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Gegenüber dieser inneren Verwandtschaft kann das Zeugnis eines wenig kenntnisreichen Autors, des Apollinaris Sidonius, der den Philosophen von dem Tragiker trennt,1) nicht ausschlaggebend wirken. Würde ein solcher Dichter neben dem Philosophen existiert haben, so würde gewiss bei Quintilian eine darauf bezügliche Bemerkung gemacht worden sein.

Wenn es aber sonach sehr wahrscheinlich ist, dass der Philosoph Seneca Tragödien gedichtet, so bleibt doch noch die Frage zu beantworten, ob er auch sämtliche Tragödien unseres Corpus bearbeitet hat. Es wäre ja möglich, dass sich um Seneca als den Hauptrepräsentanten der Gattung nachahmende Talente anschlossen, und dass dann deren Produkte unterschiedslos mit denen des Meisters zusammenflossen.) Auch in dieser Beziehung hielt man lange Zeit an der Ansicht fest, dass nur ein Teil der Tragödien Seneca angehöre. Allein nach dem gegenwärtigen Stand der Frage wird von den meisten Gelehrten die Authenticität aller Tragödien statuiert, ausgenommen den am Schluss der Sammlung stehenden Hercules Oetaeus; aber selbst bei diesem Stück ist eine umsichtige Forschung dahin gekommen, wenigstens den ersten Teil für Seneca in Anspruch zu nehmen, und selbst der verdächtige Teil hat in der Gegenwart seine Verteidiger gefunden. Wir wenden uns zur Besprechung der einzelnen Tragödien.

Ueber die Dichtungen Senecas vgl Quintil. 10, 1, 128 (Seneca) tractavit etiam omnem fere studiorum materiam: nam et orationes eius et poemata et epistolae et dialogi feruntur; Tacit. annal. 14, 52 obiciebant . . . et carmina crebrius factitare, postquam Neroni amor eorum venisset; Quintil. 8, 3, 31 memini iuvenis admodum inter Pomponium ac Senecam etiam praefationibus esse tractatum, an gradus eliminat in tragoedia dici oportuisset (ohne stichhaltigen Grund reiht Ribbeck, Tragic. Rom. fragm.3 p. 313 Nr. CXXIX mit Fr. Strauss, De ratione inter Senecam et antiquas fabulas Romanas intercedente, Rostock 1887, p. 19 dieses Fragment incertis incertorum fabulis ein). Unter den Erotikern zählt Plin. epist. 5, 3, 5 den Annaeus Seneca auf.

Abfassungszeit der Tragödien. Die Frage gestaltet sich hier schwierig, da die Anspielungen grösstenteils zu unbestimmt sind. Was R. Peiper (Praef. suppl. p. 11, p. 32) vorbringt, sind vielfach,somnia nugaeque merae". Auch Jonas, (De ordine librorum Senecae philos., Berl. 1870) tritt der Frage näher und sucht zum Teil im Anschluss an Peiper, zum Teil denselben rektifizierend, die Abfassungszeit von Medea und Troades (bald nach der Rückkehr aus dem Exil p. 38), von Oedipus (nach dem Partherkrieg des Jahres 58 p. 46, im Widerspruch mit F. Leo, vgl. § 375), von Phaedra (nach dem Tod des Britannicus p. 47), von Hercules f. (nach 57, vgl. Vs. 839, p. 47) von Thyestes (nach dem secessus Senecas p. 48) zu bestimmen. Die gewöhnliche Anschauung lässt die Tragödien in der Einsamkeit des Exils von Corsica entstehen (Ranke, Abh. und Vers. p. 26).

Die Autorschaft Senecas. Die Stellen, an denen bei anderen Schriftstellern Tragödien unseres Corpus unter dem Namen Seneca citiert werden, sind zusammengestellt von G. Richter, De Seneca tragoediarum auctore, Bonn 1862, p. 8; Zusammenfassung (p. 11): Senecae adsignari vidimus: Medeam a Quintiliano (9, 2, 8) et Diomede (Gramm. lat. 1 p. 511, 23), Herculem (fur.) a Terentiano Mauro (Gramm. lat. 6 p. 404, 2672), Troades a Probo (Gramm. lat. 4 p. 224, 22 und p. 246, 19 Seneca in Hecuba) et Tertulliano (de anima 42; de resurrect. carn. 1) Phaedram et Agamemnonem a Prisciano (Gramm. lat. 2 p. 253, 7 und 9), Thyestem denique a Lactantio (schol. zu Stat. Theb. 4, 530).

Ueber die Uebereinstimmungen der Tragödien und der philosophischen Schriften Senecas vgl. Nisard, Études sur les poètes latins de la décadence 1, Paris 1878, p. 66. Auch Ranke (Abh. und Vers. p. 27) hat auf solche kongruente Stellen aufmerksam gemacht.

Athetierte Tragödien. Von neueren Gelehrten erachtet G. Richter (De Seneca etc. p. 29) den Hercules Oetaeus, Oedipus, Agamemnon, Pais (Il teatro di Seneca

1) carm. 9, 232 quorum unus colit hispidum Platona, . . . . orchestram quatit alter Euripidis.

2) So Bernhardy, Grundriss der röm. Litt., Braunschw. 1865, p. 419.

p. 20) die Phoenissen, Oedipus, Agamemnon, Hercules Oetaeus für unecht; gegen Pais vgl. Fr. Strauss, Zeitschr. für österr. Gymn. 1892 p. 732. Der verdiente Herausgeber F. Leo dagegen hält auf Grund einer eingehenden Untersuchung an der Echtheit aller Tragödien fest mit Ausnahme des letzten Teils des Hercules Oetaeus; den verdächtigten Teil schützen Ribbeck und Hosius; vgl. p. 50. Klotzsch, De A. Seneca, uno tragoediarum, quae supersunt, omnium auctore, Wittenberg 1802; Leeper e Baroncelli, Le tragedie di Seneca (Giornale di erudiz. 6 (1897) nr. 17 und 18).

Ueberlieferung der Tragödien Senecas. Die Grundlage für die Recension der neun Tragödien ist der von I. Fr. Gronov im Jahre 1640 gefundene und „Etruscus“ benannte codex Laurentianus 37, 13 s. XI/XII, wozu noch einige Fragmente kommen, die Blätter des ambrosianischen Palimpsestes, welche einige Verse der Medea und des Oedipus enthalten (vgl. das apographum Studemundi bei F. Leo 2 p. XX), und die Excerpte im Miscellancodex des Thuaneus, jetzt Parisinus 8071 s. IX/X, welche sich auf die Troades, Medea und Oedipus beziehen (vgl. das apographum Leo's 2 p. IX). Die übrigen nicht vor s. XIV geschriebenen Handschriften gehen auf eine Recension zurück, die einen willkürlich zurecht gemachten und daher trotz der Glätte sehr trügerischen Text darbietet. Diese Quelle darf daher nur mit grosser Vorsicht benutzt werden. Als Anwälte dieser Recension treten auf R. Peiper, De Sen. tragoed. vulgari lectione (A) constituenda (Festschr., Breslau 1893, p. 55); G. Richter, De corruptis quibusdam Sen. tragoed. locis, Jena 1894. Aeussere Kriterien für die beiden Handschriftenfamilien sind 1) die verschiedene Reihenfolge der Stücke; in der ersten Familie ist die Reihenfolge: Herc. fur., Troad., Phoen., Med., Phaedra, Oed., Agam., Thyest., Herc. Oet.; in der zweiten: Herc. fur. Thyest., Thebais, Hippol., Oed., Troad., Med., Agam., Herc. Oet.; 2) das Hinzukommen eines neuen Stücks, der Octavia, in der interpolierten Familie. Da an vielen Stellen die ursprünglichen Lesarten des Etruscus ausradiert oder unleserlich geworden sind, ist es für die Kritik von der grössten Wichtigkeit, einen Zeugen aufzusuchen, welcher von diesem Schaden frei geblieben. Einen solchen erhalten wir in der Quelle der beiden Handschriften Ambrosianus D 276 inf. s. XIV und Vaticanus 1769 s. XIV., welche mit Ausnahme der Phoenissen und des ersten Teils der Medea einen nach den interpolierten Handschriften korrigierten Text der ersten Familie (nach Leo's Ansicht des Etruscus selbst auf Grund von Troad. 635) liefert. Die Spaltung in zwei Familien lässt sich weit zurück verfolgen; vgl. Lactantius Placidus zu Stat. Theb. 4, 530, der Thyestes Vs. 347 eine Lesart der zweiten Familie darbietet; auch Richard de Fournival (um die Mitte des 13. Jahrh.) kennt schon die zweite Recension; vgl. Manitius, Philol. aus alten Bibliothekskatalogen (Rhein. Mus. 47 (1892) Ergänzungsheft p. 4); F. Leo, De recensendis tragoediis im 1. Band seiner Ausgabe. Ein Referat über die Handschriften gibt Tachau, Die Arbeiten über die Trag. des L. A. Seneca in den letzten Jahrzehnten (Philol 48 (1889) p. 341). — A. Zingerle, Ueber einen Innsbrucker Codex des Seneca trag. (Zu späteren lat. Dichtern 2, Innsbruck 1879, p. 1); Eckstein, Das Zittauer Fragm. einer Handschr. des Trag. Seneca, Einladungsschr., Zittau 1895; Ussani, Un codice di Seneca (Bolletino di filol. class. 5 (1898) p. 18)

Ausg. von J. Lipsius, Leiden 1588; J. Gruter, Heidelberg 1604; Scriverius, Leyden 1621; 1651; epochemachende, auf den Etruscus gegründete Edition von J. Fr. Gronov, Leyden 1661; Amsterdam2 1682; recogn. Fr. H. Bothe, Leipz. 1819, 1834; rec. Baden, Leipz. 1821; mit Commentar von Pierrot, Paris 1829-1832; Medea und Troades von A. Matthiae, Leipz. 1828. Die Ausgabe von R. Peiper und G. Richter, Leipz. 1867, ruht auf der unrichtigen Idee, dass Seneca alle Teile seiner Tragödien, Cantica wie Dialog, strophisch gegliedert habe. Diese irrige Idee hat zu ganz willkürlichen kritischen Operationen geführt. Die Arbeit ist eine pathologische Erscheinung auf dem Gebiete der Philologie. Vgl. Bernh. Schmidt, Fleckeis. Jahrb. 97 (1868) p. 781 und 855. Vortrefflich ist die neueste Ausgabe von F. Leo, 2 Bde., Berl. 1878, 79; der 1. Band enthält die sorgfältigen De Senecae tragoediis observationes criticae. Ueber den Gang der Kritik bei Seneca vgl. Mich. Müller, In Sen. trag. quaest. crit., Berl. 1898, p. 1.

Uebers. mit Einl. von Swoboda, Wien 1828--30; Oedipus übers. und erl. von A. Steinberger, Regensb. 1889.

Zur Erläuterung. Lessing, Von den lateinischen Trauerspielen, welche unter dem Namen des Seneca bekannt sind (Beiträge zur Historie und Aufnahme des Theaters 1754) Lessings sämmtl. Schr. hsg. von Lachmann, 4 p. 224; L. Müller, Fleckeis. Jahrb. 89 (1864) p. 409; R. Peiper, Praef. in Sen. trag. nuper ed. suppl., Breslau 1870, p. 8; Sandström, De L. A. Senecae tragoediis, Upsala 1872 (unbedeutend); vortrefflich Welcker, Die griech. Tragödien mit Rücksicht auf den epischen Cyclus geordnet, 3. Abt. (Rhein. Mus. 2. Supplementbd. 3. Abt. 1841, p. 1446); K. Schulte, Bem. zur Senecatragödie, Rheine 1886; Ranke, Die Tragödien Senecas (Abh. und Vers., Leipz. 1888, p. 21) stellt Seneca ziemlich hoch; Pais, 11 teatro di L. Anneo Seneca, Turin 1890 (Authentizität, Quellen, ästhetische Würdigung der Stücke); vgl. dazu Fr. Strauss, Zeitschr. für österr. Gymn. 1892 p. 732.

369. Hercules (furens). Die Andeutungen von dem Schrecklichen, das wir in dem Stück zu erwarten haben, erhalten wir durch Juno, die erbittertste Feindin des Hercules. Dann erscheinen der Vater des Hercules, Amphitryon, und die Gattin des Helden, Megara; sie beklagen die Abwesenheit des Hercules, der gegenwärtig in der Unterwelt verweilt; denn Lycus hat sich der Gewalt bemächtigt. Der Tyrann tritt jetzt selbst auf und verlangt Megara zur Gemahlin; und als sie sich dessen weigert, droht er ihr, ihren Kindern und Amphitryon den Tod. Gerade noch zur rechten Zeit langt Hercules mit Theseus aus der Unterwelt an. Von Amphitryon über die Sachlage unterrichtet entfernt sich der Heros, um sofort Lycus zu züchtigen. Unterdessen erzählt Theseus von ihrem Gange in die Unterwelt. Hercules kehrt zurück, Lycus ist getötet; es folgt der grausigste Moment des Dramas, der Wahnsinn des Alciden, in dem er seine Kinder und seine Gattin hinmordet. Dann sinkt er in tiefen Schlummer. Als er daraus erwacht und des Unheils, das er angestiftet, gewahr wird, will er sich selbst den Tod geben; es bedarf der eindringlichsten Ermahnungen seines Vaters, um ihn von diesem Entschluss abzubringen. Theseus fordert ihn auf, ihm nach Athen zu folgen, dort werde er der Reinigung von seiner Blutschuld teilhaftig werden.

Das Original Seneca legt die Sage in der Gestalt, welche sie bei Euripides empfangen hatte, zu Grund; es finden sich daher auch bei ihm des griechischen Dichters Neuerungen, die Verlegung des Kindermordes an das Lebensende des Hercules, die Einführung des Lycus und die Heranziehung des Theseus (Wilamowitz, Euripid. Herakles 1, Berl.2 1895, p. 109). Doch weicht die römische Bearbeitung von der griechischen in folgenden wesentlichen Stücken ab: 1) Bei Euripides wird der zweite Teil der Handlung durch eine Art von neuem Prolog eingeleitet, indem Iris die Lyssa einführt, welche bei Hercules ihres Amtes walten soll; bei Seneca setzt gleich im Anfang Juno die Furien in Bewegung, so dass wir auf eine traurige Wendung vollständig gefasst sind. 2) Auch mit Lycus nahm Seneca eine Aenderung vor. Während bei dem Griechen der Kindermord damit motiviert wird, dass Lycus sich nicht Rächer aufziehen will (168), droht bei dem Römer der Tyrann Megara und dem ganzen Geschlecht des Hercules den Tod, weil Megara nicht seine Gattin werden will, wie er zur Sicherung seiner Herrschaft sich gewünscht hatte. 3) Bei Euripides tritt Theseus erst am Schluss auf und greift dann in die Handlung ein; bei Seneca kommt er mit Hercules aus der Unterwelt. Diese Neuerung wurde vorgenommen, um Theseus, während Hercules zur Bestrafung des Lycus sich entfernte, die Fahrt in den Hades erzählen zu lassen. Die vorzeitige Einführung des Theseus bedingt auch eine Modifikation am Schluss. 4) Der Grieche lässt den Mord erzählen, der Römer zieht ihn in die Darstellung herein.

Litteratur. F. Leo, Ausg. 1 p. 160; R. Werner, De L. A. Senecae Hercule Troadibus Phoenissis quaest., Leipz. 1888, p. 5. Analyse bei Lessing 4 p. 225 Lachm.; Ribbeck, Gesch. der röm. Dicht. 3 p. 66.

370. Die Troerinnen (Troades). Mit Klagen der Hecuba und des Chors über das Schicksal Trojas wird das Stück eingeleitet. Talthybius führt uns in den Gegenstand des Dramas ein, indem er verkündet, dass Achilles aus seinem Grabe emporgestiegen sei und verlangt habe, dass die Tochter des Priamus, Polyxena, seiner Asche zum Opfer dargebracht werde. Über diese Forderung entspinnt sich ein Streit zwischen Pyrrhus, der seinem Vater diese Sühne nicht entzogen wissen will, und Agamemnon, der das verlangte Menschenopfer verabscheut und den Standpunkt der Gnade vertritt. Calchas wird zur Entscheidung angerufen. Der Seher bekräftigt nicht nur die Notwendigkeit der Opferung Polyxenas, sondern erklärt weiter, dass, wenn die Flotte günstigen Wind für die Heimkehr erhalten wolle, Hectors Sohn Astyanax von der Veste Trojas gestürzt werden müsse. Aber Andromache war bereits gewarnt worden; ihr war Hector

im Traum erschienen und hatte sie gebeten, den kleinen Astyanax zu verbergen. Sie wählt als Versteck das Grabmal des Gatten. Kaum ist Astyanax dort untergebracht, als Ulixes erscheint, um im Namen des griechischen Heeres die Auslieferung des Astyanax zu verlangen. Andromache gibt vor, ihr Sohn sei umgekommen; allein dem scharfen Blick des schlauen Mannes entgeht nicht die Unruhe in dem Gebahren der Andromache. Die Ankündigung, dass zur Sühne jetzt die Asche Hectors zerstreut werden müsse, ruft einen Zwiespalt in den Gefühlen der Mutter und der Gattin hervor. Als Ulixes Hand an das Grab anlegt und der Sohn in Lebensgefahr gerät, gesteht sie ihren Betrug ein und sucht durch flehentliche Bitten Ulixes zu erweichen. Vergeblich. Astyanax wird fortgeführt. Die Handlung wendet sich zum zweiten Opfer. Helena hatte den Auftrag erhalten, Polyxena durch List in die Hände der Griechen zu bringen; sie soll sagen, die Königstochter sei als Braut für Pyrrhus bestimmt. Allein die anwesende Andromache glaubt den Worten der Helena nicht; und Helena offenbart schliesslich selbst die Wahrheit, welche über Hecuba neue Erschütterung bringt. Das Geschick eilt rasch vorwärts. Ein Bote verkündet, dass Astyanax von den Mauern gestürzt wurde, und dass Polyxena am Grabe des Achilles, vom Stahl des Pyrrhus getroffen, hinsank. Beide waren unerschrocken in den Tod gegangen. Die Flotte rüstet sich jetzt zur Abfahrt.

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Die Originale. Wie uns die Inhaltsübersicht gezeigt, beruht der Aufbau des Stücks darauf, dass zwei Motive, die Opferung der Polyxena und der Tod des Astyanax miteinander verbunden sind. Beide Motive sind von den Tragikern bearbeitet worden, in der Hecuba hat Euripides die Opferung der Polyxena neben der Bestrafung des Polymestor, in den Troades neben anderen Scenen die Tötung des Astyanax behandelt. Aber auch Sophokles versuchte an beiden Stoffen seine Schaffenskraft. Seine Gefangenen" stellten den Tod des Astyanax dar (Welcker, Die griech. Trag, mit Rücksicht auf den ep. Cyklus geordnet, 1. Abt., Rhein. Mus. 2. Supplementbd. 1. Abt. 1839 p. 171), seine Polyxena" die Opferung der Tochter des Priamus. Da uns die genannten sophokleischen Tragödien verloren gegangen, ist es unmöglich, genauer festzustellen, wie weit der Nachdichter seine Vorbilder ausgenutzt. Ziehen wir die erhaltenen euripideischen Stücke zum Vergleich heran, so ist eine Benutzung der Hecuba ersichtlich, in viel geringerem Grad vermögen wir die Einwirkung der Troades (z. B. 814 Eurip. 188) nachzuweisen. Aber wir kommen nicht mit diesen Tragödien aus, wir müssen noch Verwertung des einen oder der beiden sophokleischen Stücke annehmen. Litteratur. F. Leo, Ausg. 1 p. 170; W. Braun, De Sen. fabula, quae inscr. Troades, Wesel 1870; Habrucker, Quaest. Ann., Königsberg 1873, p. 37; R. Werner, De Sen. Troad. quaest., p. 20; gegen dessen Hypothese, dass das Stück unvollendet sei, vgl. Lindskog, Studien zum antiken Drama, Lund 1897, II p. 79. Pais, Quibus exemplaribus Seneca in fabula quam Troades" inscripsit usus sit (Rivista di filol. 16 (1888) p. 277); Il teatro etc., p. 60. Analyse bei Ribbeck, Gesch. der röm. Dicht. 3 p. 61.

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371. Die Phönissen. Unter diesem Titel sind zwei Fragmente vereinigt, welche sich auf zwei ganz verschiedene Situationen beziehen. In dem ersten Stück (1-362) haben der blinde Oedipus und Antigone Theben verlassen. Oedipus will seine Schritte nach dem Cithaeron lenken. Sein Entschluss ist, seine Schuld durch freiwilligen Tod zu sühnen. Diesem Gedanken stellt sich Antigone entgegen, es entspinnt sich eine Erörterung des Themas vom Selbstmord. Oedipus betrachtet diesen als ein Recht des Menschen, denn das Leben kann man uns nehmen, nicht aber den Tod" (152). Antigone spricht sich dagegen für das Ausharren im Leiden aus. Da tritt plötzlich eine Veränderung der Scene ein (320).1) Oedipus und Antigone

1) Man kann daher auch von drei Fragmenten sprechen, wenn man dieses mit dem

vorigen nicht zusammenhängende Fragment für sich betrachtet.

weilen jetzt allem Anschein nach auf dem Cithaeron. Wir vernehmen, wie Antigone den Vater bittet, dem unheilvollen Streit des Eteocles und Polynices ein Ziel zu setzen. Diese Bitte versetzt Oedipus in grosse Erregung, er ergeht sich in argen Verwünschungen und weigert sich, seine Stätte im Gebirg zu verlassen.

Das zweite Fragment führt uns nach Theben, hier sehen wir Jocaste und Antigone.1) Ein Diener tritt auf und meldet, dass die Heere bereits vor Theben gegeneinander rücken. Der Diener und Antigone vereinigen. ihre Bitten, um Jocaste zur Schlichtung des Streites zu bewegen. Scenenwechsel: die ergraute Mutter wirft sich zwischen die streitenden Söhne. Polynices ist es, an den sie ihre eindringlichen Worte richtet und dessen Einwürfe sie widerlegt. Zuletzt spricht auch Eteocles einige Worte über die Herrschaft: sie sei unauflöslich mit dem Hass verbunden, wer diesen fürchte, müsse auf das Regieren verzichten.

Die vorliegenden Fragmente sind als Studien des Dichters zu betrachten.

Die Hypothese Birts. Die Fragmente hält Birt (Rhein. Mus. 34 (1879) p. 523) für Excerpte aus einer ehemals vollständigen Tragödie. Zweck des Epitomators sei gewesen, die durch die Handlung wirksamsten und mehr noch die rhetorisch wirksamsten Partien herauszuheben". Diese Tragödie suchte Birt auch zu rekonstruieren, wobei er allerdings gezwungen ist, dreimaligen Ortswechsel zu statuieren (p. 528). Die Birt'sche Hypothese, welche zuletzt noch Lindskog (Studien zum antiken Drama, II p. 63) vertreten hat, ist entschieden unrichtig.

Die Hypothese Helms. Bezüglich des zweiten Fragments statuiert Helm, De P. Pap. Statii Thebaide, Berl. 1892, p. 54: ,solidam fuisse fabulam Senecae existimo, quam ex Euripidis et Statii carminibus si inter se comparemus aliqua cum probabilitate restituere possimus; bezüglich des ersten Fragments stellt er den Satz auf: neque mihi dubium est, quamquam alii improbarunt, quin haec scaena alterius sit fabulae ad Oedipodis Colonei exemplum conscriptae"; vgl. noch p. 57: neque multum videtur valere, quod Seneca hac fabula quam fuisse arbitramur Oedipum Coloneum perfecta neque cum Phoenissis concordasset neque cum Oedipode, quae fabula extat". In der Ueberlieferung die Lösung der Frage finden zu wollen, erscheint mir aussichtslos.

Litteratur. G. Richter, De Sen. trag. auct., Bonn 1862, p. 21; Habrucker, Quaest. Ann., p. 22; W. Braun, Die Phoen. des Sen. (Rhein. Mus. 20 (1865) p. 271); R. Werner, De Senecae Phoenissis quaest., p. 44; Ribbeck, Gesch. der röm. Dicht. 3 p. 72; F. Leo, Die Composition der Chorlieder Senecas (Rhein. Mus. 52 (1897) p. 518 Anm. 1). Interessant ist das zweite Fragment wegen der darin niedergelegten politischen Maximen (Ranke, Abh. und Vers. p. 30). Analyse bei Ribbeck, Gesch. der röm. Dicht. 3 p. 71.

372. Medea. Gleich bei Beginn der Handlung tritt uns Medea leidenschaftlich erregt und rachedürstend entgegen. Die Klänge des Hymenaeus,2) der dem Brautpaar Jason und Creusa gilt, dringen ja bereits an ihr Ohr. Vergeblich rät die Amme zur Mässigung und zur Flucht. Von Creon, dem König von Korinth, des Landes verwiesen bittet sie um Aufschub. Ein Tag wird ihr gewährt, hinreichend für die Ausführung ihrer Pläne. In dem Gespräch mit Jason macht sie einen letzten Versuch, ihn zu erweichen, indem sie mit lebhaften Farben schildert, was sie alles um des geliebten Mannes willen gethan. Jason lässt sich nicht umstimmen, er dringt in sie, Korinth zu verlassen. Sie will es thun, aber nicht ohne die Kinder mitzunehmen. Als sie hört, dass Jason ohne dieselben nicht leben. kann, durchzuckt sie der Gedanke, dass sie jetzt wisse, wo mit der Rache ein

1) Auch die Anwesenheit des Oedipus denkt sich F. Leo (Ausg. 1 p. 75) als vorausgesetzt. Allein die Stellen, aus denen er dies erschliesst (550; 622), können auch ohne

diese Voraussetzung ihre Erklärung finden (Birt, Rhein. Mus. 34 (1879) p. 524).

2) Vgl. Reitzenstein, Die Hochzeit des Peleus und der Thetis (Hermes 35 (1900) p. 96).

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