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Erftes Kapitel,

Der Gott sfohn.

Seit Schleiermacher ist der Gebrauch unter uns aufgekom men, alte kirchliche Ausdrücke in der Art anzuwenden, daß denselben ein neuer Sinu unterschoben wird. Die Absicht Derer, welche sich dieses Kunstgriffs bedienen, geht manchmal darauf aus, Unwissende durch den Schein der Rechtgläubigkeit zu täuschen. Da ich fürchte, man möchte argwöhnen, ich hätte selbst zu ähnlichem Zwecke den Ausdruck Gottes Sohn vorangestellt, so muß ich mit einer Begriffsbestimmung beginnen. Ich verstehe unter Gottes Sohn nicht das metaphysische, menschlicher Erfahrung ferne liegende Wesen der hergebrachten Dogmatik, son= dern ich bezeichne damit die sittliche und geistige Vollkommenheit, durch welche sich Christus von anderen Menschen unterscheidet. Dieser Gebrauch des Worts ist nicht neu. In einem ähnlichen Sinne wird dasselbe von Jesus selbst angewendet, Johannis X, 34 u. flg. Wundern muß man sich nun, daß gerade dieser höchste und wichtigste Theil der ganzen evangelischen Geschichte am Leichtesten und Sichersten erhärtet werden kann. Zum Behufe des Beweises schlage ich folgenden Gang ein.

Mag man sämmtliche Evangelien auch für noch so sagenhafte und unlautere Berichte halten, so muß doch der übertriebenste Zweifel drei Punkte zugestehen: Erstens, daß ein Mann,

welcher Jesus hieß und von Vielen für Christus, d. h. für den Messias angesehen ward, wirklich zur Zeit des Kaisers Tiberius im jüdischen Lande gelebt hat; zweitens, daß er ge= kreuzigt wurde; drittens, daß er den Tod nicht auf freien Antrieb der römischen Obrigkeit jener Provinz, oder genauer gesprochen, des Landvogts Pontius Pilatus, sondern in Folge gewisser Anklagen und Ränke einer mächtigen Partei unter seinem eigenen Volke erlitten hat. Zum Beweise der beiden ersten Punkte braucht man sich nicht einmal auf die Evangelien zu berufen, das einfache Zeugniß des römischen Geschichtsschreibers genügt: *) auctor nominis ejus (Christianorum) Christus, Tiberio imperitante, per procuratorem Pontium Pilatum supplicio affectus erat. Nicht minder sicher ist der dritte Punkt, daß Jesus nicht durch die freic Gewaltthat des römischen Landvogts den Tod erlitten hat, sondern daß er dem Hasse seiner eigenen Landsleute erlegen ist, daß somit der Arm des Römers nur das Werkzeug war, während der Antrieb zur That von den Juden ausging. Denn erstlich stimmen hierüber sämmtliche Evangelien, Johannes wie die Synoptiker, überein, was nach den oben entwickelten Grundfähen an sich ein beachtenswerther Fingerzeig der Wahrheit ist. Zweitens, wenn man sagen wollte, irgend ein jüdisches Vorurtheil sey an der fraglichen Uebereinstimmung schuld, und sie habe darum kein Gewicht: so wäre dieser Einfall ganz aus der Luft gegriffen, das Gegentheil läßt sich vielmehr mit überzeugender Kraft darthun. Die alte Sage, welche den Berichten der Synoptiker zu Grunde liegt, stammt von Juden her, und zwei der Evangelisten, der erste und der vierte, waren ohne Zweifel Juden. Nun ist bekannt, daß den Mitgliedern dieser Nation Haß gegen die Fremden, namentlich gegen ihre dama ligen Unterdrücker, die Römer, und Zuneigung für die Stammgenossen gleichsam angeboren war. Hiefür spricht ihre

*) Tacitus, Annal. XV, 44.

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ganze Geschichte, wenn auch nicht das ausdrückliche Zeugniß des Römers hinzukäme: *) apud ipsos obstinata fides, misericordia in promtu, sed adversus omnes alios hostile odium. Die ältesten Christen theilten, als von den Juden ausgegangen, diese Gefühle. - Bürge dafür einerseits die Briefe Pauli, besonders der an die Römer gerichtete, andererseits die Offenbarung Johannis, in der ein glühendes Rachegefühl gegen Rom sich Luft macht. Bei solcher Gemüthsstimmung ist es rein undenkbar, daß die urchristliche Ueberlieferung, ohne histo rischen Grund, nicht auf den Römer Pilatus, sondern auf das Haupt des eigenen Volks die Schuld des an Christo verübten Mordes wälzen sollte. Hätte Pilatus auch nur entfernt den Anlaß dazu gegeben, so würde der Fluch des Evangeliums ihn und seine Nation, die ohnedieß jedem Juden ein Gegenstand gerechten Haffes war, und nicht die eigenen Landsleute treffen. Wir sind also auf alle Weise genöthigt, den Evangelien in diesem Punkte Recht zu geben, d. h. einzugestehen, daß die Hinrichtung Christi nicht auf dem Landvogt, sondern auf einer jüdischen Partei laste. Auch hat in der That, so viel ich weiß, noch Niemand die Wahrheit dieser Angabe bezweifelt. Ich fordere jedoch meine Gegner, d. h. die Mythiker auf, sich wohl vorzusehen, ehe sie jenen Sah zugeben, denn ich erkläre zum Voraus, daß er den Grundstein meines Beweises bildet. Von Nun an folgt historischer Schluß auf Schluß, die alle mit unzerreißbaren Ketten aneinander geheftet sind, so daß sie später in meine Phalanx nicht mehr einbrechen können. Die Wurzel müssen sie angreifen, sonst habe ich gewonnenes Spiel. Also es sey! Auf Pilatus falle die Schuld vom gewaltsamen Tode Jesu, nicht auf die Juden, und jene Uebereinstimmung der Evangelien über das Gegentheil, obgleich sie, allen Erfahrungen gemäß, den Vorurtheilen der Christen und Juden zuwider lauft, beruhe dennoch auf einem uns sonst nicht mehr erforschbaren

*) Tacitus, Histor. V, 5.

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