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höher als X. Gegen diese Höherstellung von Y wendet sich Binde, De Tac. dial. quaest. crit., Glogau 1884 (Berl. Diss.). Es folgte die eingehende Abhandlung von Scheuer, De Tac. de or. dial. codicum nexu et fide, accedit cod. Vindob. 711 collatio (Breslauer philol. Abh. 6 (1891) H. 1); er statuierte, dass E und der von ihm herangezogene Vindobonensis 711 (V 2) auf eine Quelle (y 1), C4D auf eine andere (y2) zurückgehen; weiterhin, dass die Vorlage von D, nachdem C und 4 abgeschrieben waren, aus der X-Klasse interpoliert wurde, und dass der Archetypus, die Quelle von E, nachdem der Vindobonensis daraus bereits abgeschrieben war, von einem Gelehrten korrigiert und diese Korrekturen von Pontanus benutzt wurden; endlich, dass Y höher stehe als X. Die Scheuer'schen Grundsätze wurden massgebend für die späteren Forscher, z. B. für Peterson, der nur in der Wertschätzung von X und Y eine Modifikation anbringt und dem Harleianus 2639 eine unberechtigte Geltung vindizieren will, dann auch für Gudeman. Gegen die höhere Wertschätzung von Y sprechen sich gelegentlich Helmreich und John aus, auch R. Wuensch, De Tac. Germ. codicibus germanicis, Marb. 1893, p. 124. Modifizierend greift auch ein Avé-Lallemant, Ueber das Verh. und den Wert der Handschr. zu Tac. dial., Pyritz 1895. Vgl. noch Andresen, Wochenschr. für klass. Philol. 1900 Sp. 641 und 697. Eine Uebersicht über die Arbeiten des letzten Jahrzehnts, zu denen jetzt noch die ausführliche Darlegung Müllenhoffs, Deutsche Altertumskunde, 4. Bd. 1. H., Berl. 1898, p. 60 hinzukommt, gibt Valmaggi, Rivista di filol. 27 (1899) p. 217.

Spezialausg. des Dialogs. Cum not. var. ed. E. Benzelius, Upsala 1706; rec. et annot. instr. Dronke, Koblenz 1828; J. C. Orelli, Zürich 1830 (mit den Arbeiten versch. Gelehrten); in us. schol. ed. derselbe, Zürich 1846; in us. schol. recogn. brevique annot. instr. Fr. Ritter, Bonn 1859; recogn. Ph. C. Hess, Leipz. 1841; zum Gebr. für Sch. hsg. von C. Th. Pabst, Leipz. 1841; mit der Germania und Suet. de vir. ill. ed. L. Tross, Hamm 1841; A. Michaelis, Leipz. 1868 (gute krit. Ausg.); recogn. E. Bährens, Leipz. 1881 (eine durch masslose Kritik entstellte Ausg.); recogn. A. Schöne, Dresden 1900; für den Schulgebr. erklärt von C. Peter, Jena 1877; E. Wolff, Gotha 1890; G. Andresen, Leipz. 1891; C. John, Berl. 1899; avec un commentaire etc. par H. Gölzer, Paris 1887; Schulausg. ebenda 1896; comment. da Valmaggi, Turin 1890; with introductory essays and crit. and explanatory notes by W. Peterson, Oxford 1893 (verständige Zusammenfassung des zerstreuten Materials); with proleg., crit. app., exegetical and crit. notes by A. Gudeman, Boston 1894 (vgl. C. John, Berl. philol. Wochenschr. 1895 Sp. 981 und 1048; F. Leo, Gött. gel. Anz. 1898 p. 169); kleinere Ausg. f. d. Schulen, Boston 1898; dazu Steele, Notes to the dial. de or. (Americ. Journ. of Philol. 17 (1896) p. 45); von E. Longhi, Mailand 1899.

Uebers. des Dialogs mit Realcommentar von Hübsch, Nürnberg 1837; von C. H. Krauss, Stuttg. 1882; von C. John, c. 1-27, Urach 1886, c. 28-Schluss, SchwäbischHall 1892 (mit krit.-exeget. Erört.); übers. und erkl. von E. Wolff, Frankf. a/M. 1891; übers. von W. Bötticher, neu hsg. von E. Otto, Leipz. 1897.

429. Charakteristik des Dialogs. Die kleine Schrift ist unstreitig eines der schönsten Denkmäler der römischen Litteratur, und mit Recht hat man sie ein goldenes Büchlein genannt. Ein höchst interessantes Problem wird in höchst interessanter Weise behandelt; auch in Quintilians Schrift de causis corruptae eloquentiae lag dasselbe vor (vgl. § 482), und es ist höchst wahrscheinlich, dass der Dialog des Tacitus durch die Schrift Quintilians angeregt wurde. Dass die Beredsamkeit, die der schönste Schmuck der Republik gewesen, in der Kaiserzeit gebrochen war, konnte keinem schärferen Auge entgehen. Dieser Verfall der Redekunst griff aber auch tief ins soziale Leben ein, weil durch denselben zugleich auch die Erziehung und der Unterricht gezwungen wurden, andere Bahnen einzuschlagen. Liegt also schon in dem Stoff eine grosse Anziehungskraft für jeden Denkenden, so hat der Schriftsteller auch noch diesen Stoff in sehr anmutiger Form dargeboten. Er gibt uns ein Gespräch, dadurch wird über das Ganze dramatisches Leben ausgegossen und wir erhalten in den sprechenden Personen Charaktere: Aper ist durchweg Realist, Maternus dagegen eine von idealen Anschauungen erfüllte liebevolle Pers Messalla ein Anhänger des Alten und laudator temporis acti

it.

die Güter der Welt, Einfluss, Macht, Ehre; Maternus dagegen freut sich des stillen Dichterglücks und schildert dasselbe in einer Weise, dass jeder Leser aufs tiefste gerührt wird. Bei der Darlegung der Ursachen des Verfalles ergreift uns der Autor durch äusserst zarte und liebevolle Bilder des alten römischen Familienlebens und durch eine lebhaft durchgeführte Gegenüberstellung der alten und der modernen rhetorischen Bildung. Der Kern des Dialogs ruht darin, dass gezeigt wird, dass unter der Monarchie kein Boden mehr für die echte Beredsamkeit vorhanden ist. Damit stellt sich von selbst die Erkenntnis ein, dass es unnötig ist, Zeit und Mühe auf dieselbe zu verwenden, und dass es daher geraten ist, andere Zweige des Wissens zu pflegen.1) Durch diese sich von selbst ergebende Schlussfolgerung ist auch die Entscheidung über die zuerst angeregte Frage, ob die Dichtkunst der Beredsamkeit vorzuziehen sei, vollzogen. Noch mehr, auch für den Autor wird das Endresultat des Dialogs von Bedeutung sein; wir gewinnen den Eindruck, als wollte der Verfasser des Dialogs einem Gegenstand alter Liebe das letzte Lebewohl zurufen und sich einem neuen Berufe zuwenden. Die Darstellung des Schriftchens entzückt uns durch die Lebhaftigkeit und Anmut; die Fülle des Ausdrucks ist manchmal übergross, allein der Eindruck des Ganzen wird dadurch nicht getrübt. Es ist ein Sonnenglanz über die Diktion ausgebreitet; der Stil ist eine feine und edle Regeneration des ciceronischen ohne Einseitigkeit. Auch in der dialogischen Composition blickt er zu dem grossen Redner der Republik als seinem Muster empor. Die kunstvolle Einkleidung lehrt uns überdies, dass wir in dem Gespräch kein historisches Factum, sondern eine Dichtung haben.

Die Autorschaft des Schriftchens ist ein vielumstrittenes Problem. Die Ueberlieferung gibt den Dialog als ein Werk des Tacitus; auch eine Stelle des Plinius weist ziemlich deutlich auf denselben und damit auf die Autorschaft des grossen Historikers hin. Was viele zu einer entgegengesetzten Annahme führte, ist die grosse Stilverschiedenheit, welche diese Schrift von den historischen Werken trennt. Un diese Schwierigkeit zu überbrücken, hat man die Abfassung des Dialogs in die Jugendzeit des Tacitus verlegt. Allein damit wurden neue Schwierigkeiten geschaffen. Das Wahrscheinlichste ist, das Tacitus erst nach Domitians Tod, sonach als reifer Mann die Abhandlung geschrieben hat er gebraucht hier noch den ihm von Jugend auf geläufigen, auch in seinen Reden zur Anwendung gekommenen Stil; in den historischen Schriften dagegen trat er mit einem. aus der Stilperiode seiner Zeit heraus selbstgeschaffenen, durchaus künstlichen Stil hervor.

Die Autorschaft des Tacitus. Die Zweifel an der Autorschaft des Tacitus entstehen gleich mit Beginn der Drucke; Beatus Rhenanus hatte in seiner Tacitusausgabe, Basel 1519, zuerst die Autorschaft des Tacitus bezweifelt. Besonders wirksam erwies sich das Verdammungsurteil des Justus Lipsius, welcher die Schrift dem Quintilian zuteilen wollte. Später liess er die Autorschaft Quintilians fallen, allein dieselbe ward um so eifriger

1) Dadurch ergibt sich eine gewisse Verbindung der beiden Themata; aber der Schriftsteller hat es unterlassen, das erste Thema mit dem zweiten organisch zu verknüpfen; er lässt vielmehr dem einen Gespräch das andere folgen. Vgl. über diese Frage die

lehrreichen Bemerkungen F. Leos, Gött. gel. Anz. 1898 p. 169. Weiterhin ist anzuführen W. Gilbert, Die Einheitlichkeit des tacit. Dial. (Fleckeis. Jahrb. 133 (1886) p. 203); Dienel, Unters. über den tacit. Rednerdial., Pölten 1895 und 1897.

von anderen Gelehrten aufgenommen. Heumann versuchte in seiner Ausgabe des Dialogs, Göttingen 1719, einen eingehenden Beweis für diese Ansicht. Aber ein ausgezeichneter Kenner Quintilians, Spalding, entzog diesem Beweis den Boden. Neuerdings wurde die Autorschaft Quintilians wieder aufgebracht von Novák (in böhmischer Sprache); vgl. Revue de philol. 15, 1891 (Revue des Revues p. 206). Neben der Autorschaft Quintilians kam auch die des jüngeren Plinius auf; sie wurde aufgestellt von Nast in seiner Uebersetzung des Dialogs, Halle 1787. Einen wichtigen Einschnitt in der Frage bildete die Abhandlung von A. G. Lange, Dialogus de oratoribus Tacito vindicatus, zuerst erschienen 1811 in Becks Acta semin. Lips. 1 p. 77, dann in Dronkes Ausg. p. XVI, zuletzt in Langes Vermischten Schriften und Reden, Leipz. 1832, p. 3. Hier wird zum erstenmal ein äusseres Zeugnis, eine Stelle des Plinius verwertet. Er behauptete nämlich, dass Plinius in dem an Tacitus gerichteten Brief 9, 10, 2 (das Buch ist etwa um 108 oder 109 geschrieben) mit itaque poemata quiescunt (quiescent der Mediceus; accrescent Mommsen bei Keil), quae tu inter nemora et lucos commodissime perfici putas einen Hinweis auf dial. c. 9 adice quod poetis, si modo dignum aliquid elaborare et efficere velint, relinquenda conversatio amicorum et iucunditas urbis, deserenda cetera officia, utque ipsi dicunt „in nemora et lucos", id est in solitudinem secedendum est; c. 12 nemora vero et luci et secretum ipsum, quod Aper increpabat, tantam mihi afferunt voluptatem etc. gibt. Vgl. auch jetzt C. John, Die Briefe des jüngeren Plin. und der Dial., Schwäbisch Hall 1896. Sehr gründlich ging auf die Streitfrage Fr. A. Eckstein (Prolegomena, Halle 1835) ein; allein das Endresultat war wieder ein non liquet. Im Laufe der Zeit aber neigten sich immer mehr die Ansichten auf Seite des Tacitus. Besonders erfolgreich wirkten die Untersuchungen Weinkauffs (seit 1857), welche erweitert in Buchform (Unters. über den Dialog des Tac.), Köln 1880 erschienen sind. Diese Aufsätze laufen darauf hinaus, nachzuweisen, dass trotz der Verschiedenheit des Stils doch auch im Dialog die taciteische Individualität durchblicke. Ein Gedanke J. W. Steiners (Ueber den Dialogus de or. des Tac., Kreuznach 1863) ist es, die Verschiedenheit des Stils in den taciteischen Werken als eine Folge der Entwicklung zu erklären (vgl. die p. 246 citierten Aufsätze Wölfflins). In neuester Zeit wurde nochmals die ganze Frage einer umsichtigen Revision unterzogen von J. A. H. G. Jansen, De Tac. dialogi auctore, Groningen 1878 und die Autorschaft des Tacitus festgehalten, wie ich glaube mit Recht; denn 1. ist die Beziehung der Pliniusstelle auf den Dialog doch unverkennbar; 2. ist der Dialog unter dem Namen des Tacitus überliefert; 3. ist die taciteische Persönlichkeit, trotzdem der Dialog eine ganz andere Sprache redet als die übrigen Schriften, doch noch in vielen Spuren zu erkennen. Verunglückte Versuche, die Autorschaft des Tacitus zu leugnen, wurden gemacht von Steele, The authorship of the dial. de or. (Americ. Journ. of Philol. 17 (1896) p. 289); neuerdings von Valmaggi (Rivista di filol. 27 (1899) p. 229), der bereits in seiner Ausg. 1890 sich gegen die Autorschaft des Tacitus erklärt hatte, und in dem genannten Aufsatz auch die Arbeiten des letzten Dezenniums über diese Frage bespricht (p. 226).

Mit der Frage beschäftigten sich noch: H. Gutmann, Diss., qua Tac. dial. de or. scriptorem non esse demonstratur, in Orellis Ausg. 1830 und in Gutmanns Uebers., Stuttg. 1830, p. 145; vgl. Jahns Archiv 15 (1849) p. 139; Hesse, De C. Caecilio Plinio minore dial. de or. auctore, Magdeb. 1831; Wittich, Ueber den Verf. des dial. de or. (Jahns Archiv 5 (1839) p. 259); Kramarczik, De C. Caecilio Plinio min. dial. de or. auctore, Heiligenst. 1841; Deycks, De or. dial. Tac. vindicatus, Ind. lect. Münster 1856; Resl, Utrum dialogus .... Tacito adscribi possit necne, quaer., Czernowitz 1881.

Abfassungszeit des Dialogs. Für diese Frage ist das wichtigste Moment, dass der Verfasser als iuvenis admodum dem im J. 74 gehaltenen Gespräch beiwohnte, dass er sonach als reifer Mann das angeblich gehörte Gespräch herausgab. Es wird also naturgemäss sein, wenn wir zwischen der Zeit des Gesprächs und der Zeit der Abfassung ungefähr 20 Jahre verstrichen sein lassen; wir kämen so beiläufig mit der Abfassungszeit ins J. 94. Damit steht ein anderes Moment in Einklang. Die Delatoren Eprius Marcellus und Vibius Crispus konnten nicht im Dialog so besprochen werden, wenn sie noch am Leben waren; nun aber lebte Crispus noch hochbetagt unter Domitian. Weiter ist zu erwägen, dass manche freimütige Aeusserungen des Dialogs unter Domitian sich nicht hervorwagen durften. Wir kämen sonach in die Zeit nach 96; in die Zeit nach Domitian kommen wir auch, wenn der von Domitian im J. 91 hingerichtete ooquorn's Maternus (Dio Cass. 67, 12), wie wahrscheinlich (§ 402), mit dem Dichter Maternus identisch ist. Da in unserem Dialog allem Anschein nach, wie dies Aper und Secundus zeigen, die gesprächführenden Personen nicht mehr am Leben sind, muss der Dialog nach 91, und da Tacitus unter Domitian nichts geschrieben haben will, nach dessen Regierung, frühestens unter Nerva verfasst sein. Damit ist aber die Frage noch nicht ihrer Lösung entgegengeführt; da wir von der Autorschaft des Tacitus ausgingen, muss noch erörtert werden, ob die gewonnenen Zeitbestimmungen auch auf ihn passen. Was die Zeit des Gesprächs anlangt, so konnte allerdings Tacitus von sich sagen, dass er einem im J. 74 gehaltenen Ge

spräch iuvenis admodum beigewohnt habe; denn da für seine Geburtszeit die Mitte der fünfziger Jahre durch begründete Vermutung angenommen wird, stand Tacitus damals im jugendlichen Alter von 19 oder 20 Jahren. Weiterhin ist zu bemerken, dass Plinius den an Tacitus gerichteten Brief 1, 20, in dem das Problem behandelt wird, ob die Rede kurz oder lang sein soll, doch nicht wohl ohne Erwähnung des Dialogs schreiben konnte, wenn dieser damals vorlag. Der Brief fällt aber nach Wutk (Dial. a Tac. Traiani temporibus scriptum esse demonstravit, Spandau 1887, p. IX) nach 97, wahrscheinlich in das J. 98. Da der um 108 oder 109 geschriebene Brief 9, 10 den Dialog voraussetzt, kommen wir mit der Abfassung in die Regierungszeit Nervas oder Traians. Endlich setzt der Dialog eine solche praktische Erfahrung und Lebensweisheit voraus, wie sie bloss einem reiferen Alter zustehen kann. Nur eine Schwierigkeit erhebt sich, der Dialog steht bei unserer Annahme auf derselben Zeitstufe, auf der sich der Agricola und die Germania befinden, und trägt doch ein vollständig anderes stilistisches Gepräge. Allein diese Erscheinung nötigt uns lediglich zu dem Schluss, dass wir die Stilverschiedenheit nicht als das Produkt einer Entwicklung anzusehen haben, sondern als eine mit Bewusstsein vollzogene künstlerische That; vgl. Norden, Die antike Kunstprosa 1, Leipz. 1898, p. 322; Wilamowitz, Asianismus und Atticismus (Hermes 35 (1900) p. 25). Der Stil des Dialogs ist offenbar der, welchen er als Redner in Anwendung brachte, also wohl der ihm von Jugend auf geläufige; ich vermag Nipperdey nicht zuzugeben, dass Tacitus auch seine Reden im Stil seiner historischen Werke schrieb, was Nipperdey aus Plin. epist. 2, 11, 17 respondit Cornelius Tacitus eloquentissime et, quod eximium orationi eius inest, oɛuros schliesst; dagegen die historischen Schriften erforderten einen ganz anderen Stil, und Tacitus hat sich denselben zwar im Anschluss an die Kunstprosa seiner Zeit, doch mit ganz eigenem Gepräge gebildet. Das Problem besteht also nicht darin, die Stilverschiedenheit des Dialogs zu erklären, sondern die der historischen Schriften. Beispiele einer solchen Stiländerung bietet die alte und die moderne Zeit genug. Um einen naheliegenden Fall anzuführen, schreibt doch der Freund des Tacitus, Plinius, in seinem Panegyricus ganz anders als in seinen Briefen; andere Beispiele bei F. Leo 1. c. p. 180 Anm. 1. Freilich muss auch in solchen Schriften mit verschiedenem Stil doch noch immer derselbe Autor zu erkennen sein, und das ist hier der Fall; vgl. John, Ausg. p. 11. Auch sachliche Uebereinstimmungen mit den späteren Werken des Tacitus weist unser Dialog auf; vgl. John p. 8 Anm. 19. Die Stilverschiedenheit ist also kein Grund, zu dem bekannten Satze Steiners zu greifen, dass Tacitus den Dialog entweder vor Domitian oder gar nicht geschrieben habe. Der Ansatz unter Titus, den neuerdings auch Gudeman (Gr. Ausg. des Dial. p. XXXI; kl. Ausg. p. X) und John (Ausg. p. 7) vorgenommen (vgl. auch Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde 4. Bd. 1. H. p. 12), ist daher zu verwerfen; noch weniger ist die Ansetzung unter Domitian (so z. B. W. S. Teuffel, Studien und Charakteristiken zur griech. und röm. Litt., Leipz.2 1889, p. 567; Peterson, Ausg.) mit Rücksicht auf den Eingang des Agricola zulässig.

Die Quellen des Dialogs. Dial. 16 ut Cicero in Hortensio scribit; 37 nescio an venerint in manus vestras haec vetera, quae et in antiquariorum bibliothecis adhuc manent et cum maxime a Muciano contrahuntur ac iam undecim, ut opinor, Actorum libris et tribus epistularum composita et edita sunt. Ex his intellegi potest. Gudeman (Ausg. 1894 p. XCIX) hat auf die Uebereinstimmung des Schriftchens c. 28 f. mit Ps.Plutarch ɛgi aidor dywyns hingewiesen und mit Benutzung Quintilians den Schluss gezogen, dass die gemeinsame Quelle eine Schrift des Stoikers Chrysippos ist; vgl. Gercke, Chrysippea (Fleckeis. Jahrb. Supplementbd. 14 (1885) p. 700); Dyroff, Die Ethik der alten Stoa (Berl. Stud. N. F. Bd. 2, 1897, 2.-4. H., p. 238). Auch Varros Catus de liberis educandis will Gudeman (p. CII) als eine Quelle ansehen, jedoch fehlt es hier an einem stichhaltigen Beweis. Vgl. auch Gudemans Aufsatz Chrysippos and Varro as sources of the dialogue of Tac. (John-Hopkins Univ. Circulars 12 (1893) Nr. 102 p. 25). Ueber das Verhältnis des Tacitus und Quintilian vgl. E. Grünwald, Quae ratio intercedere videatur inter Quintiliani inst. or. et Tac. dial., Berl. 1883; A. Reuter (De Quintil. libro qui fuit de causis corruptae eloquentiae, Gött. Diss. 1887) sucht nachzuweisen (p. 56), dass der Dialog mit Rücksicht auf die Schrift Quintilians geschrieben sei; vgl. auch Wilamowitz, Hermes 35 (1900) p. 25 Anm. 1.

Stil und Komposition des Dialogs. Schaubach, De vocum quarundam, quae in Tac. dial. leguntur, vi ac potestate, Meiningen 1857; Th. Vogel, De dial. qui Tac. nomine fertur sermone iudicium (Fleckeis. Jahrb. Supplementbd. 12 (1881) p. 249); Kleiber, Quid Tac. in dial. prioribus scriptoribus debeat, Halle 1883 (über Nachahmungen Ciceros, des Velleius, der beiden Seneca und Quintilians; vgl. das Urteil Nordens, Die antike Kunstprosa 1 p. 326 Anm. 1); über das Verhältnis des Cicero und des Dialogs handeln auch E. Philipp, Dial. Tac. qui fertur de or. quae genuina fuerit forma, Wien 1887; R. Hirzel, Der Dialog 2, Leipz. 1895, p. 48; Bornecque, La prose métrique et le Dial. des or. (Revue de philol. 23 (1899) p. 334); Valmaggi, La prosa metrica e il dial. de or. (Bollettino di filol. class. 6 (1900) p. 159).

430. Agricola. Unter Domitians gewaltthätigem Regiment hatte die Schriftstellerei einen bösen Stand; Tacitus zog es daher vor, zu schweigen. Erlösung brachten die milden Regierungen Nervas und Traians. Jetzt konnte sich das freie Wort des Schriftstellers wiederum hervorwagen, jetzt konnte auch Tacitus an die Durchführung seiner historischen Pläne denken. Er stellte eine Geschichte der domitianischen Herrschaft und eine Geschichte der gegenwärtigen glücklichen Zeit in Aussicht. Vorläufig spendet er es war im Jahre 98 n. Chr. - eine Biographie seines Schwiegervaters, des Gn. Julius Agricola, dem Publikum. Er bittet in der Einleitung um schonende Aufnahme seiner Produktion, da ja die Gegenwart biographischen Darstellungen nicht mehr das rege Interesse entgegenbringe, wie die Vergangenheit, die Tüchtigkeit erfahre nur in den Zeiten die grösste Wertschätzung, in denen sie am besten gedeihe. Er nimmt für seine Arbeit keinen litterarischen Charakter in Anspruch, er will sie lediglich als ein Werk der Pietät betrachtet wissen. Anders, wenn er mit der Schilderung der erlebten blutdürstigen Zeiten hervortreten würde. Hier brauchte er nicht um Nachsicht zu bitten; denn die hier allein zulässige litterarische Beurteilung müsse unbedingt eine milde sein, da Domitians Regierung fünfzehn Jahre lang alles geistige Leben niedergehalten hätte, und die Folgen der Unterdrückung sich nicht so leicht ausgleichen liessen. Aus dieser Einleitung ergeben sich zwei für den Charakter der Schrift wichtige Momente; einmal setzt Tacitus die Biographie in unleugbare Beziehung zu seiner historischen Schriftstellerei, die Monographie soll der Vorläufer grösserer geschichtlicher Werke sein; dann stellt er seine Monographie ausdrücklich als ein Werk der Pietät hin, es ist selbstverständlich, dass sie damit eine Lobschrift wird, welche die rühmenswerten Eigenschaften seines Helden hell beleuchtet und die Schattenseiten verschweigt oder entschuldigt. Wir können also, wenn wir die Tendenz der Biographie kurz bezeichnen wollen, sagen: Tacitus schreibt das Elogium seines Schwiegervaters und verleugnet dabei nicht seinen Charakter als Historiker. Nur wenn wir uns diese Tendenz der Schrift stets gegenwärtig halten, gewinnen wir das richtige Verständnis von der Komposition. Der Gang der Biographie ist folgender: Zuerst schildert er Agricolas Abstammung, dann legt er seine Ausbildung dar, welche nach der litterarischen Seite hin in Massilia, nach der militärischen in Britannien unter Suetonius Paulinus erfolgte. Kurz wird seine Vermählung mit Domitia Decidiana und der Anfang seiner amtlichen Laufbahn, seine Quästur, sein Tribunat, seine Prätur abgemacht; ausführlicher und wärmer wird der Historiker, als er den Anschluss Agricolas an Vespasian, sein Legionskommando in Britannien, seine Statthalterschaft in Aquitanien und sein Konsulat erzählt; hier werden schon einzelne Charakterzüge Agricolas geschickt eingewoben. Doch den Höhepunkt erreicht die Biographie erst mit dem Wirken Agricolas in Britannien, wohin er nach seinem Konsulat als Statthalter beordert wurde. Der wichtige Einschnitt wird dadurch markiert, dass eine Abhandlung über Land und Leute, weiter ein Abriss der britannischen Expeditionen vorausgeschickt wird (c. 10-17). Dann erst hebt die Erzählung selbst an. Agricola begann seine Thätigkeit mit einem

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