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Aus dem Vorworte der ersten Ausgabe.

Die Musik ist die mit Vorliebe gehegte Kunst unserer Zeit; Lust und Verständniss für sie ist weiter verbreitet als je. Die Frage, ob die durch fast drei Jahrhunderte in lebenskräftigster Triebkraft sich manifestirende Entwickelung der Tonkunst, wo die grossen Meister nicht einzeln, sondern gleich in ganzen Gruppen herantraten, wo eine grosse Erscheinung die andere drängte ob diese Entwickelung nicht einstweilen einen Abschluss gefunden habe, mag offen bleiben; gewiss ist es, dass wir Werth und Bedeutung jeder dieser Epochen besser zu begreifen und gerechter zu würdigen wissen, als es je früher der Fall gewesen ist, vielleicht eben weil uns das Selbst- und Neuschaffen bedeutender Kunstwerke nicht in gleichem Maasse vergönnt ist, wie es jener Zeit vergönnt war, wo die Meister Italiens und Deutschlands die Welt nicht dazu kommen liessen über grosse Kunstwerke zu reflectiren, da, ehe das Bedeutende noch vollständig ergründet war, schon das Bedeutendere, neu auftauchte und die Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nahım. Daher ist es denn vorzüglich die kritische, kunstphilosophische, biographische, historisirende Richtung unserer Zeit, der es gelungen ist, vieles früher nicht Geleistete zu erringen und ich denke, wir können mit diesem Gewinn unserer geistigen Arbeit in Ehren bestehen. Die Arbeit des Aesthetikers, des Kunsthistorikers darf gegenüber dem Kunstwerke selbst immer ihren Werth behaupten, und nicht umsonst legt der Dichter der höchsten Autorität die Worte in den Mund:

was in schwankender Erscheinung schwebt, Befestiget in dauernden Gedanken.

Die Arbeit des rechten Kunsthistorikers wird aber auch für die neuschaffende Kunst ein Segen. Auf dem Territorium der bildenden und bauenden Kunst hat sich dies auffallend bewährt. Es ist z. B. noch nicht sehr lange her, dass man ,,gothisch" zu bauen meinte, wenn man Spitzbogen und dazu allerlei Geschnörkel hinstellte. Die Arbeiten Kallenbach's, Schnase's, Kugler's und anderer ehrenwerther Forscher haben unstreitig das rechte Verständniss wieder anzubahnen mitgeholfen, und was eben jetzt am Kölner Dom, an der Wiener Votivkirche geleistet wird, darf sich neben den Arbeiten der Blüthezeit der alten Gothik sehen lassen. Ein ähnliches Verständniss haben auf musikalischem Gebiete die Erörterungen Winterfeld's, Marx' u. s. w. für die alten Kirchentöne geweckt, und man hat begreifen gelernt, dass der Palestrinastyl nicht darin bestehe, dass man E-moll unvermittelt neben D-moll setzt, und dass die von einer schwächlichen Zeit herb gescholtenen Harmonien der alten Meister nicht etwa Ergebnisse unbeholfener Ungeschicklichkeit waren, sondern auf einer tiefsinnigen Anschauung beruhten. Der Künstler lernt aus der Kunstgeschichte eine ernste Wahrheit, die er ausserdem oft nicht begreifen mag, die Wahrheit: dass auch in Zeiten, welche die bunte Welt des Tages nicht mehr kennt, die Edelsten gelebt und gewirkt und für die Menschheit reiche Schätze hinterlegt haben, dass auch auf dem Gebiete der Kunst, wie anderwärts, wohl die Summe unserer Erfahrungen, aber nicht Geist und Talent grösser geworden ist, und dass es nicht leicht einen schlimmeren Irrthum geben kann als den von Jean Paul mit den Worten bezeichneten:,,in den Jahrhunderten vor uns scheint uns die Menschheit heranzuwachsen, in denen nach uns abzuwelken, in unserem herrlich blühend aufzuplatzen". Ein Kern- und Ehrenmann wie Leopold Mozart hatte für Allegri's Miserere kein besseres Urtheil als,,die Art der Production müsse mehr dabei thun als die Composition selbst". Das war dieselbe gesegnete Zeit, wo man alte Wandmalereien ,,aus der Kindheit der Kunst" resolut übertünchte,,,altfränkische" Kirchen des 12. und 13. Säculums geschmackvoll d. h. zopfgerecht restaurirte, wo der geistvollste aller Könige über das Nibelungenlied äusserte, er würde,,solches Zeug" in seiner Bibliothek nicht ,,dulden". Verständniss, Liebe, Werthschätzung des Edeln, aber dem Zeitgeschmacke entfernt Liegenden zu wecken ist eine der Aufgaben des Kunsthistorikers.

Nur muss er der rechte Mann dazu sein und muss sich als Musikschriftsteller z. B. nicht wie Oulibicheff einbilden, dass Gott die Welt erschaffen habe, damit darin die Ouverture zur Zauberflöte componirt werde. *)

Solche Betrachtungen können wohl bewegen sich an eine Geschichte der Tonkunst in ähnlicher Tendenz zu wagen, wie etwa Kugler die Geschichte der Malerei, der Baukunst behandelt Der Sammel- und Forschergeist speichert neues und abermals neues Material fast von Tag zu Tag auf, und es ist sehr verlockend eine Ordnung und Sichtung des gegebenen Stoffes und endlich eine das Geordnete zu einem überschaulichen Ganzen zusammenstellende Gruppirung zu versuchen. Aber der Historiograph der bildenden Kunst ist weit besser daran als der Musikhistoriker. Jener kann z. B. von dem eigentlichen technischen Theile seines Gegenstandes Umgang nehmen und vorwiegend den geistigen, den ästhetischen Gehalt der Kunsterscheinungen jeder Epoche betonen. Die Geschichte der Musik kann und darf von der mühsamen, Jahrhunderte langen Arbeit den Tonstoff zu bewältigen nicht schweigen, sie muss sich nothwendig mit der oft dunkeln, oft abstrusen musikalischen Theorie vergangener Jahrhunderte befassen, sie muss es darauf ankommen lassen stellenweise den Leser zu ermüden, wenigstens von ihm ein nichts weniger als müheloses geistiges Mitarbeiten und Nachstudiren zu verlangen. Das belebende Element der Kunst, jenen geistigen, ästhetischen Gehalt an Tonstücken zu demonstriren, die nicht gleich unmittelbar in tönender Erscheinung oder wenigstens in Tonschrift beigebracht werden können, ist eine fast unmögliche Aufgabe. Winterfeld redet z. B. in seinem Buche über Gabrieli von den Werken der alten Meister mit Geist und mit Begeisterung; will aber der Leser mehr haben als blosse Worte, so muss er nothwendig zum dritten Bande greifen, der die Notenbeispiele enthält. Der Nachweis des constructiven Theiles der Tonwerke kann sie allenfalls als ein edel Gebildetes legitimiren,

*) Mutatis mutandis kann dieses l'aradoxon Oulibicheff's von jedem unterschrieben werden, welcher mit Plato's Satze (ebenfalls mutatis mutandis) einverstanden ist, der Demiurgos habe deshalb dem menschlichen Leibe die Augen gegeben, damit im menschlichen Geiste der Kosmos des Weltschöpfers (namentlich der siderische) noch einmal vorhanden sei.

führt aber nothwendig zu trockenen harmonischen, rhythmischen u. s. w. Anatomirungen, mit denen höchstens der Musiklehrer dem Schüler nützt, sonst aber nichts gewonnen ist. So lange nicht,,historische" Concerte, wie man dergleichen in Paris, Leipzig u. s. w. vereinzelt wirklich gegeben hat, zu einem bleibenden Institute werden, das für den Musikfreund wird, was für den Freund der Malerei Gemäldegalerien sind, ist und bleibt die Arbeit des Historiographen der Musik eine nur halb lohnende, und die tüchtigen Männer, welche in gediegenen Werken dem eben nur halb Lohnenden Zeit und Kräfte gewidmet haben, verdienen gewiss mit Ehren genannt zu werden. Ganz abgesehen von den älteren Arbeiten des Michael Prätorius (im Syntagma), Pater Kircher, Bontempi (1695 zu Perugia), Bonnet (1715 zu Paris), Prinz von Waldthurn, Mattheson u. s. w. liegt selbst das Werk des Mannes, der weiland Bologna zu einem musikalischen Delphi machte, wo sich die Musiker Orakelbescheide holten, das Werk P. Martini's voll tiefer Gelehrsamkeit, schwer und kostbar wie Gold, unserer Zeit schon durch seine Form und seine breiten ragionamenti ziemlich fern und macht in der That den Eindruck eines verstaubten Museums, wo die kostbarsten Antiquitäten in übel beleuchteten Sälen unscheinbar durcheinander stehen. Ein ähnliches Museum voll Kostbarkeiten ist Gerbert's Buch,,de cantu et musica sacra" (1774). Für den Forscher wird es neben den (trotz aller Ungenauigkeit im Einzelnen sehr viel Dankenswerthes enthaltenden) Büchern von Burney und Hawkins stets eine Stätte willkommener Belehrung, ja eine wahre Fundgrube bleiben, wie denn z. B. Forkel daran eine tüchtige Vorarbeit für sein Werk fand.

Diese zwei Bände Musikgeschichte unseres Forkel sind mit Recht geschätzt, aber mehr genannt als gekannt und brechen leider mit der Zeit Josquin's des Prés ab. Schreiend ungerecht ist das Urtheil, welches Zelter in einem seiner Briefe an Goethe (vom 3. December 1825) über den tüchtigen Mann fällt:,,Forkel war Doctor der Philosophie und Doctor der Musik zugleich, ist aber sein Leben lang weder mit der einen noch mit der anderen in unmittelbare Berührung gekommen, er hat eine Geschichte der Musik angefangen, und da aufgehört, von wo für uns eine Historie möglich ist" u. s. w. Man traut den Augen nicht. Und das schrieb derselbe Mann, dessen eigene Kenntnisse weit genug reichen, dass er am 1. August 1816, nachdem

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