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er einen stillen, sich vorsichtig zurückhaltenden Beobachter; er wird sich jetzt in historische Studien vertieft haben. Das Konsulat blieb ihm unter Domitian versagt; diese höchste Stufe des Ehrgeizes erlangte er erst unter Nerva im Jahre 97. Als Konsul hielt er die Leichenrede auf Verginius Rufus, der den Vindex besiegt und dreimal die Kaiserwürde abgelehnt hatte (vgl. oben p. 162). Im Jahre 100 vertrat er mit dem ihm innigst befreundeten jüngeren Plinius die Sache der Provinz Afrika in ihrem Prozess gegen Marius Priscus wegen Erpressung; durch ihre vereinten Bemühungen erreichten sie auch seine Verurteilung. Eine neue Kunde aus dem Leben des Tacitus brachte uns eine Inschrift aus Mylasa in Karien; aus ihr erfahren wir, dass Tacitus unter Traian das Prokonsulat der Provinz Asia bekleidete. Wie lange er noch lebte, lässt sich nicht sicher bestimmen; wahrscheinlich ist jedoch, dass er erst im Anfang der Regierung Hadrians gestorben ist.

Tacitus war bis zur Mittagshöhe des Lebens auf litterarischem Gebiete nur als Redner thätig. Dem tiefblickenden Manne konnte aber nicht entgehen, dass in der Monarchie die Beredsamkeit eine ausgelebte Kunst war; es ist daher kein Wunder, wenn er sich entschloss, die Redekunst ganz in den Hintergrund treten zu lassen. Er that dies, indem er in einem herrlichen, nach Domitians Tod geschriebenen Schriftchen, dem Dialog über die Redner, den Ursachen nachging, welche zum Verfall der Beredsamkeit in der Kaiserzeit führten; er wandte sich einem, wie er glaubte, lohnenderem Gebiet, der historischen Forschung, zu. Im Jahre 98 trat er mit zwei Monographien hervor, zuerst mit einer Biographie seines Schwiegervaters Agricola, dann mit einer Schilderung von Land und Leuten Germaniens. Doch dies waren nur Vorläufer; es folgten zwei grosse historische Werke, eines, die Historiae, welches die Zeit von Galba bis zum Tode Domitians, also besonders die Epoche der Flavier schilderte, ein anderes, gewöhnlich Annales genannt, welches die Zeit vom Tode des Augustus bis zum Sturze Neros, also die Geschichte der julisch-claudischen Dynastie, zur Darstellung brachte. Auch das letztere Werk erschien noch unter Traian, so dass also die gesamte historische Schriftstellerei des Tacitus sich unter diesem Regenten abspielte.

Geburts- und Todesjahr des Tacitus. Das Geburtsjahr des Tacitus ist nicht überliefert, es kann nur annähernd durch Kombination ermittelt werden. Das Altersverhältnis des Tacitus und des Plinius erhellt aus folgender Stelle: Plin. epist. 7, 20, 3 erit rarum et insigne duos homines aetate dignitate propemodum aequales, non nullius in litteris nominis (cogor enim de te quoque parcius dicere, quia de me simul dico), alterum alterius studia fovisse. Equidem adulescentulus, cum iam tu fama gloriaque floreres, te sequi, tibi longo sed proximus intervallo et esse et haberi concupiscebam; aus diesen Worten geht hervor, dass Tacitus zwar älter war als Plinius, aber doch nicht um so viel, dass beide nicht mehr als propemodum aequales bezeichnet werden konnten. Setzen wir das Intervallum gleich etwa 8 Jahren, so kämen wir, da Plinius im J. 61 oder 62 geboren wurde (vgl. § 444), etwa in die Mitte der fünfziger Jahre als Geburtszeit des Tacitus. Borghesi (Oeuvres 7 p. 322) erachtet mit Rücksicht auf seine Aemterlaufbahn das J. 55 oder 56 als das wahrscheinlichste. Mit diesem Ansatz wird auch gut das admodum iuvenis (dial. 1) (vgl. unten p. 219) und die Verlobung des Tacitus mit der Tochter des Agricola im J. 77 stimmen. Das zweite Buch der Annalen schrieb er gegen Ende der Regierungszeit Traians (vgl. § 437); das Leben des Tacitus reicht also stark bis an die Regierung Hadrians heran, und es ist wahrscheinlich, dass er dieselbe noch erlebt hat.

Privatverhältnisse des Tacitus. Plin. n. h. 7, 76 ipsi non pridem vidimus eadem ferme omnia .... in filio Corneli Taciti equitis Romani Belgicae Galliae rationes pro

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curantis; dial. 2 M. Aper et Julius Secundus, celeberrima tum (zu Vespasians Zeit) ingenia fori nostri, quos ego utrosque non in iudiciis modo studiose audiebam, sed domi quoque et in publico assectabar mira studiorum cupiditate etc.; Agric. 9 consul (77) egregiae tum spei filiam iuveni mihi despondit, ac post consulatum (78) collocavit; et statim Britanniae praepositus est; vgl. dazu Friedländer, Darst. aus der Sittengesch. Roms 16 p. 565.

Politische Laufbahn des Tacitus. Hist. 1, 1 dignitatem nostram a Vespasiano (69-79) incohatam, a Tito (79-81) auctam, a Domitiano (81-96) longius provectam non abnuerim; annal. 11, 11 (Domitianus) edidit ludos saeculares (88), iisque intentius adfui sacerdotio quindecimvirali praeditus ac tunc praetor. Von einer länger.n Abwesenheit (quadriennium), als der Tod Agricolas eintrat, spricht er Agric. 45. Aus dieser Stelle ergibt sich auch, dass er 93 nach Rom zurückkehrte. Ueber sein Konsulat sind wir auf einen Bericht des Plin. epist. 2, 1 angewiesen, wo der Tod des Verginius Rufus erzählt wird mit dem Schlusssatz (6): laudatus est a consule Cornelio Tacito: nam hic supremus felicitati eius cumulus accessit, laudator eloquentissimus. Gegen die Argumentation Asbachs (Anal. hist. et epigr., Bonn 1878, p. 16), dass Tacitus 98 Konsul war, nicht 97, weil Verginius erst in diesem Jahre gestorben sei, richten sich mit Recht Klebs, Rhein. Mus. 44 (1889) p. 273; Ph. Fabia, Revue de philol. 17 (1893) p. 164, und O. Hirschfeld, Rhein. Mus. 51 (1896) p. 474; dieselbe wurde übrigens auch von Asbach (Röm. Kaisert. und Verfass. p. 191) zurückgenommen. Ueber die Verteidigung der Afrikaner Plin. epist. 2, 11, 2 ego et Cornelius Tacitus adesse provincialibus iussi. Sein Prokonsulat in Asien wurde durch eine Inschrift aus Mylasa bekannt, welche Doublet und Deschamps im Bulletin de corresp. hellén. 1890 p. 621 publizierten; sie setzen das Prokonsulat in die J. 113-116, während Asbach (Bonner Jahrb. 72 (1882) zum J. 98) dafür die Jahre 111/112 in Anspruch nimmt. Dass das Praenomen Publius unrichtig von den Herausgebern aus der Inschrift herausgelesen wurde, zeigen Hula und Szanto, Sitzungsber. der Wien. Akad. philos.-hist. Kl. 132 (1895) Abh. 2 p. 18. Tacitus und der jüngere Plinius. Plinius richtete an Tacitus folgende Briefe: 1, 6, welchen Sepp (Blätter für das bayr. Gymnasialschulw. 31 (1895) p. 414) unrichtig dem Tacitus zuteilen will; 1, 20 über die Frage, ob die Rede kurz oder lang sein soll; 4, 13 über die Gewinnung von Lehrern; 6, 9 Empfehlung; 6, 16 über den Tod seines Onkels, und 20 Ergänzung zum vorigen Brief; 7, 20 über die gegenseitige Förderung bei den litterarischen Arbeiten; 7, 33 Beitrag für die Geschichtstudien des Tacitus; 8, 7 Durchsicht eines liber von Tacitus; 9, 10 und 9, 14 über das Fortleben. 7, 20, 6 quin etiam in testamentis debes adnotasse: nisi quis forte alterutri nostrum amicissimus, eadem legata et quidem pariter accipimus; im Testament des Dasumius aus dem J. 109 (CIL 6, 10229; Wilmanns, Exempla inser. lat. Nr. 314; Bruns, Fontes iuris Rom. antiqui, Freib. 1887, p. 292) erscheinen höchst wahrscheinlich Plinius und Tacitus unter den Legataren. Von Tacitus spricht Plin. epist. 9, 23 numquam maiorem cepi voluptatem, quam nuper ex sermone Corneli Taciti. Narrabat sedisse se cum quodam Circensibus proximis: hunc post varios eruditosque sermones requisisse „Italicus es an provincialis?" se respondisse „nosti me, et quidem ex studiis.“ Ad hoc illum Tacitus es an Plinius?" Interessant ist das Urteil über die rednerische Thätigkeit des Tacitus epist. 2, 11, 17 respondit Cornelius Tacitus eloquentissime et, quod eximium orationi eius inest, Geuvos. Aus dem Briefwechsel ergibt sich, dass Plinius das Gefühl von der Superiorität des Tacitus hat; er will sich durch den grossen Freund emporheben.

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Litteratur. K. L. Urlichs, De vita et honoribus Taciti, Würzburg 1879; Prosopogr. imp. Rom. 1 p. 467 Nr. 1200; die Einleitungen zu den Ausgaben, besonders der von Nipperdey und Haase. Die übrige Litteratur s. unten § 439.

428. Der Dialog über die Redner. Fabius Justus1) hatte öfters an Tacitus Fragen nach den Ursachen des Verfalls der Beredsamkeit gerichtet. Statt eine eigene Antwort zu geben, erzählt der Historiker ein Gespräch, dem er als ein sehr junger Mann (iuvenis admodum) beigewohnt haben will. Dasselbe fand im Hause des Curiatius Maternus statt, der, früher Sachwalter, sich jetzt ganz der Dichtkunst hingegeben hatte. Mitunterredner waren die damaligen Koryphäen der Eloquenz M. Aper und Julius Secundus. Zuerst drehte sich die Unterhaltung um das Problem, ob der Beredsamkeit oder der Dichtkunst der Preis gebühre. Aper dringt nämlich in Maternus, doch wieder seine rednerische Thätigkeit aufzunehmen, und schildert in lebhafter Weise die Vorzüge dieses Berufs, der eine Quelle

1) L. Fabius Justus war cos. suff. 102; er war auch mit dem jüngeren Plinius be

freundet; vgl. epist. 1, 11. Prosopogr. imp. Rom. 2 p. 47 Nr. 32.

der höchsten Macht und der reichsten Ehren sei. Darauf entgegnet Maternus mit einem warmen Lob des stillen Glücks, das ein Dichterleben in sich schliesst. Als Maternus geendet hatte, trat Vipstanus Messalla, ein enthusiastischer Anhänger der republikanischen Eloquenz, ins Zimmer. Jetzt nimmt die Unterredung eine andere Wendung; sie behandelt das Thema, woher der tiefe Verfall der Beredsamkeit komme. Wiederum ergreift Aper das Wort und setzt auseinander, dass der Begriff „alt“ ein relativer sei, dass schon im Altertum die Reden verschiedene Stile aufweisen, dass mit den Zeiten sich auch die Redekunst ändere und dass der moderne Redner ganz andere Aufgaben zu erfüllen habe, um dem Geschmack des verwöhnten, stets nach Pikantem verlangenden Publikums Genüge zu leisten; hierbei stimmt der Sprecher ein warmes Loblied auf die moderne Beredsamkeit an. Nach dem Schluss des Vortrags bittet Maternus den Vertreter der entgegenstehenden Anschauung, Messalla, nicht dem Aper mit einem Lob der antiken Eloquenz zu entgegnen, sondern das eigentliche Thema „die Ursachen des Verfalls der Redekunst" zu behandeln; und als Messalla doch Apers Ausführungen berührt, erinnert er von neuem daran. Messalla geht also genauer auf die Sache ein. Die Gründe für den Verfall der Beredsamkeit erblickt er einmal in der veränderten Erziehung, welche die Bahnen der alten Zucht verlassen habe, dann in dem veränderten rhetorischen Unterricht. Einen neuen Grund, die veränderte praktische Ausbildung, erörtert er noch auf Ansuchen des Maternus. Allein seine Erörterung wird plötzlich durch eine grössere, in der Ueberlieferung ausdrücklich bezeichnete Lücke unterbrochen. Was auf die Lücke folgt, bringt einen ganz anderen Gesichtspunkt für den Verfall der Beredsamkeit bei, die veränderte politische Lage. Die Darlegung gipfelt in dem Gedanken, dass nur in der Republik der Boden vorhanden ist, auf dem der Redner gedeiht, nicht aber in der Monarchie, und schliesst daher mit den Worten: „Nütze das Gute, das dir deine Zeit gewährt und verkenne nicht das Gute, das eine andere Zeit hatte." Durchmustert man mit schärferem Blicke die auf die Lücke folgende Partie, so erkennt man, dass dieselbe nicht wohl einer Person angehören kann und dass daher noch eine zweite Lücke, welche in den Handschriften nicht bezeichnet ist, angesetzt werden muss. Dass diese Lücke im Kapitel 40 anzusetzen ist, zeigt der unvermittelte Uebergang von einem Gedanken zum anderen. Alles in Allem erwogen wird man die Partie zwischen der ersten und zweiten Lücke dem Secundus, und das auf die zweite Lücke Folgende dem Maternus, auf dessen Rede im Schluss des Dialogs noch ausdrücklich hingewiesen wird, zuteilen.

Die Personen des Dialogs. Ueber Curiatius Maternus vgl. § 402.

Vipstanus Messalla. Tacit. hist. 3, 9 claris maioribus; 4, 42 magnam eo die pietatis eloquentiaeque famam Vipstanus Messalla adeptus est (im J. 70), nondum senatoria aetate, ausus pro fratre Aquilio Regulo deprecari. Ueber seinen rhetorischen Standpunkt bemerkt Aper dial. 15 non desinis, Messalla, vetera tantum et antiqua mirari, nostrorum autem temporum studia irridere atque contemnere; bezeichnend ist auch Messallas Aeusserung 32 quod adeo neglegitur ab horum temporum disertis, ut in actionibus eorum huius quoque cotidiani sermonis foeda ac pudenda vitia deprehendantur, ut ignorent leges, non teneant senatus consulta, ius civitatis ultro derideant, sapientiae vero studium et praecepta prudentium penitus reformident ego iam meum munus explevi et, quod mihi in consuetudine est, satis multos offendi, quos, si forte haec audierint, certum habeo dicturos me,

....

dum iuris et philosophiae scientiam tamquam oratori necessariam laudo, ineptiis meis plausisse. Ueber die in der Ueberlieferung bezüglich der Namensform Vipstanus auftretenden Varianten vgl. Prosopogr. imp. Rom. 3 p. 445 Nr. 468. Vgl. noch Fabia, Les sources de Tacite dans les histoires et les annales, Paris 1893, p. 233; Groag, Zur Kritik von Tacitus Quellen in den Historien (Fleckeis. Jahrb. Supplementbd. 23 (1897) p. 785). Ueber die historische Monographie des Messalla vgl. unten § 442, 4.

M. Aper stammt aus Gallien (dial. 10); c. 7 sagt er von seiner Laufbahn non eum diem laetiorem egi, quo mihi latus clavus oblatus est, vel quo homo novus et in civitate minime favorabili natus quaesturam aut tribunatum aut praeturam accepi; c. 17 in Britannia vidi senem (nach Cichorius' Mitteilung diente Aper als tribunus laticlavius unter Claudius in Britannien).

Auch Julius Secundus stammte aus Gallien (dial. 10); Plut. Otho 9 Kai Touro μèr διηγεῖτο Σεκούνδος ὁ ῥήτωρ ἐπὶ τῶν ἐπιστολῶν γενόμενος του Όθωνος (dies wird auf mündliche Aeusserungen zu beziehen sein; vgl. Nissen, Rhein. Mus. 26 (1871) p. 507); über die höchstwahrscheinliche Identität dieses Kabinetssekretärs mit dem Julius Secundus des Dialogs vgl. O. Hirschfeld bei Friedländer, Darst. aus der Sittengesch. Roms 1o p. 183. Quintil. 10, 3, 12 memini narrasse mihi Julium Secundum illum, aequalem meum atque a me, ut notum est, familiariter amatum, mirae facundiae virum, infinitae tamen curae, quid esset sibi a patruo suo dictum. Is fuit Julius Florus, in eloquentia Galliarum, quoniam ibi demum exercuit eam, princeps, alioqui inter paucos disertus et dignus illa propinquitate; 10, 1, 120 Julio Secundo, si longior contigisset actas, clarissimum profecto nomen oratoris apud posteros foret: adiecisset enim atque adiciebat ceteris virtutibus suis quod desiderari potest, id est autem, ut esset multo magis pugnax et saepius ad curam rerum ab elocutione respiceret. Ceterum interceptus quoque magnum sibi vindicat locum: ea est facundia, tanta in explicando quod velit gratia, tam candidum et lene et speciosum dicendi genus, tanta verborum etiam quae adsumpta sunt proprietas, tanta in quibusdam ex periculo petitis significantia; 12, 10, 11 elegantiam Secundi; über seine Biographie des Julius Africanus, eines bedeutenden Redners der damaligen Zeit, vgl. dial. 14 Juli Africani (so richtig Nipperdey, Opusc., Berl. 1877, p. 285, statt Asiatici) vitam componendo. Aper und Secundus waren die Lehrer des Tacitus, vgl. oben § 427; zu ihrer Charakteristik bemerkt er dial. 2 quamvis maligne plerique opinarentur nec Secundo promptum esse sermonem, et Aprum ingenio potius et vi naturae quam institutione et litteris famam eloquentiae consecutum. Nam et Secundo purus et pressus et, in quantum satis erat, profluens sermo non defuit, et Aper omni eruditione imbutus contemnebat potius litteras quam nesciebat etc.; 11 cum dixisset Aper acrius, ut solebat, et intento ore.

Die Lücken. Eine nicht unwichtige Frage für die Komposition ist die Bestimmung der durch die Lücke zwischen Kap. 35 und 36 verschlungenen Partie. Nach der Ueberlieferung gingen sechs Seiten verloren. (Auf / des Ganzen berechnet den Verlust, aber mit unzureichenden Gründen, Habbe, De dialogi de or., qui Taciti esse existimatur, locis duobus lacunosis, Celle 1888, p. 10.) Damit steht eine zweite Frage im Zusammenhang, ob nämlich ausser dieser Lücke noch andere, in der Ueberlieferung nicht bezeichnete, anzunehmen sind. Aus der Ankündigung des Maternus (c. 16) ergibt sich, dass nicht bloss Maternus, sondern auch Secundus gesprochen. Auch würde wohl, wenn Secundus geschwiegen hätte, dies am Schluss erwähnt worden sein. Aus c. 42 finierat Maternus ist weiter zu folgern, dass das, was unmittelbar vorangeht, dem Maternus angehört, endlich ist klar, dass der Schluss der Rede des Messalla fehlt. Demgemäss statuieren gewöhnlich diejenigen, welche nur die eine grosse Lücke annehmen, dass durch dieselbe 1. der Schluss der Rede des Messalla, 2. die ganze Rede des Secundus, und 3. der Anfang der Rede des Maternus verschlungen worden sei. Eine andere Einteilung ergibt sich dagegen, wenn noch eine zweite Lücke angenommen wird; so meint J. W. Steiner (Ueber den Dialogus de or. des Tac., Kreuznach 1863), dass durch die Lücke der Schluss der Rede des Messalla, der Anfang der Rede des Secundus, endlich vor Kap. 42 die ganze Rede des Maternus ausgefallen sind. Eine andere Meinung, deren Urheber Heumann (in seiner Ausg.) ist, geht dahin, dass noch Kap. 40 vor non de otiosa eine Lücke (nach derselben Maternus) anzusetzen sei. Diese Meinung adoptierten U. Becker in Seebodes Archiv für Philol. und Paed. 1825, II 1 p. 72 (Messalla, dann 36-40 Secundus, endlich Maternus), Andresen (Ausg. p. 5) und Habbe (p. 15); die c. 36-40 teilt letzterer mit Becker dem Secundus zu (p. 18), während Andresen zwischen Messalla und Secundus schwankt. Für eine Lücke vor non de otiosa tritt mit grosser Energie auch Gudeman (Ausg. 1894, p. LXXV) ein, indem er annimmt, dass die Partie, welche der Lücke in c. 35 folgt, dem Secundus angehöre, an den sich Maternus mit einer Rede anschloss, von der uns nur der Schluss erhalten ist. Durch Gudeman hat sich John (Ausg. p. 39) zu dieser Ansicht bekehren lassen. Auch ich stimme jetzt dessen Ansicht bei, denn vor den Worten non de otiosa mussten noch die Verhältnisse der Gegenwart denen der Vergangenheit gegenübergestellt werden. Dass die auf die zweite Lücke folgenden Worte einem anderen Redner

gehören als dem vorausgehenden, zeigt der nicht ganz gleiche Standpunkt, den beide der Beredsamkeit gegenüber einnehmen, indem der eine sein Interesse für die Redekunst nicht verleugnet, der andere dieselbe gänzlich abweist.

Die Zeit des Gesprächs wird vom Verfasser desselben einmal dadurch bestimmt, dass er vom Todestag Ciceros bis zum Tag des Gesprächs 120 Jahre verflossen sein lässt (c. 17). Die Zahl 120 wird dadurch geschützt, dass sie noch einmal c. 24 erscheint. Dann gibt er auch an, welches Jahr der Regierung Vespasians bereits angebrochen ist, als das Gespräch gehalten wurde; es ist das sechste: ac sextam iam felicis huius principatus stationem, quo Vespasianus rempublicam fovet. (Irrig will wiederum Norden, Die antike Kunstprosa 1, Leipz. 1898, p. 325 Anm. 2, mit A. Kiessling sexta statio als sechsten Posten, der die Regierung Vespasians umfasst, interpretieren, denn es ist ein bestimmter Summand notwendig.) Da nun Vespasian Juli 69 zur Regierung kam, beginnt das 6. Regierungsjahr, das mit statio bezeichnet werden kann, Juli 74 und endet Juli 75. In diese Zeit muss also nach der Intention des Verfassers das Gespräch fallen. Da aber das iam anzudeuten scheint, dass das 5. Regierungsjahr noch nicht lange vollendet ist, wird für das Gespräch das J. 74 anzusetzen sein. Allein mit diesem Ansatz stimmt nicht die Summe 120, denn rechnen wir vom Tode Ciceros die 120 Jahre, so kommen wir auf das J. 77. Es muss also ein irriges Plus von drei Jahren in einem Posten stecken. Dieses Plus steckt in der Regierungszeit des Augustus, welche auf 59 Jahre angegeben wird, während sie thatsächlich nur 56 Jahre beträgt. Es liegt also ein Irrtum des Autors vor. Die Versuche, unter Heranziehung der richtigen Zahl 56 doch die Summe 120 zu gewinnen, mussten natürlich zur Aenderung des Regierungsjahres des Vespasian führen. Sauppe (Philol. 19 (1863) p. 258) setzt novem, tam felicis und gewinnt dadurch als Zeit des Gesprächs das J. 78; vgl. dagegen Classen, Eos 1 (1864) p. 4. Urlichs (Festgruss, Würzburg 1868, p. 4) schreibt septimam felicis etc. und kommt so auf das J. 76. Allein alles in allem erwogen, scheint es geraten zu sein, bei der Ueberlieferung zu bleiben. (Bährens, Ausg. p. 72, Schwenkenbecher, Quo anno Tac. dial. de or. habitus sit, quaer., Sprottau 1886, p. 6.) Auch das Hilfsmittel der runden Zahl scheint hier nicht angebracht zu sein. Dass die Zeit des Gesprächs vor 77 fallen muss, kann noch auf anderem Weg gezeigt werden. Es wird nämlich c. 37 Mucianus als lebend erwähnt; als aber Plinius seine historia naturalis im J. 77 herausgab, war Mucianus tot (32, 62); vgl. Urlichs, Festgruss p. 1.

Ueberlieferung. Der Dialog, die Germania und das suetonische Fragment de grammaticis et rhetoribus haben eine gemeinsame Ueberlieferung; sie gehen nämlich auf eine Handschrift zurück, welche Enoche von Ascoli im November 1455 nach Italien brachte. Wir wissen dies aus zwei Notizen des Jovianus Pontanus im Leidensis 18 sive Perizonianus Q. 21 aus dem J. 1460; diese Angabe von dem Funde des Enoche wollte Voigt (Die Wiederbelebung des klass. Altert., 3. Aufl. 1 p. 255 Anm. 3 und 2 p. 201) in Zweifel ziehen; vgl. auch R. Wuensch, Hermes 32 (1897) p. 57. Allein die von V. Rossi, L'indole e gli studi di Giovanni di Cosimo de' Medici (Rendiconti della R. Accad. dei Lincei, classe di scienze morali Ser. 5 vol. 2, Rom 1893, p. 128) veröffentlichten Briefe Carlos de' Medici erweisen die Richtigkeit der erwähnten Fundangabe; vgl. Lehnerdt, Enoche von Ascoli und die Germania des Tacitus (Hermes 33 (1898) p. 499). Enoche, der zuerst nach Frankreich, dann nach Deutschland reiste, um Handschriften aufzusuchen, fand die Handschrift vielleicht im Kloster Fulda; unrichtig denkt an Hersfeld Urlichs, Briefe über Tacitus (Eos 2 (1866) p. 230). Zur Fundgesch. vgl. Sabbadini, Studi ital. di filol. class. 7 (1900) p. 99 f. Es ist aber zweifelhaft, ob Enoche das Original oder die Kopie mitbrachte. Im Februar 1458 wurde von den aufgefundenen Schriften die Germania bereits von Enea Silvio de' Piccolomini benutzt. Die aufgefundenen Schriften wurden durch Abschriften verbreitet, deren Sichtung zuerst Reifferscheid (Suet. rel., Leipz. 1860, p. 411 und in Symb. philol. Bonn., Leipz. 1864-1867, p. 623) und A. Michaelis (Ausg. des Dial., Leipz. 1868, praef.) angebahnt haben. Die Ansicht des letzteren ist folgende: Von dem liber Henochianus wurden zwei Abschriften genommen, X und Y, die nicht mehr erhalten, die aber die Quelle für alle unsere Handschriften geworden sind. Die Abschrift X liegt zu Grunde dem cod. Vaticanus 1862 s. XV (A), dessen Bedeutung besonders Nipperdey (Opusc., Berl. 1877, p. 392) betonte, und dem apographum des Jovianus Pontanus, von dem uns eine Kopie im cod. Leidensis 18 sive Perizonianus (B) vorliegt; die Familie Y wird repräsentiert durch den Farnesianus sive Neapolitanus IV c. 21 (C) und Vaticanus 4498 (1), ferner den Vaticanus 1518 (D), den Ottobonianus 1455 (E). Als die treuere Abschrift betrachtet Michaelis die X-Sippe. Die Forschung richtete sich jetzt auf zwei Dinge: 1. auf die Wertschätzung der unter Y zusammengeschlossenen Handschriften, 2. auf die Wertschätzung der Apographa X und Y. Steuding (Beiträge zur Textkritik im Dial. des Tac., Wurzen 1878) wandte sich zuerst gegen die Beurteilung von E; die ganze Frage wurde dann von Bährens in seiner Ausg. in Angriff genommen, er entwarf ein anderes Bild von Y, indem er besonders die Bedeutung von 4 betonte (p. 46), auch stellte er Y

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