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1.

HORA Z.

SEINE BEDEUTUNG

FÜR DAS

UNTERRICHTSZIEL DES GYMNASIUMS

UND DIE

PRINCIPIEN SEINER SCHULERKLÄRUNG

VON

O. WEISSENFELS.

BERLIN.

WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG.

1885.

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Vorrede.

Das vorliegende Buch bietet die Erläuterung und, so zu sagen, den höheren Kursus zu dem kürzlich erschienenen (Loci disputationis Horatianae ad discipulorum usus collecti brevibusque commentariis illustrati), in welchem es meine Absicht war, die Horazlektüre für den lateinischen Aufsatz fruchtbar zu machen. Nach meiner Erfahrung wenigstens bietet Horaz reicheren, mannigfaltigeren und angenehmeren Stoff zum lateinischen Meditieren und Disputieren als irgend ein anderer von den auf der Schule gelesenen Schriftstellern. Jenes Buch nun hoffte dem Schüler ein nützlicher Berater und Vermittler zu werden auf der schwierigen Bahn des lateinischen Aufsatzes. Deshalb mufste es natürlich selbst zu ihm in lateinischer Sprache reden. Ohne ihm Ausführungen zu bieten, die er direkt in seine Aufsätze ohne eigene Verarbeitung hinübernehmen könnte, bannt es ihn doch kräftig in den Gedankenkreis der lateinischen Sprache, und indem es gewissermassen die übermächtige und dem Lateinschreiben feindliche moderne Seele des Schülers für eine Weile in Schlummer legt, macht es die spröden, sprachbewältigenden Organe in ihm geschmeidig, damit er etwas leichter und sicherer die Bahn der fremden, alten Sprache wandeln lerne. Gleichwohl bietet es ihm nicht blofs eine Sammlung von lateinischen Wendungen, wie er sie bei Themen, welche der Horazlektüre entlehnt sind, nötig haben dürfte, sondern von den verschiedensten Punkten ausgehend regt es ihn an über die Worte hinaus bis zu den Gedanken dieses denkenden Dichters vorzudringen. Es verlohnte sich um so mehr, mit Horaz gerade diesen Versuch zu machen, als dieser, mit leidlichem Geschick von dem Lehrer ausgelegt, mit beson

ders eindringlicher Stimme zu der Jugend redet und allen andern auf der Schule gelesenen Schriftstellern und Dichtern den Rang in der Gunst des Schülers streitig zu machen pflegt.

Das vorliegende Buch setzt sich ein wesentlich anderes Ziel. Ohne die Bedürfnisse des lateinischen Aufsatzes zu berücksichtigen, bemüht es sich vielmehr die fruchtbarsten Aufgaben und Ziele der Horazerklärung zu finden, der Horazerklärung nämlich, wie sie auf dem Gymnasium geübt werden soll. Man glaubt nicht mehr recht an die bildende Kraft der altklassischen Studien und findet allen Ernstes, dafs die Hauptgegenstände des Gymnasialunterrichts, welche während ganzer neun Jahre wenigstens die beste Kraft des Schülers absorbieren, im allgemeinen nur sehr holzige Früchte tragen. Ja, mancher erleuchtete Freund edlerer Bildung, der durchaus zwischen direktem, praktischem Vorteil und idealem Gewinn zu unterscheiden weifs, fühlt dennoch heute seine Liebe zum Gymnasium schwinden und seufzt oft mit dem doch auch für das Altertum begeisterten Herder:,,Märtyrer einer blofs lateinischen Erziehung! O könntet ihr alle laut klagen!" Dazu kommt, dafs aller Eifer späterer Jahre für den Schaden keinen Ersatz bieten kann, wenn die Erstlinge der Lernbegierde und Lernmunterkeit einem falschen Götzen geopfert sind. Denn unsere Seele kann bei ihrem unendlichen Durste nach Wahrheiten, wie derselbe Weise spricht, doch nie eine unendliche Menge derselben fassen. So kommt sie uns sehr bald wie ein beschriebenes Blatt vor, wo man am Rande und zwischen den Reihen freilich noch vieles Nützliche zuschreiben kann. ,,Aber der ganze Anblick des Blattes ist beschrieben. Unglücklich, wenn man sagen mufs, er ist beschmiert oder verschwendet: alsdann läfst freilich der Rest es zu, zu bessern und auszustreichen, aber im ganzen ist der Schaden unersetzlich."

Das Geheimnis einer gründlichen Interpretation auf dem Gymnasium, wie sie dem berechtigten Verlangen aller derer entspräche, welche an die fortlebende Kulturkraft des Altertums glauben, aber selbst nicht Philologen sind, würde darin bestehen, den grofsen Sinn des Ganzen dem Schüler zu enthüllen und das Einzelne im richtigen Verhältnisse zu diesem Hauptzwecke zu behandeln. Wie die Grammatiken neben den grofs

gedruckten Hauptsachen Anmerkungen mit kleiner und kleinster Schrift enthalten, so soll auch die Interpretation verschiedenartig betonen. Auch bei dieser giebt es, wie im Leben und in der Beredsamkeit, ein noέnov. Der beste Interpret, wie die pädagogischen Rücksichten des Gymnasiums wenigstens ihn verlangen, würde dem besten Redner entsprechen, welchen Cicero in demjenigen erkennt, qui et humilia subtiliter et magna graviter et mediocria temperate potest dicere. Es wäre das freilich die ideale Aufgabe jeder Interpretation. Da aber die Philologie nach Erledigung der Hauptprobleme in ihrer natürlichen Entwicklung jetzt bei der subtilsten Erforschung des Einzelsten angelangt ist, hat sie den Charakter eines Humanitätsstudiums verloren und dafür den nüchternen einer Fachwissenschaft angenommen. Aus dem Schofse der ganzen Wissenschaft haben sich viele Kinder hervorgerungen, von denen jedes einzelne, ganz mit sich beschäftigt, mit emsiger Sorgfalt Wunderwerke mühsamen Fleifses spinnt. Auch die geistvollsten Universitätslehrer werden heute durch die fortwährende Berücksichtigung der philologischen Technik und weil fortwährend tausendfältiges Einzelnes zu prüfen, zu bekräftigen, zu widerlegen ist, daran verhindert, in jenem idealen Stile zu interpretieren, der allein einst die Begeisterung für das Altertum entzünden und diese Studien zur Grundlage jeder edleren Bildung machen konnte. Auch in den Seminarien der Universität wird den Bedürfnissen der philologischen Fachwissenschaft gedient und wohl nur selten die Interpretation im Sinne des Gymnasiums geübt1). Nach seinem Eintritt in die Schulthätigkeit mufs dann

1) M. Haupt sagte zwar von Zeit zu Zeit in seinem Seminare, hier solle man sich üben zu interpretieren, wie man einst auf dem Gymnasium zu interpretieren haben würde. Allen, die mit mir damals in Berlin studierten, wird dieses Hauptsche Seminar in unvergefslicher Erinnerung sein. Hier fand er fast noch häufiger Gelegenheit seine glänzenden Eigenschaften zu zeigen, als in seinen eigenen interpretierenden Vorlesungen. Dafs wir aber unter seiner Leitung den Horaz im Seminar so erklärten, wie man ihn auf dem Gymnasium erklären soll, kann ich heute, nachdem ich ihn fünfzehn Jahre lang mit Primanern gelesen habe, ganz und gar nicht finden, wiewohl mich schon damals diese von Zeit zu Zeit mit einem gewissen Nachdruck geäusserte Meinung Haupts, dies hier sei eine

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