Freilich scheint das Gesagte widerlegt zu werden durch den von Gratian in seine Sammlung aufgenommenen, von ultramontanen Schriftstellern mit Vorliebe ins Feld geführten Canon 5), c. 1. C. XXX. qu. 5. (Papst Evaristus zugeschrieben) der die kirchliche Einsegnung für unumgänglich nothwendig erklärt 54), aber sowohl dieser, als der des Calixtus 55) u. a. derartige sind pseudoisidorischen Ursprungs. Wenn wir uns jetzt nach der Reception der kirchlichen Eheform umsehen, so ist vor allen Dingen zu bemerken, dass sowohl in Skandinavien, als auch vorzüglich in Island die kirchlichen Bestimmungen zu voller Geltung kamen, und auf ihre Befolgung in allen bürgerlichen Gesetzbüchern gedrungen wurde 6). Im Uplandslag finden wir sogar eine Stoltaxe, und im Ostgothländischen Recht, die allerdings noch viel eigenthümlichere Bestimmung, dass die Ehe schon durch die blosse priesterliche Einsegnung (vîgaz) selbst ohne Vornahme der bürgerlichen Uebergabe (giptaz) mit der Besteigung des Ehebettes vollständig rechtsgültig werde. Nur soll der Verlober bei der Trauung gegenwärtig sein, und der Priester an dessen Einwilligung bei Strafe einer unrechtmässigen Verlobung, d. h. von 40 Mark gebunden. Auch die kirchlich verbotenen Heirathszeiten fanden hier Eingang und durch die weltliche Gesetzgebung Bestätigung. So war in Island fast den ganzen Winter hindurch die Eheschliessung untersagt. Von Sonnabend vor Weihnachten bis eine Woche nach Epiphanias, und neun Wochen vor Ostern 53) Vgl. Bellarmin. de matrim. c. 8. 54) Aliter legitimum non fit coniugium, nisi ab his, qui super ipsam feminam dominationem habere videntur, et a quibus custoditur uxor petatur, et a parentibus et propinquioribus sponsetur, et legibus dotetur, et suo tempore sacerdotaliter, ut mos est, cum precibus et oblationibus a sacerdote benedicatur" etc. 55) „Quisquis ergo non est legitime coniunctus vel absque dotali titulo ac benedictione Sacerdotis constat copulatus, Sacerdotes vel legitime coniunctos criminari, vel in eos testificari minime potest," denn er ist infamis. Bei Blondellus Pseudo Isidorus S. 260. (c. 4. C. IV. qu. 4.) 56) Dass aber auch hier Verletzungen der kirchlichen Vorschriften vorkamen, ergiebt sich u. a. aus dem Briefe Alexander's III. an den Erzbischof von Upsala, wo es als „scelus“ bezeichnet wird, „fideles laicos absque sacerdotali beuedictione et missa matrimonium contrahere". Bei Mansi Conc. XXI, 938. bis acht Tage nach Ostern war der Eheschluss bei Strafe der Verbannung verboten; nur der Anfang des Winters, die Adventzeit, war freigegeben 57). Auch bei den Angelsachsen gelang es der Kirche, durchzudringen. Freilich spielte der Priester in der älteren Zeit, z. B. in dem von Schmid mitgetheilten Trauformular 58), eine höchst untergeordnete Rolle, da er eigentlich nur die schon geschlossene Ehe einsegnete, und auch dieser Segen keineswegs nöthig war, vielmehr bei zweiten Ehen gesetzlich fortfiel 59); allein bald greift er doch mehr in die Handlung ein, ja wird deren Leiter, und als solcher erscheint er in den alten Ritualen der Kirchen von Salisbury 60) und York1). 57) Festath 13. Ueber Norwegen siehe Gulathingsbuch c. 27. Borgarthings Kristenrecht c. 7. Vgl. überhaupt über die früher gebräuchlichen Hochzeitstage, Weinhold a. a. O. S. 246 ff. Von der Verlobung einer Jungfrau. 58) Gesetze der Angelsachsen S. 390 f.: Be wîfmannes beweddunge. Cap. 1: Gif man mædan odde wif weddian wille, and hit swâ hire and freôndan gelîcige, ponne is riht, þæt se bryd-guma æfter Godes rihte and after woruld-gerysnum ærest behâte and on wedde sylle pâm men, pe hire fors precan synd, þæt he on pa wisan hire geornige, þæt he hy after Godes rihte healdan wille, swâ wær his wîf sceal, and âborgian his frynd þæt. Wenn jemand mit einem Mädchen oder einer Frau sich verloben will, und es ihr und den Freunden genehm ist, dann ist Recht, dass der Bräutigam nach Gottes Rechte und den Gebräuchen der Welt zuerst verheisse und denjenigen gelobe, die ihre Fürsprecher sind, dass er in dieser Weise ihrer begehre, dass er sie nach Gottes Gesetz halten wolle, wie ein Mann seine Frau (halten) soll und seine Freunde mögen das verbürgen. Versprechungen und die Bürgschaftsstellung Hierauf erfolgen die einzelnen Cap. 8: Et pâm giftan sceal mæssepreôst beôn mid rihte, se sceal mid Godes blêtsunge heora gesomnunge gederian an ealre gesundfulnesse. Wenn sie dann über jedes Ding einig sind, dann mögen die Magen zugreifen, ́und ihre Mage dem zum Weibe und zu einem rechten Leben verloben, der ihrer begehrte, und es nehme die Bürgschaft an, wer Leiter der Verlobung ist. Bei der Uebergabe soll der Messepriester nach Recht gegenwärtig sein, der soll mit dem Segen Gottes die Vereinigung binden zu Aller Wohle. 59) Vgl. Schmid a. a. O. S. 562. Grimm a. a. O. S. 435. 60) Galt in den östlichen Theilen Englands und denen diesseits des Trent. 61) Galt in den südlichen Theilen und jenseits des Trent. Vor der Kirchthür steht der Mann, der Frau zur Rechten, und der Priester fragt nach der dos und nach allem, was der Bräutigam der Braut zu geben gedenke. Darauf fragt er ihn willst du diese Frau zur Braut haben, sie lieben, ehren und bewahren, gesund und krank, wie ein Bräutigam seine Braut muss, alle anderen ihrethalben fahren lassen, ihr allein anhangen, so lange du lebst?" Der Bräutigam: „ich will." Darauf die gleiche Frage an die Braut, und die gleiche Antwort. Jetzt übergeben der Vater oder die Freunde der Braut dieselbe an den Bräutigam, und dieser gelobt ihr, sie bei der Rechten fassend: „Ich nehme dich zu meinem verlobten Weibe, zu haben und zu halten von diesem Tage an, in Glück und Unglück, in Reichthum und Armuth, in Krankheit und Heil, bis der Tod uns trennt, ob die heilige Kirche es wohl ordne und darauf pflichte ich dir meine Treue“. Aehnlich lautete das Gelübde der Braut. Hierauf legt der Mann den Ring auf einen Schild oder auf das Buch, der Priester weiht den Ring mit Weihwasser und giebt ihn dem Manne zurück, der ihn in die rechte Hand mit den drei vordersten Fingern nimmt, mit der linken die rechte der Braut fasst und nach Anweisung des Priesters sagt: „Mit diesem Ringe verlobe ich dich mir, dieses Gold und Silber gebe ich dir und würdige dich meines Leibes, und bringe dir all' mein zeitlich Gut dar. Dann steckt er ihr den Ring an den Dau„Im Namen des Vaters", an den zweiten Finger „Im Namen des Sohnes", an den dritten und des heiligen Geistes", endlich an den vierten, an den digitus annularis, wie er in den Pseudoleges Canuti (c. 23) heisst, „Amen“. Hierauf spricht der Priester den Segen: Benedicti sitis a domino, qui fecit mundum ex nihilo. Amen. oder auch wohl: Ideo matrimonium per vos contractum confirmo, rectifico et benedico in nomine P. F. et Sp. S. Dann gehen sie in die Kirche, Braut und Bräutigam knieen an der Altarstufe nieder, und feiern darauf im Presbyterium die Messe und das Abendmahl. Auch in den späteren englischen Rechtsbüchern findet sich zwar speziell über die Form der Eheschliessung Nichts angegeben, wohl aber lässt sich aus dem Umstand, dass als Ort der Dosbestellung der Platz vor der Kirche bezeichnet wird), mit Sicherheit kirchliche Eheschliessung annehmen. So sagt auch Chaucer von seiner Frau: ,,Shee was a worthy woman all her live, Husbands at the Church dore had she five." Das eben erwähnte Eheritual, welches unverkennbare Anklänge an den alten Mundkauf enthält, blieb bis 1549 in Kraft; aber auch in dem durch St. 2. 3. Edw. VI. c. 1 vorgeschriebenen Ritual (das übrigens die Eheschliessung in der Kirche einführte 63) hiess es: der Bräutigam giebt der Braut den Ring, and other tokens of spousage" und erst durch St. 5. und 6. Edw. VI. c. 1. wurde das geändert, und das heutige Ritual eingeführt. Aehnlich wie in England stellte sich das Verhältniss in Frankreich. Auch hier heisst es in den Etablissements de St. Louis (1. 1. c. 18.): „Gentilfame puet bien plaider de son douère en la cort à celui en qui chastellerie il sera, ou en la cort de Sainte Eglise; et en est à son choix. Et ainsi puet fere Gentilhome de son mariage qui li a esté donné à porte de moustier" etc., während das in einem späteren Zeitalter entstandene Rechtssprüchwort: boire, manger et coucher ensemble, c'est mariage ce me semble *) auch die Fortdauer der alten Volksgewohnheiten genugsam anzeigt. Zur Zeit der Karolinger findet sich jedenfalls von einer priesterlichen Mitwirkung bei Eheschliessungen sehr wenig, und die hiefür beigebrachten Kapitularien sind alle bis auf das v. 802. c. 3565) gefälscht); dies aber war schon als lex imperfecta von geringer Wirkung. 62) Fleta lib. 5. c. 17. Glanvilla lib. 6. c. 1. Littleton sect. XXXIX. Briton c 101. Bracton. lib. 2. c. 39; lib. 4. c. 8. 63) Noch in der Strassburger Agende des Bischofs Johann (Col. 1590) geschah die Trauung vor der Kirche. " 64) Schäffner Gesch. der Rechtsverf. Frankreichs III, S. 185. 65) Conjunctiones facere non praesumant, ante quam episcopi, presbyteri cum senioribus populi consanguinitatem conjungentium diligenter exquirant, et tunc cum benedictione jungantur.“ 66) Cap. VI, 130: „Nec sine benedictione sacerdotis nubere audeant.“ 408: Nec sine benedictione sacerdotis cum virginibus nubere audeant, neque viduas absque suorum sacerdotum consensu et conniventia plebis ducere praesumant.“ VII, 179: „Sancitum est, ut publicae nuptiae fiant: quia saepe in nuptiis clam factis gravia peccata tam in sponsis aliorum, quam et in propinquis sive adulterinis conjugiis, et quod pejus est dicere, In Sicilien ist vor der normännischen Eroberung weder Oeffentlichkeit der Eheschliessung noch priesterliche Trauung Erforderniss gewesen. Beides wurde vielmehr erst durch König Roger eingeführt 7), und zwar nur für die erste Ehe. Dabei bemerkt er ausdrücklich, dass alle vor diesem Gesetz geschlossenen Ehen durch dasselbe in ihrer Rechtskraft nicht berührt werden sollten. In der Lex Wisigothorum erhalten wir über die Eingehung der Ehe bei den Westgothen keine Aufklärung, doch wird an einer Stelle den Juden befohlen, ihre Ehen ganz so wie die Christen zu schliessen, und aus einer anderen Stelle erfahren wir, dass es zu ihren Ehen der Zahlung des Mundschatzes und der kirchlichen Einsegnung bedürfe 68). Dies erlaubt uns vielleicht einen Rückschluss auf die Art der Eheschliessung bei den Christen in Spanien, jedenfalls ist es genügend gewesen, den Mainzer Diacon Benedictus Levita (lib. 2. c. 327.) zur Fabrication folgenden Capitulares zu bewegen: „Christiani ex propinquitate sanguinis usque ad VII. gradum connubia non ducant, neque sine benedictione sacerdotis, qui ante innupti erant, nubere audeant." — consanguineis accrescunt vel accumulantur. Sed prius conveniendus est sacerdos, in cujus parochia nuptiae fieri debent, in ecclesia coram populo. Et ibi inquirere una cum populo ipse sacerdos debet, si ejus propinqua sit, an non aut alterius uxor vel sponsa vel adultera. Et si licita et honesta omnia pariter invenerit, tunc per consilium et benedictionem sacerdotis et consultu aliorum bonorum hominum eam sponsare et legitime dotare debet" etc. (Evaristi ep. I. Cap. 755. c. 15. Ticin. 801. c. 19.) 389. Böhmer, Ueber die Ehegesetze im Zeitalter Karl's d. Gr. S. 64. 65, scheint von der Unächtheit dieser Capitularien keine Ahnung zu habeu. 67) Const. Regni Siculi III, 20: „Sancimus lege praesenti volentibus omnibus contrahere matrimonium, necessitatem imponi universis hominibus regni nostri et nobilibus, maxime post sponsalia celebrata, solemnitate debita et sacerdotali benedictione praemissis matrimonium solemniter et publice celebrari. Alioquin noverint amodo, morientes contra nostrum regale edictum neque ex testamento neque ab intestato se habituros heredes legitimos, ex clandestino matrimonio et illicito contra nostram sanctionem procreatos; mulieres etiam dotes aliis nubentibus legitime debitas non habere. Rigorem hujus sanctionis omnibus illis remittimus, qui promulgationis hujus tempore jam matrimonium contraxerunt. Viduis etiam volentibus ducere virum hujus necessitatis vinculum relaxamus.“ 68) XII, 3, c. 8. |