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Auge gehabt hätte, wenn er den Rhythmus der griechischen Musik darstellt. Ernst von Stockhausen sagt in seiner Beurtheilung der Westphal'schen Aristoxenus - Ausgabe1): „Es ist eine bekannte Thatsache, dass die classische Philologie nicht nur Ergebnisse von abstract-wissenschaftlicher Bedeutung zu Tage fördert, Dinge von blos linguistischer oder historischer Tragweite, sondern dass sie unter Umständen auch solche Thatsachen und Verhältnisse aus dem antiken Culturleben zu restituiren vermocht hat, welche für die moderne Welt, deren angewandte Wissenschaft, Kunst und selbst Technik, einen unmittelbaren praktischen Werth besitzen."

„Entdeckungen dieser Art machen immer einen besonderen, überraschenden Eindruck: gewohnt das Alterthum als einen abgestorbenen und abgeschlossenen Organismus zu betrachten, seine Cultur als etwas Ueberwundenes, Verwittertes, besten Falls als den Humus, auf dem eine neue Gedankenwelt wurzelt, wird man plötzlich mit Erstaunen gewahr, wie das vermeintlich Vergangene noch immer in Thätigkeit ist und mit tausend lebendigen Fasern mitten in den jüngeren Boden hineintreibt. Da schrumpft der Raum, der das scheinbar Ferne vom Gegenwärtigen trennt, in eigenartiger Weise zusammen, aber auch ein guter Theil von dem Selbstbewusstsein und von der Eitelkeit, mit denen der Mensch auf die Errungenschaften derjenigen Zeit zu blicken. pflegt, der er unmittelbar angehört."

„Gemeiniglich beschränken sich derartige Funde doch auf einzelne, mehr oder weniger isolirte Gegenstände. Was das Studium der alten Quellen für die neuere Praxis schon geleistet haben mag, was immer in dieser Hinsicht noch von demselben erwartet werden durfte, dass es eines schönen Tages in die glückliche Lage kommen könnte, der modernen Welt ein im Laufe der Jahrhunderte „verschüttetes" und dennoch ganzes, wohlerhaltenes, ja völlig intaktes Gebiet der Wissenschaft von Neuem zu enthüllen, gleichsam wie ein geistiges Pompeji, das hat ihr gewiss Niemand zugetraut.“

„Ohne jede Metapher oder Uebertreibung lässt sich nun aber doch behaupten, dass die Wiederherstellung der rhythmischen Doctrin des Aristoxenus unserer Zeit solch überraschenden Dienst in Wirklichkeit geleistet hat."

„Die Lehre vom Rhythmus, wenn man unter diesem Ausdruck, nach antiker Doctrin, die nach erkennbaren Gesetzen geordnete Zeit verstehen will, welche ein Werk der musischen Künste durchläuft, ist eine Disciplin, welche die moderne europäisch-abendländische Kunstepoche trotz eifriger Bemühungen zu entwickeln nicht vermocht hat."

1) Göttinger gelehrte Anzeigen 1884, Nr. 11.

„Fast alle bedeutenderen Musiktheoretiker, namentlich der neuesten mit dem 17. Jahrhunderte beginnenden musikalischen Entwicklungsphase, haben den Grundgesetzen dieser Kategorie nachgespürt. Das Ergebniss aber dieser bis in die jüngste Zeit fortgesetzten Mühen ist eine Theorie von geradezu erschreckender Unwissenschaftlichkeit, ein Lehrgebäude, wenn man so sagen darf, das mit dem eigentlichen Werth der Verhältnisse, die es zu begreifen und methodisch anzuordnen versucht, in fortwährende Widersprüche geräth; ein völlig wirres System, dessen Unhaltbarkeit und Hinfälligkeit von Haus aus in die Augen springen, und übrigens häufig genug von denen erkannt und zugegeben worden sind, die selbst am eifrigsten und redlichsten an der Entwicklung desselben mit gearbeitet haben."

„Dem gegenüber bietet sich in der Rhythmik des Aristoxenus, bez. in der Reconstruction, welche dieselbe durch die Bemühungen Rud. Westphal's erfahren hat, ein in seiner Art durchaus logisch und consequent entwickeltes, in sich abgeschlossenes Lehrsystem dar, welches sich nicht nur in seinen Principien, sondern bis in die letzten Consequenzen der Anwendung der letzteren hinein mit der Wirklichkeit der Verhältnisse, die es umfasst, vollkommen deckt; eine Disciplin, die wie das jeder Kunsttheorie gegenüber der einzige und nur leider so selten erfüllte Anspruch sein sollte mit unbefangener, von "prioristischen Vormeinungen freier Empfänglichkeit, lediglich der objectiven künstlerischen Erscheinung abgelauscht ist."

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So schreibt Ernst von Stockhausen. Hoffen wir, dass sein Urtheil über die Bedeutung der Aristoxenischen Rhythmik für die Theorie der modernen Musik recht bald auch das der übrigen Musiktheoretiker sein werde.

Zweites Kapitel.

Das Melos der griechischen Musik.

Vorbemerkung.

Richard Wagner sagt in seinem Briefe an E. W. Fritzsch, den Herausgeber des ,,Musikalischen Wochenblattes"):

,Von grossen Dichtern, wie von Goethe und Schiller, wissen wir, dass sogleich ihre Jugendwerke das ganze Hauptthema ihres productiven Lebens mit grosser Prägnanz aufzeigten: Werther, Götz, Egmont, Faust, alles war von Goethe im frühesten Anlaufe ausgeführt oder doch deutlich entworfen. Anders treffen wir es beim Musiker an; wer möchte in ihren Jugendwerken sogleich den rechten Mozart, den wirklichen Beethoven mit der Bestimmtheit erkennen, wie er dort den vollen Goethe, und in seinen Aufsehen erregenden Jugendwerken den wahrhaftigen Schiller erkennt? Wenn wir hier der ungeheuren Diversität der Weltanschauung des Dichters und der Weltempfindung des Musikers nicht weiter auf den Grund gehen wollen, so können wir doch das Eine alsbald näher bezeichnen, dass nämlich die Musik eine wahrhaft künstliche Kunst ist, die nach ihrem Formenwesen zu erlernen, und in welcher bewusste Meisterschaft, d. h. Fähigkeit zu deutlichem Ausdruck eigenster Empfindung, erst durch volle Aneignung einer neuen Sprache zu gewinnen ist, während der Dichter, was er wahrhaftig erschaut, sofort deutlich in seiner Muttersprache ausdrücken kann."

In der Zeit des griechischen Alterthums nahm der Dichter eine von dem modernen Dichter mehrfach verschiedene Stellung ein. Es gab dort zwei Kategorien des Dichters. In der einen

1) Vgl. Otto Tirsch, die Unzulänglichkeit des heutigen Musikstudiums. Berlin 1883, S. 2.

steht der Dichter der Recitations-Poesie, welche für den Vortrag des Declamators (Rhapsoden) oder für die Lectüre berechnet war. Dahin gehört vor allen der epische Dichter. In der zweiten Kategorie der lyrische und dramatische Dichter, dessen Poesie für melischen Vortrag bestimmt war. Der lyrische und dramatische Dichter war im griechischen Alterthume zugleich der musikalische Componist seines poetischen Textes. Von dieser Thatsache aus wird der Ausdruck,,poietés", welchen wir gewöhnlich durch Dichter übersetzen, bei den Musikschriftstellern wie Aristoxenus zugleich in der Bedeutung des poetischen Textdichters und des musikalischen Componisten gebraucht. 1) Bei den alten Griechen war der schaffende Künstler in Lyrik und Dramatik stets DichterComponist, wie in unseren Tagen Richard Wagner. Aber während Wagner in erster Instanz Tonkünstler, erst in zweiter Instanz Dichter ist (ein jeder Unbefangene wird nicht anders denken), gelten ein Pindar, ein Aeschylus, die wir von der Schule her als die ersten Meister der griechischen Dichtkunst aufzufassen gewohnt waren, bei Aristoxenus als erste Meister des griechischen Melos, als Melopoioi des ersten Ranges. Es gab bei den Griechen der classischen Zeit keine anderen Vocal-Componisten als eben jene Männer Pindar, Aeschylus u. s. w. Umgekehrt gab es auch keine anderen lyrischen und dramatischen Gedichte als diejenigen, welche von ihren Verfassern in Musik gesetzt wurden; ein blos recitirendes Drama, wie wir Modernen es neben dem Musik-Drama, der Oper besitzen, war der Zeit des classischen Griechenthums unbekannt. Die höchste Meisterschaft der Dichtkunst und der Vocalmusik war in Einer Person vereint. Hieraus wird sich ein uns auf den ersten Augenblick auffälliger Mangel des griechischen Melos erklären, auf den wir späterhin zurückkommen.

Aber auch dies wird nun weiter nicht auffallend sein, dass wir Verse lyrischer und dramatischer Worttexte geradezu als Quellen über die Beschaffenheit des griechischen Melos benutzen werden. So Verse aus den Gedichten Pindar's und seines Zeitgenossen

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1) Vgl. Westphal's Plutarch über die Musik, Breslau 1865, S. 66: Poietés ist in unserer Schrift sie ist fast wörtlich aus älteren Musikschriftstellern, namentlich dem Aristoxenus excerpirt überall dasselbe wie unser Componist", mag nun jener Componist zugleich einen poetischen Text liefern wie Pindar, Aeschylus u. s. w., oder mag er blos Instrumental-Sachen componiren. Musikós ist derjenige, welcher das von einem Poietés Componirte ausführt und fällt also gewöhnlich mit Virtuose zusammen. Ausserdem aber bezeichnet das Wort auch den musikalischen Theoretiker... Man kann Poietes und Musikós in Einer Person sein; so heisst es Pag. 4, 11 von Terpander, dass er gewesen sei „kitharoikon poiten" und dass er „aidein en tois agosin" (dass er an den musikalischen Festspielen als Sänger aufgetreten sei); das letztere that er in seiner Eigenschaft als „Musikós“.

Aeschylus und Fragmente von Aeschylus' älterem Zeitgenossen Pratinas. Diese Dichter hatten sich die Technik des Melos (,,die Musik ist eine wahrhaft künstlerische Kunst", sagt Wagner) zu eigen machen müssen, sie waren in einer der alten Musikschulen, z. B. Pindar bei Lasos, zu Fachmusikern geworden, daher lag ihnen die Tonkunst nicht minder wie die Dichtkunst am Herzen. Auch Plato hatte diesen musikalischen Bildungsgang, da er zuerst als tragischer Künstler auftreten wollte, durchgemacht. Daher ist er im Stande, z. B. in seiner Schrift über den Staat, die Musik als öffentliches Erziehungsmittel so eingehend zu behandeln. Plato's Nachfolger in der Philosophie, Aristoteles, von dem wir wissen, dass er sich gelegentlich als Lyriker versuchte, documentirt durch die von ihm gegebene Besprechung der von der Musik handelnden Partie des Platonischen Staates und sonst, dass er in der musikalischen Theorie nicht minder bewandert als Plato war. An Aristoteles reiht sich als fernere Quelle über das Melos sein Schüler Aristoxenus, der erste und bedeutendste von allen griechischen Musiktheoretikern.

Wir werden uns nicht allzu sehr wundern dürfen, dass gelegentliche Stellen jener alten Lyriker und Dramatiker, Pindar und Pratinas, jene musikalischen Berichte des Plato und Aristoteles für die Reconstruction der Wissenschaft des griechischen Melos dieselbe Wichtigkeit haben, wie der musikalische Theoretiker Aristoxenus. Alles aber, was uns die nacharistoxenische Zeit an Quellen für das Melos liefert, hat nur insofern Bedeutung, als es unmittelbar oder mittelbar auf Aristoxenus zurückgeht. Selbst diejenigen Musikschriftsteller, welche den Aristoxenus bekämpfen, z. B. der grosse Mathematiker und Astronom Claudius Ptolemäus1) aus der Zeit Marc Aurel's, haben in der Hauptsache der melischen Technik sich auf's engste an die Aristoxenische Doctrin angeschlossen.

1) Man vergleiche hierüber R. Westphal's deutsche Ausgabe des Aristoxenus, S. 359 ff., wo der Nachweis geführt wird, dass die früher dem Ptolemäus als eigenthümlich vindicirte „,thetische Onomasie" auch schon bei Aristoxenus vorkam, aber in dessen Schriften über das Melos handschriftlich in der Ausführung nicht mehr erhalten ist. R. Westphal's Verdienste um Ptolemäus sind kaum minder gross als um Aristoxenus, vgl. namentlich dessen classische Darstellung in der Musik des classischen Alterthumes, Leipzig, Veit & Comp. 1878, S. 255 ff. Das wunderliche Versehen, dass der Ptolemäische Almagest nur in der arabischen Uebersetzung auf uns gekommen sei (S. 265, ebenso S. 4) ist von dem Verf. in E. W. Fritzsch's Musik. Wochenbl. 1883, S. 280 berichtigt. Es war dies ein Versehen, welches in die Classe derjenigen gehört, von welchen Ambros im zweiten Bande der Musikgeschichte, Vorrede S. VII spricht, dass er S. 259 das ihm wohlbekannte Ländchen Mähren aus der äussersten Ostmark Deutschlands an die „Westgrenze" verlegt habe.

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