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Zeugnisse verwerten, welche sich auf nicht mehr vorhandene Stücke beziehen, und sie demgemäss mit dem verlorenen Teil der Sammlung in Verbindung bringen. Allein es wäre denkbar, dass auch die grosse Sammlung nicht vollständig erhalten wäre, und dass jene Citate zu ihr gehörten. Aber trotz der Ueberlieferung müssen wir beide Sammlungen Quintilian absprechen. Bei den grösseren Deklamationen ist es selbst einem hyperkonservativen Kritiker nicht gelungen, die Annahme von der Autorschaft Quintilians vollständig durchzuführen. Man darf wohl behaupten, dass es heutzutage keinen Einsichtigen mehr gibt, der bei diesen Produkten an Quintilian als Verfasser denkt. Aber auch die höherstehende zweite Sammlung kann von dem berühmten Lehrmeister nicht herrühren. Schon die vorliegende Form spricht, wie bereits angedeutet, gegen eine Publikation durch Quintilian. Es bleibt also nur die Annahme, dass sie eine Schülernachschrift darstellt. Wäre eine solche vor der Institutio veröffentlicht worden, so erwarteten wir eine Erwähnung derselben. Allein nirgends, so oft sich auch ein Anlass dazu bot, und das ist nicht selten, gedenkt Quintilian dieser Kontroversen. Man hat gemeint, der grössere, mehrere Tage währende und wider seinen Willen von Schülern veröffentlichte Lehrvortrag (oben p. 352) sei unsere Sammlung der kleineren Deklamationen. Allein unmöglich kann Quintilian eine solche Sammlung „liber artis rhetoricae" nennen. Dagegen spricht auch, dass das, was er an einer Stelle (3, 6, 68) aus jenen Lehrvorträgen mitteilt, sich nicht in unserer, freilich nicht vollständigen Sammlung nachweisen lässt. Ferner ist es nicht denkbar, dass die 388 Stücke, welche ein voluminöses Werk ausmachen, in wenigen Tagen vorgetragen und nachgeschrieben wurden. Aber auch der Annahme einer Publizierung nach der Institutio stellt sich die Schwierigkeit entgegen, dass die sermones nirgends ausdrücklich an die Institutio anknüpfen, und der Herausgeber unbegreiflicherweise unterlassen hat, auf den berühmten Lehrer aufmerksam zu machen. Man wollte Uebereinstimmungen zwischen den in den sermones und in der Institutio vorgetragenen Ansichten gefunden haben, allein dies ist nicht bewiesen, da in der Rhetorik ein grosses Gemeingut vorhanden sein muss und vorhanden ist.1) Uebrigens wäre es nicht auffallend, wenn eine spätere Zeit von den Schätzen der Institutio gezehrt hätte. Auch innere Kriterien verbieten uns, eine der beiden Sammlungen Quintilian beizulegen. Beide Produkte sind des grossen Meisters unwürdig. Wir können nicht glauben, dass er seinen Unterricht mit solchen geschmacklosen Themata ausgefüllt hat. Energisch betont er, dass auch die Uebungen sich nicht allzusehr von der Wirklichkeit entfernen und dass die romanhaften Stoffe nicht die Regel bilden sollen. Beide Sammlungen aber bieten des Absurden genug, dessen Quintilian unfähig ist. Ueber die Zeit, in der die Deklamationen entstanden sind, lässt sich eine bestimmte Angabe schwer machen. Der Sprache nach zu urteilen, scheinen wenigstens die kleineren Deklamationen der nächsten Zeit nach Quintilian anzugehören.

Quintilians Ansicht über die Schuldeklamationen. 2, 10, 4 sint ergo et ipsae materiae, quae fingentur, quam simillimae veritati, et declamatio, in quantum maxime 1) Trabandt p. 20.

potest, imitetur eas actiones, in quarum exercitationem reperta est. Nam magos et pestilentiam et responsa et saeviores tragicis novercas (solche Themata sind aber in dem Corpus der kleineren Deklamationen behandelt: pestilentia et responsa 326. 329. 384; novercae 246. 350. 381) aliaque magis adhuc fabulosa frustra inter sponsiones et interdicta quaeremus. Quid ergo? Numquam haec supra fidem et poetica, ut vere dixerim, themata iuvenibus tractare permittamus, ut exspatientur et gaudeant materia et quasi in corpus eant? Erit optimum, sed certe sint grandia et tumida, non stulta etiam et acrioribus oculis intuenti ridicula (7) totum autem declamandi opus qui diversum omni modo a forensibus causis existimant, ii profecto ne rationem quidem, qua ista exercitatio inventa sit, pervident. Vgl. noch 10, 5, 14. Besonders wichtig ist der scharfe Angriff 5, 2, 17 (Trabandt p. 12).

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Zur Geschichte der Echtheitsfrage. Trebellius Pollio schreibt im Leben der dreissig Tyrannen von Postumus Junior 4, 2 (2 p. 93, 25 H. Peter) fuit autem ita in declamationibus disertus, ut eius controversiae Quintiliano dicantur insertae, quem declamatorem Romani generis acutissimum vel unius capitis lectio prima statim fronte demonstrat. Diese in die Zeit um 300 fallende Erwähnung der quintilianischen Deklamationen ist die älteste; diese Stelle ist aber zugleich ein Beweis dafür, dass fremde Produkte irrtümlich den Namen Quintilians annahmen. Vgl. noch Ausonius 16, 2, 15 (p. 56 K. Schenkl) seu libeat fictas ludorum evolvere lites, | ancipitem palmam Quintilianus habet; Hieronym. in Isaiam 8 praef. (4 p. 328 Vall.) qui si flumen eloquentiae et concinnas declamationes desiderant, legant Tullium, Quintilianum, Gallionem etc. Diesen allgemeinen Zeugnissen über das Vorhandensein quintilianischer Deklamationen stehen Citate einzelner Stücke gegenüber; sie gehören der Sammlung der 19 Stücke an; Hieronymus, De cereo paschali cap. 1 (11 p. 154 E Vall.); Hebr. quaest. in Gen. praef. (3 p. 302 Vall.) citiert nr. XIII; Ennodius p. 483, 14 Hartel bezieht sich auf nr. V; die Comment. Bern. ad Lucan. 4, 478 (p. 138, 1 H. Usener) führen eine Stelle aus nr. IV an; Servius zu Verg. Aen. 3, 661 (1 p. 449, 4 Thilo) aus nr. I. Vielleicht auf nr. XI ist bezüglich Pompeius, Gramm. lat. 5 p. 186, 32. Es finden sich auch Citate, welche sich auf nicht mehr nachweisbare quintilianische Deklamationen beziehen, z. B. Hieronym. Hebr. quaest. in Gen. (3 p. 353 D Vall.), Lactantius div. inst. 1, 21; 5, 7; 6, 23. Es wäre möglich, wie bereits bemerkt, dass sich diese Stellen auf die verlorenen kleineren quintil. Deklamationen beziehen, es wäre aber auch möglich, dass sie zu verloren gegangenen grösseren Deklamationen gehören, dass sonach auch die erste Sammlung nicht vollständig ist. Die Frage nach der Autorschaft dieser Produkte kam erst neuerdings durch die Schrift Const. Ritters, Die quintil. Deklamationen, Freib. und Tübingen 1881, in Fluss. So umfassend und scheinbar gründlich der Verfasser die Frage behandelt hat, so sind doch die Resultate seines Buches verfehlt. Bezüglich der grösseren Deklamationen will er gewisse Gruppen herausgefunden haben, von einer die Deklam. 3. 6. 9. 12. 13 umfassenden behauptet er (p. 203), dass diese in entschiedenem Zusammenhang mit Quintilian stehe, und ein innerlicher Grund gegen Quintilians Autorschaft für diese Stücke nicht vorliege. Auch nach Durchforschung der äusseren Zeugnisse heisst es (p. 218), dass jene fünf Stücke wirklich von Quintilian seien. Der Schluss des Buches bringt aber eine Retractatio; p. 265 schreibt Ritter: „Wir werden in dem Verfasser einen Schüler Quintilians zu sehen haben". Damit ist die Untersuchung über die grösseren Deklamationen in den Sand verlaufen. Es bleiben also noch die kleineren Deklamationen, von denselben wird mit einem früheren Herausgeber derselben, Aerodius († 1601), der quintilianische Ursprung behauptet. Allein die Beweisführung ist, wie auf den ersten Blick ersichtlich, durchaus unnatürlich und unhaltbar. In völlig ausreichender Weise hat dies Trabandt, De minoribus quae sub nomine Quintiliani feruntur declamationibus, Greifsw. 1883, dargelegt. Es erscheint unbegreiflich, wie Ritter nach dem Erscheinen dieser Dissertation noch (1884) die kleineren Deklamationen unter Quintilians Namen erscheinen lassen und die Ausführungen seines Gegners völlig ignorieren konnte, welche doch z. B. auch die Billigung eines so umsichtigen Mannes wie Schwabe, und eines Sachkenners wie F. Becher (Bursians Jahresber. 51. Bd. 2. Abt. 1887 p. 71) gefunden haben. Für Unechtheit spricht sich auch Fleiter, De minoribus quae sub nomine Quintiliani feruntur declamationibus, Münster 1890, aus, ohne jedoch etwas Erhebliches zu bieten; er mäkelt in unfruchtbarer Weise an Trabandts Ergebnissen.

Die Zeit der grösseren Deklamationen. Es fehlt hier noch an einer den Standpunkt der Unechtheit festhaltenden Untersuchung, welche zugleich die Frage, ob ein oder mehrere Verfasser anzunehmen sind, behandeln muss. Doch sind gelegentliche Aeusserungen zu verzeichnen. Hammer, Beitr. p. 44: „man möchte den oder die Verfasser der Deklamationen für Zeitgenossen des Gellius und des Apuleius halten". Weyman, Studien zu Apuleius (Sitzungsber. der Münchner Akad. 1893, Bd. 2 p. 387) geht von der Thatsache aus, dass zwischen den grösseren Deklamationen und Apuleius Beziehungen stattfinden. Indem er 4, 13 p. 77 (sidera) vagos cursus certis emetiuntur erroribus vergleicht mit Apul. metamorph. 9, 11 vagarer errore certo (vom Esel), meint er, dass die Dekla

mationen hier das Original, Apuleius die Kopie darbiete. Die Priorität der Deklamationen glaubt er auch auf allgemein litteraturhistorische Erwägungen hin (Rohde, Der griech. Roman, Leipz. 1876, p. 336 f.) statuieren zu müssen. Während Hammer (p. 12) mit Burmann verschiedene Verfasser als möglich erachtet, sieht Weyman die Deklamationen als sprachlich einheitlichen Complex an.

486a. Fortleben Quintilians. Quintilian war während seines Lebens ein hochangesehener Mann; bei Martial, heisst er, wie bereits erwähnt, der Ruhm der römischen Toga; er war Prinzenerzieher; Tacitus wurde, wenn nicht alles trügt, durch Quintilians Schrift über die Ursachen des Verfalls der Beredsamkeit zu seinem geistreichen Dialoge angeregt. Es ist daher kein Wunder, dass das Publikum mit Spannung der rhetorischen Unterweisung des bewährten Lehrers entgegensah, und der Verlagsbuchhändler Trypho den zögernden Autor drängte, die Ausgabe zu beschleunigen. Man sollte demnach erwarten, dass das publizierte Werk in der Litteratur zahlreiche Spuren hinterlassen hätte, und man wird in dieser Erwartung um so mehr bestärkt, als auch noch späterhin Quintilian z. B. von Juvenal gefeiert wurde, und Sueton ihn unter die von ihm behandelten Rhetoren aufnahm.1) Allein diese Erwartung erfüllt sich doch nicht vollständig. Die Frontonianer lenkten den Stil in ganz andere Bahnen und konnten daher an dem für Cicero schwärmenden Quintilian kein Gefallen finden. Der Lehrgang musste daher zurücktreten; aber noch ein schlimmeres Geschick widerfuhr unserem Rhetor. Sammlungen von Schuldeklamationen treten unter seinem Namen in die Oeffentlichkeit, und wo wir wieder zum erstenmal auf den Namen Quintilian stossen, wird er in Verbindung mit diesen Produkten gebracht.) Doch fristeten die Institutionen daneben ihr Leben, und wir finden sie bei Hieronymus, Rufinus und Cassiodor erwähnt. Die Rhetoren natürlich konnten nicht an Quintilian vorübergehen; der Ende des 4. oder Anfang des 5. Jahrhunderts lebende Julius Victor3) hat den Quintilian so ausgebeutet, dass er für uns den Wert einer Quintilianhandschrift besitzt. Eigentümlich sind die Schicksale Quintilians im Mittelalter; nach dem 8. Jahrhundert zirkuliert nur noch ein verstümmelter Quintilian, und er bleibt, soweit wir sehen können, in diesem Zustand, bis Poggio durch einen Fund in St. Gallen im Winter von 1415 auf 1416 den Autor in vollständiger Fassung ans Licht brachte. Mit Freuden wurde der echte Quintilian von den Humanisten aufgenommen; in Kopien verbreitete sich derselbe über die gebildete Welt. Auch die eine oder die andere vollständige Handschrift trat, nachdem die Aufmerksamkeit wiederum auf Quintilian gelenkt war, noch aus dem Dunkel hervor. Es ist uns nicht möglich, die Erwähnungen der Institutio bei den einzelnen Humanisten zu verfolgen.4) Nur das Eine möge hervorgehoben werden, dass auch in der Pädagogik der Humanismus von Quintilian zehrte. Mit dem Jahre 1470 beginnen die Drucke. Auch in der Reformationszeit erfreute

1) Vgl. den dem Traktat vorausgeschickten Index bei Reifferscheid p. 99. Die Notizen, die wir bei Hieronymus in seiner Chronik finden (vgl. oben p. 349), gehen auf Sueton zurück.

2) Vgl. oben p. 359. Ueber das Fort- | leben der Deklamationen vgl. auch Fier

ville, Ausg. des 1. Buches, p. XIV; Des-
sauer, Die handschriftl. Grundlage der neun-
zehn gröss. Dekl. p. 1. Die 13. der grösseren
Deklamationen wurde sogar versifiziert.
3) Halm, Rhet. lat. min. p. 373.
Fierville p. XXI.

sich Quintilian eines grossen Ansehens; Luther zieht ihn fast allen Autoren vor, Erasmus hat ihn eifrig studiert.1) So lange Quintilian die Grundlage des rhetorischen Studiums in den Schulen war, blieb er ein verbreiteter und vielgelesener Autor; allein der Rhetor konnte sich in dieser Stellung nicht erhalten. Bei dem Unterricht wurde der grosse Umfang des Werkes vielfach lästig empfunden. Aus den Jesuitenkollegien schied der Autor aus, und das war bedeutsam für dessen Schicksal. Seit dieser Zeit wurde er entweder durch selbständige Lehrbücher der Rhetorik oder durch Auszüge ersetzt. Selbst Friedrich der Grosse, der den Wert Quintilians für die Ausbildung der Jugend in der Beredsamkeit wohl erkannte, liess neben dem vollständigen Quintilian auch einen Abriss zu.) Von diesen Auszügen hat den grössten Erfolg gehabt der Rollins, der im Jahre 1715 in Paris erschien. 3) Die Periode des gekürzten Quintilian fand ihren Abschluss mit der Chrestomathia Quintilianea von Bonav. Andres, Würzburg 1782, welche in neuer Bearbeitung durch L. Blass ebenda 1793 erschien. Es ist das letztemal, dass Quintilians rhetorisches System für die Schule zurechtgemacht wurde. Die Rhetorik ist in unseren Tagen eine tote Disziplin, und die Zeit, in der junge Leute, wie der 17jährige Racine,4) fleissig den Quintilian excerpierten, ist für immer vorbei. Nur einzelne Bücher, wie das erste und zehnte, die von der Rhetorik abseits liegen, werden jetzt noch häufiger gelesen. Die Philologie hat daher lange Zeit verstreichen lassen können, ehe sie eine methodische Kritik des Autors unternahm. In den älteren Ausgaben wurde bald die, bald jene Handschrift herangezogen; der Versuch Spaldings, eine methodische Texteskonstituierung Quintilians zu geben, wurde nicht konsequent durchgeführt und durch den Tod des Autors unterbrochen. Halms Ausgabe verdient den Namen der ersten kritischen, allein sie hat die Recension doch noch nicht zum völligen Abschluss gebracht.

Litteratur über das Fortleben Quintilians. Das Material über das Fortleben Quintilians ist zum grössten Teil zusammengestellt von Fierville, Ausg. des 1. Buches, Introd. p. XI; vgl. denselben, Étienne de Rouen, moine du Bec au XII. siècle auteur du premier abrégé connu de Quintil. et du Draco Normannicus (Bulletin de la société des antiquaires de Normandie 8 (1877) p. 54 und 421). Ueber eine Epitome des Francesco Patrizi, Bischof von Gaeta 1460-1494, vgl. Fierville, Ausg. p. XXXV; Bassi, L'epitome di Quintil. di Francesco Patrizi Senese, Turin 1894; über die handschriftliche Epitome im Besitze der Oberlausitzischen Ges. der Wissensch. in Görlitz vgl. F. Meister, Berl. philol. Wochenschr. 1892 Sp. 1218, 1245 und 1250; aber denselben ebenda 1894 Sp. 1582; über ein Compendium inst. or. de sententia M. Fab. Quintil. authore Jona philol. Lutetiae ex officina R. Stephani 1542 vgl. denselben ebenda 1892 Sp. 1252. Ueber den Einfluss Quintilians auf die Pädagogik des Humanismus vgl. Laas, Die Pädagogik des Johannes Sturm, Berl. 1872; A. Messer, Quintil. als Didaktiker und sein Einfluss auf die didaktisch-pädagogische Theorie des Humanismus (Fleckeis. Jahrb. 156 (1897) p. 161; 273 (Die Wiederauffindung der vollständigen inst. orat. und ihre Bedeutung); 321; 361; 409; 457).

d) Die Juristen.

487. Die Rechtsschulen der Proculianer und Sabinianer. Oben (§ 353) haben wir gesehen, dass in der augustischen Zeit zwei Juristen,

1) Fierville p. XXIV.

2) Kabinetsordre vom 6. Sept. 1779, abgedr. bei Bonnell, Ausg. des 10. Buches, Vorrede zur 1. Aufl. Um dieselbe Zeit (1773) hörte der junge William Pitt in Cambridge eine Vorlesung über Quintilian; vgl. Peter

son, Ausg. des 10. Buches p. XIX, der noch
andere interessante Daten über das Fortleben
Quintilians in England gibt.

3) Fierville p. XL; CLXII.
4) Fierville p. XXXVIII; CLI

M. Antistius Labeo und C. Ateius Capito, als Vertreter zweier Richtungen sich gegenüberstanden. Pomponius lässt in seinem Abriss die Schulgegensätze auch nach dem Tode jener hervorragenden Juristen fortdauern, er gibt ihnen Nachfolger bis zur Zeit Hadrians. Merkwürdigerweise erhielten die beiden Schulen ihre Namen erst von späteren Häuptern derselben, die Schule Labeos nannte sich nach Proculus die Proculianer, die Schule Capitos nach Sabinus und Cassius die Sabinianer oder Cassianer.1) Es ist höchst wahrscheinlich, dass diese Schulen auf einer korporativen Verfassung ruhten und also schon rechtlich einen Vorstand nötig machten. Das Beispiel der griechischen Philosophenschulen mag hier vorbildlich gewesen sein. Allein auch der Gegensatz der Rechtsanschauung, den Labeo und Capito begründet hatten, muss in den Nachfolgern noch fortgewirkt haben. Freilich für die Länge der Zeit war die ursprüngliche Schärfe, mit der sich die beiden Richtungen gegenüberstanden, nicht haltbar. Die Vertreter der Analogie im Recht waren gezwungen, die Einwände der Vertreter der Anomalie in ihren Aufstellungen zu berücksichtigen, durch diese Berücksichtigung ihrer Anschauungen waren aber auch die Anomalisten befriedigt. Die Parteien erkannten immer mehr die Notwendigkeit der gegenseitigen Konzessionen. Der Streit, von dessen Verlauf und Ende die Quellen kein deutliches Bild geben, führte schliesslich zu demselben Ergebnis wie in der Grammatik; weder die Analogie noch die Anomalie konnten ausschliesslich das Terrain behaupten, sie mussten einander die Hand zur Versöhnung reichen.

Ueber die Häupter der beiden Schulen lautet der Bericht des Pomponius im Eingang der Digesten (1, 2, 2, 48) also: Et ita Ateio Capitoni Massurius Sabinus successit, Labeoni Nerva, qui adhuc eas dissensiones auxerunt (51) huic (Sabino) successit Gaius Cassius Longinus .... (52) Nervae successit Proculus. Fuit eodem tempore et Nerva filius: fuit et alius Longinus ex equestri quidem ordine, qui postea ad praeturam usque pervenit. Sed Proculi auctoritas maior fuit, nam etiam plurimum potuit: appellatique sunt partim Cassiani, partim Proculiani, quae origo a Capitone et Labeone coeperat. (53) Cassio Caelius Sabinus successit, qui plurimum temporibus Vespasiani potuit: Proculo Pegasus, qui temporibus Vespasiani praefectus urbi fuit: Caelio Sabino Priscus Tavolenus: Pegaso Celsus: patri Celso Celsus filius et Priscus Neratius, qui utrique consules fuerunt, Celsus quidem et iterum: Iavoleno Prisco Aburnius Valens et Tuscianus, item Salvius Julianus. Ueber den Gegensatz der beiden Schulen vgl. jetzt auch Bremer, Jurisprud. antehadr. quae supers., pars altera, sectio prior, Leipz. 1899, p. 348.

488. Die Schule der Proculianer. Als Schulhäupter werden uns von Pomponius genannt:

1. M. Cocceius Nerva, der Grossvater des Kaisers Nerva; er war ein Vertrauter des Tiberius; allein im Jahre 33 n. Chr. fasste der angesehene Mann den Entschluss, in den Tod zu gehen, da ihm die Lage des Vaterlandes hoffnungslos erschien. Und trotz der Bitten des Tiberius führte er seinen Entschluss durch. Er wird von hervorragenden Juristen oft angeführt, ohne dass aber dabei eine Schrift von ihm namhaft gemacht wird.

Zeugnisse über M. Cocceius Nerva. Pompon. dig. 1, 2, 2, 48 hic etiam Nerva Caesari familiarissimus fuit; als der Kaiser Tiberius sich nach Campanien zurückzog, befand sich unter seinen Begleitern unus senator consulatu functus, Cocceius Nerva, cui legum peritia (Tacit. annal. 4, 58); als curator aquarum erscheint er zwischen 24-33 bei Frontin de aquis 102 M. Cocceius Nerva, divi Nervae avus, scientia etiam iuris inlustris. Cos. suff.

1) Vgl. darüber Jörs, Pauly-Wissowas Realencycl. 3 Sp. 1655.

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