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Sicherlich auch nicht mit dem Ton-Materiale der Instrumente, dessen sich die Griechen zur Begleitung des Gesanges bedienten. Von Klangfülle und von Klangfarbe kann da gar nicht die Rede sein. Heinrich Bellermann (a. a. O. S. VII) sagt: Auch in unserer christlich-modernen Musik gab es Zeiten,,,in denen der Gesang allein für kunstgemässe Musik gehalten wurde und noch nicht durch den schädlichen Einfluss der Instrumentalmusik verdorben war. Gewiss hat die Instrumentalmusik auch ihren Werth und ihre Berechtigung: so lange sie sich nämlich in den bescheidenen Grenzen einer Nachahmerin des Gesanges hält und von jenem ihre Gesetze ableitet. Im Laufe der Zeiten, schon seit Anfang des achtzehnten Jahrhunderts und noch früher, hat dieses Verhältniss sich aber geradezu umgekehrt.“

Mit den Instrumenten war es bei den Griechen gegenüber den gewaltigen Instrumentationsmitteln der heutigen Musik wahrhaft ärmlich bestellt. Was hätte wohl der Grieche von den heutigen Klangeffecten gesagt? Er hätte sie sicherlich nicht verstanden. Denn jenes Instrument, welches in der klassischen Musik der Griechen die hervorragendste Rolle spielt, die

,,Goldne Phorminx, Apollo's und der veilchengelockten Musen gemeinsam Kleinod,

auf die der Tanzschritt lauscht, der Festfreude Anfang, und deren Zeichen die Sänger gewärtig sind!

Wenn sie in Schwingungen versetzt den Beginn der Choranführenden Prooimien erschallen lässt,

erlischt sogar des ewigen Feuers beschwingter Blitz.

Denn dann schläft auf Zeus' Scepter der Aar, das schnelle
Flügelpaar hinabgesenkt . . ."

diese berühmte griechische Phorminx, welche der grösste griechische Lyriker durch die vorstehenden Verse verherrlicht, decouvrirt sich als ein nur harter Klänge fähiges Saiteninstrument, welchem von unseren modernen Instrumenten eine kleine pedallose Harfe am nächsten kommen würde. Sie hatte auch in Pindar's Musik nicht mehr als nur sieben Saiten, von denen niemals zwei zu gleicher Zeit angeschlagen wurden, denn nicht mit den Fingern, sondern mit einem kleinen Metallstäbchen, Plektron genannt, setzte man sie in Bewegung.

Aber es ist bezeichnend genug, dass die Alten von der Musik ihrer Phorminx mehr als von der des Aulos entzückt waren. Entgegen den farblosen harten Klängen des Saiteninstrumentes, deren Tondauer eigentlich immer nur für den Augenblick vorhanden war, in welchem man die Saite anschlug; wo das Nachklingen so schwach sein musste, dass hier kaum von einem Tone die Rede sein konnte; wo ein Legatospiel absolut unmöglich war, entgegen diesen Phorminxklängen hatte der Aulos, unserer Clarinette gleichend, einen sinnlichen Ton, weniger sanft und weich als keck und leidenschaftlich, der, wie die Alten berichten, das Gemüth nicht besänftigte, sondern gewaltsam zu wilder Bewegung, zum Enthusiasmus und Fanatismus fortriss. Von den beiden Göttern Griechenlands, denen hauptsächlich die musischen Feste gewidmet waren, begünstigte der enthusiastische Cult des Dionysos die Aulos-Musik; der ruhige Apollo dagegen war ihr feindlich gesinnt, denn der Apollinischen Klarheit schienen nur die Phorminxklänge angemessen. Und andere Instrumente als Phorminx (auch Kithara oder Lyra genannt) und Aulos waren bei den musikalischen Aufführungen der Griechen überhaupt nicht im Gebrauch: ein antikes Metall-Blasinstrument, Salpinx genannt, wurde nur für Zwecke des praktischen Lebens, für Kriegssignale und Signale zur Volksversammlung, angewandt. Zwar wurden bei musikalischen Aufführungen auf den Aulos als Mundstück auch wohl eine Salpinx oder Syrinx aufgesetzt, aber Aristoxenus spricht mit sichtlicher Genugthuung von solchen Aulos-Virtuosen, welche sich von den musischen Wettkämpfen zu Delphi lieber gänzlich fernhielten, als dass sie ihren Instrumentenmachern gestatteten, auf den Aulos ein heterogenes

Mundstück aufzusetzen.

Alle diese Thatsachen des griechischen Melos lassen sich vom Standpunkte unserer Musik aus verstehen. Blos das verstehen wir nicht, dass die Griechen ihr Melos keineswegs immer in unserer diatonischen Scala, welche auf zweierlei Intervalle (das Ganzton- und das Halbton - Intervall) basirt ist, hielten, sondern dass sie auch solche Scalen anwandten, in welchen andere Intervalle als der Ganzton und der Halbton vorkamen Intervalle, welche kleiner als der Halbton sind, Viertel- und Dritteltöne u. S. W. Die alten Griechen nennen das ihre en

uns.

harmonische und chromatische Scala. Unsere Musik hat den Griechen die Termini chromatisch und enharmonisch entlehnt, aber in einem vollständig andern Sinne als die Griechen gebraucht. Alles was diejenige Art des griechischen Melos betrifft, welche mit unserer diatonischen Musik übereinkommt, lässt sich verstehen. Das nicht-diatonische Melos der Griechen ist uns vollständig unbegreiflich. Hier verstehen wir in der Quellenüberlieferung im besten Falle den Wortlaut, der Glaube fehlt Wir vermögen uns in eine Musik, welche mit so kleinen Intervallen zu thun hat, absolut nicht hineinzudenken. Wie jene nicht-diatonische Tonstufen geklungen haben, das ist — freilich wunderbar! akustisch genau überliefert, aber wie man solche Intervalle in der Musik verwenden kann, das soll noch gefunden werden. Nur im Bravour-Gesange der Solisten scheinen diese kleinen für uns nicht verwendbaren Intervalle eine Rolle gespielt zu haben, nichts deutet darauf hin, dass auch der Chorgesang sie gekannt habe. Besonders auffallen muss es, dass im griechischen Sologesange schon in der Solonischen Zeit diese uns so unbegreiflichen Intervalle vorkamen. Nach der Ueberlieferung des Ptolemäus war bei den Kitharoden und Lyroden seiner Zeit (Hadrian und Marc Aurel) das rein-diatonische Melos durch das nicht-diatonische Melos völlig absorbirt, Ptolemäus kennt geradezu keine Musik, die in unserer diatonischen Scala gehalten werde.

Das ist der einzige unerquickliche Punkt in der Musik der Griechen. Hier muss sich unsere Darstellung nur auf Wiedergabe der in den Quellen enthaltenen Thatsachen beschränken.

Aber es mag dies so unerquicklich sein wie es will, wir berichten über griechische Musik doch stets an der Hand genauer Quellen, die von den Forschern jetzt vollständig durchmustert sind.

Das Studium der griechischen Musik scheint nach einem Zeitraume von mehreren Jahrhunderten endlich dahin gelangt zu sein, dass die Ergebnisse desselben der Beachtung des Fachmusikers im höchsten Grade würdig sind. Bei manchen unserer Philologen finden die Resultate immer noch Widerspruch. Es scheint indess nur eine Frage der Zeit, dass jenes System der griechischen Musik, welches einer der scharfsinnigsten Philologen aufgestellt, und einer der ausgezeichnetsten unter den heutigen Musikern

Ambros, Geschichte der Musik I.

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Dirigent einer Weltoper, Vorsteher eines hochberühmten Musikconservatoriums und sicherlich der am meisten philologisch gebildete unter seinen Collegen in allen wesentlichen Punkten zu dem seinigen gemacht hat, zur allgemeinen Anerkennung durchdringt. Mit den Gegnern dieses Systemes hat das vorliegende Buch zu sprechen.

Erstes Capitel.

Der Rhythmus der griechischen Musik.

Es ist eine bei allen Völkern wiederkehrende Thatsache, dass die Blüthezeit der künstlerischen Production und die Ausbildung der Kunsttheorie niemals gleichzeitig sind. Der Künstler schafft, aber was er geschaffen, darüber reflectirt er nicht; von einer Kunstleistung treibt ihn die Freude am Schaffen alsbald zu einer neuen. So war es in unserer mittelalterlichen Kunst, so war es auch in der Kunst der alten Hellenen. Dass es in unserer modernen Kunst vielfach anders geworden ist, dass Schiller, dass Schumann, dass Richard Wagner daran gearbeitet haben, das Wesen ihrer Kunst theoretisch festzustellen, beruht darauf, dass ihr Kunstschaffen nicht wie im classischen Alterthume und im Mittelalter ein unmittelbares war, sondern dass ihnen die Kunst früherer Zeiten als unabweisbare Voraussetzung vorlag. Ganz frei von theoretischem Reflectiren über ihre Kunst vermochten sich auch die griechischen Künstler nicht zu halten. So soll der Tragiker Sophokles seine Anschauungen über den Chor in einer eignen Schrift ausgesprochen haben. Im Uebrigen aber darf man sagen, dass die griechischen Dichter und Musiker nur insoweit auf Darstellung ihrer Kunsttechnik eingingen, als es sich darum handelte, Kunstschüler heranzubilden, etwa wie Johann Sebastian Bach seine Söhne und Johann Philipp Kirnberger in die Kunst des reinen Satzes einzuführen suchte. In dieser Weise hatte auch jeder namhafte Künstler des griechischen Alterthums seine Schüler. So wird uns von einer Schule der berühmten Sappho berichtet, so werden uns auch die Lehrer Pindar's genannt, unter ihnen der für die Entwickelung der griechischen Musik bahnbrechende Dithyrambiker Lasos. Selbstverständlich war das, was die griechischen Künstler ihren Schülern mittheilten, nichts weniger als eine vollständige Kunsttheorie, als eine systematische Darstellung. Auch mag von jenen griechischen Meistern

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