bestimmt sich genauer, was Eckardt S. 99 im Allgemeinen sagt: „Schiller versetzt die Handlung in die Zeit des grossen Friedrich." Wenn also Eckardt S. 108 fragt: „, Was wird ein Karl thun, wenn er kein Arbela findet?" so muss ich auf meine Abhandlung verweisen, wo ich S. 715 frage: „Warum musste Karl ein Räuber werden? Warum ward er nicht wie Karl im „Schwäbischen Magazin" Soldat unter Friedrich? konnte er nicht hier gross und berühmt werden und die Spiele der Jugend wenigstens annähernd verwirklichen ?" In eine Zeit des faulen Friedens, aber nicht in eine Kriegszeit hätte Schiller die Handlung des Stücks verlegen sollen. Eine andere Quelle von Franzens Bosheit findet Eckardt in verletzter Selbstsucht, und erinnert, in der Entgegnung wenigstens, an Amalia. Aber, frage ich, wie konnte ein Franz mit seiner Lappländernase, seinem Mohrenmaul, seinen Hottentottenaugen, wie konnte eine physisch-moralische Missgeburt wie Franz hoffen, einem blühenden, schwärmerischen Mädchen zu gefallen? Verletzte Selbstsucht" ist nicht, wie Eckardt meint, Quelle des Bösen, sondern ist selbst schon einer der schwärzesten Züge in Franzens Charakter. Palleske 1,170 fragt: „Gibt nicht Schiller seinem Franz erklärende Züge genug, die Bürde von Hässlichkeit, die durch rasende

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Wollust befleckte Phantasie, ein von Kindheit an zurückgestossenes Herz?" Gut. Die vermeintliche Zurücksetzung fällt in die Kindheit, die Hässlichkeit ist angeboren nun aber „die durch rasende Wollust befleckte Phantasie" und die Begierde nach Amalia's Besitz, die er sich im Nothfall mit Gewalt gewinnen will? Verletzte Selbstsucht ist doch, wie ich in meiner Ahhandlung S. 714 oben gesagt habe, etwas Anderes, als berechtigte Unzufriedenheit über ungerechte Zurücksetzung. Wie konnte aber Franz an Amalia's Besitz denken und darüber zum teuflischen Bösewicht werden? Ein Jago konnte begreiflicherweise glauben, seine Talente werden unterdrückt und Cassio sei mit einem Amte betraut worden, zu dem er besser getaugt hätte; aber Franzens verletzte Selbstsucht" kann seine Verbrechen nicht im Geringsten motiviren. Auch Jago handelt teuflisch; aber er gewinnt, er erscheint immer noch als Mensch im Vergleich mit Franz. Nun bleibt noch die Missgestalt. Nach meiner Auffassung bringt Franz in Schillers Sinn die moralische Hässlichkeit (oder doch die Anlage dazu) zugleich mit der physischen auf die Welt und sucht erst nachher und hinterdrein seine moralische Hässlichkeit mit seiner physischen zu motiviren. Für meine Auffassung spricht der Umstand, dass Schiller meines Wissens nirgends, weder in einem Vorwort, noch in einer Kritik, noch im Mannheimer Theaterzettel, noch in einem Briefwechsel, noch sonst irgendwo in Prosa Franzens Missgestalt als Quelle seiner Bosheit angibt. Sonst wäre es unbegreiflich, dass Schiller in der Selbstkritik sagt, man müsse sich fragen, woher unserm Jüngling eine so herzverderbliche Philosophie gekommen sei, und hinzusetzt, der Dichter lasse diese Frage unbeantwortet. (Auch im Stück selbst spricht Franz von seiner Missgestalt nur im Monolog I, 1 und merkwürdigerweise gehen die Schimpfworte, die der alte Graf gegen ihn ausgestossen haben mochte, nur auf Franzens kaltes, hölzernes Wesen, nicht aber auf seine Missgestalt; IV, 3 spricht Karl von Franzens unglücklicher Physiognomie.) Byron's menschenfeindlich-schwermüthiges Wesen, ja auch sein ausschweifendes Leben lassen sich mit Scherr und Claus auf seinen körperlichen Fehler zurückführen, der ihm Spott und Zurücksetzung selbst von seiner Mutter schon in seiner Kind

Archiv f. n. Sprachen. XXXIII.

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beit, wo alle Eindrücke am tiefsten gehen, eintrug. Bei Franz hingegen steht die Missgestalt vereinzelt. Anders gestaltet sich die Sache bei Richard III. Bei ihm ging die Missgestalt Hand in Hand mit der Entbehrung der mütterlichen Liebe, wie Eckardt in Uebereinstimmung mit Gervinus bemerkt. Ich will diesen Zug nicht leugnen, bitte aber doch auch zu bedenken, wie seine eigene jammervolle Mutter sein Leben schildert:

,,Zur Welt gebracht

Hast Du die Welt zur Hölle mir gemacht.
Eine schwere Bürde war mir die Geburt;
Launisch und eigensinnig Deine Kindheit;

Die Schulzeit schreckhaft, heillos, wild und wüthig;
Dein Jugendlenz verwegen, wild und tollkühn;
Dein reiferes Alter stolz, fein, schlau und blutig,
Zwar milder, aber schlimmer, sanft im Hass.
Welch eine frohe Stunde kannst Du nennen,
Die je in Deinem Beisein mich begnadigt?"

Wenn Richard III. ein dramatisches Musterwerk ist, so finde ich den Grund in der klaren Vorgeschichte, in der Durchdringung von Richard's Charakter mit Realitäten und in der herrlichen Handhabung der poetischen Gerechtigkeit; vergleiche meine Abhandlung S. 713. Richard's Missgestalt dient allerdings auch dazu, seine Bosheit zu erklären; aber sie ist nicht der einzige Grund derselben. Im Wesentlichen richtig wird Richard's Charakter von Köstlin in seiner Aesthetik (1, 244) aufgefasst. Wenn aber Köstlin fortfährt: „Ein ähnlicher Fall ist es bei seinem Nachbild Franz Moor, den wir in Betracht seiner jedenfalls theilweise unverdienten Zurücksetzung von Jugend auf zu bedauern nicht umhin können," so ist dieses Urtheil eine ganz unbewiesene Voraussetzung. Da nun die drei angegebenen Quellen Franzens teuflische Bosheit nicht erklären, kann Eckardt mir nicht vorwerfen, ich erkläre das Böse in Franz nicht. Wie kann Eckardt mir Etwas vorwerfen, das dem Dichter zur Last fällt? Soll ich mit einem Vergrösserungsglas bewaffnet ein Motiv im Stück finden, das doch nicht drin steht? Wie kann sich's Eckardt zum Verdienst rechnen, dass er das Böse in Franz erklärt? Ich habe nachgewiesen, wie es mit dieser Erklärung aussieht. Eckardt schiebt, wie es

scheint, in seiner erhitzten Phantasie immer an der Stelle der dramatischen Person eine geschichtliche unter. Ich habe nun gesagt, Franz sei ein Bösewicht von Natur, durch Zeugung. Ich weiss wohl, dass damit nichts erklärt wird und ich habe nichts damit erklären wollen. Oben habe ich dasselbe so ausgedrückt: „Franz bringt die moralische Hässlichkeit zugleich mit der physischen auf die Welt." Der letzte Quell des Bösen führt uns auf die Natur, die Zeugung, theologisch die Erbsünde, d. h. die jedem Menschen angeborne Neigung zum Sündigen. Oder soll ich mit dem alten Moor sagen: der böse Geist fuhr in ihn? oder soll ich von einer Prädestination theologisiren? Wird damit irgend Etwas erklärt? Nein, und es soll auch nichts erklärt werden; Franz ist und bleibt ein Räthsel, ein Unding und Unmensch; Schiller selbst hat dies Urtheil gefällt. Eckardt hat mich also hier missverstanden.

Hillebrand sagt (II, 346) ganz in meinem Sinn: „Franz ist in seiner Art ein ebenso verfehlter Teufel, als jener ehemalige Leipziger Student ein ethischer Held. Sehr bezeichnend nennt ihn Carlyle einen „,theoretischen Bösewicht." Er übt seine Sündhaftigkeit nach den Grundsätzen der Doctrin, wie denn Schiller selbst ihn als das Product abstracter Berechnung vorführt, in welchem er „das Laster in seiner nackten Abscheulichkeit enthüllen und in seiner kolossalen Grösse vor das Auge der Menschheit stellen wollte." Abgesehen davon, dass die Schlechtigkeit in ihm eigentlich gar nicht recht motivirt ist, indem der Unwille über seine „Lappländernase" und sonstigen Naturmängel nur schwach dabei betheiligt erscheint, ist er ein Zerrbild diabolischer Absolutheit, in welches keine Schattirung eintreten will und das sich gleich anfangs in einer überlangen Rede, die von forcirter Sophistik strotzt, so schwarz als möglich malt." Eckardt sagt freilich, Franz habe auch seine Leidenschaften und kalte Selbstsucht sei auch eine Leidenschaft. Aber Franz gibt sich über seine Leidenschaften immer Rechenschaft und vor jeder neuen Bosheit dogmatisirt und monologisirt er materialistisch und fatalistisch. Eine solche Leidenschaft verhält sich zu einer wahren Leidenschaft, wie ein sogenannter kalter Schlag zu einem zündenden Blitze.

Zum Schluss stösst sich Eckardt an meinem Ausdruck

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