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Nescio quo naturae meae male pertinacis vitio fiat, ut J. A. Bengelium magis quotidie admirer, quo sagaciorem Ni Ti interpretem orbis Christianus nondum vidit.

P. de Lagarde. 1857.

Auf den nachstehenden Blättern, die aus einem Vortrag erwachsen sind, den ich im Ulmer Diözesanverein am 24. Juni 1887 zur Erinnerung an Bengel's 200jährigen Geburtstag gehalten habe, hoffe ich einige Seiten in Bengel's Thätigkeit ausführlicher darstellen, vielleicht auch anders beleuchten zu können, als dies in den pietistisch-populären oder populär-pietistischen Lebensbeschreibungen des Mannes der Fall ist. Auf anderes freilich muss ich die Antwort schuldig bleiben- und werde von denen, die mir wohlwollen, gerne entschuldigt werden z. B. gleich auf die Frage, warum der junge Bengel den für einen zukünftigen schwäbischen Theologen, zumal für einen Pfarrerssohn, gewöhnlichen Weg durch das niedere Seminar nicht gemacht hat. Dass die Witwe sich von dem Sohn nicht trennen wollte, kann der Grund nicht sein; denn sie gab ihn in Aufsicht, Kost und Unterweisung des ihrem Mann befreundeten Präzeptor David Wendelin Spindler, mit dem der Knabe von Winnenden nach Marbach, dann nach Schorndorf und 1699 nach Stuttgart kam, wo er in die 5. Klasse des Seb. Kneer eintrat, um nach durchlaufenem Obergymnasium anfangs 1703 ins herzogliche Stipendium nach Tübingen aufgenommen zu werden.

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Wie's im Stuttgarter Gymnasium zu Bengels Zeit zuging, erfahren wir aus den Programmen von Holzer und Lamparter, deren Ergebnisse Schanzenbach aus Anlass des Jubiläums dieser Anstalt im Jahr 1886 zusammenfasste. Schulstunden warens beispielsweise 1697 und noch 1726 und 34 in Kl. VII 25; 10 bez. 9 für Lat., 2 für Griech., 1 Hebr., Theologie und Philosophie 6 bez. 7; Mathematik und Physik 3, Geschichte und Chronologie 2 bez. 3, Geographie 1 bez. 0. Gelesen wurde 1697 hauptsächlich Cicero (epist., oratt., parad., n. d.; off., de fin.; Biographi latini; von Horaz Oden und Satiren, zus. 7 Stunden; die andern 2 bez. 3 scheinen auf rhetorische und poetische Exerzitien verwendet worden zu sein; 1726 und 34 erscheint daneben insbes. Muretus im lat. Stundenplan; im griechischen Stundenplan wird für 1697 Hesiod, Herodian,

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Isokrates und Demosthenes mit den olynthischen Reden genannt, etwas viel für 2 Stunden; dagegen 1726, 34 und 61 nur das Neue Testament, dessen Analyse bis 1781 im Untergymnasium den ausschliesslichen Unterricht im Griechischen bildete; an andern Anstalten, z. B. Kloster Bergen las man dazu noch die Septuaginta. Ganz besonders lag die Disziplin darnieder; in den unvorgreiflichen Gedanken", welche der Professor Matheseos Schuckard, der noch Bengel's Lehrer gewesen, bei der Visitation im Jahr 1708, 5 Jahre nach Bengels Abgang, der Kommission in 37 Desideratis schriftlich übergab, wie das Gymnasium ratione disciplinae in bessern Stand zu bringen sein möchte, wird geklagt, dass viele der discentium es im Gebrauch haben, sich während des Vortrags des Lehrers einer hinter den andern zu setzen, damit ihn der Professor nicht im Gesicht habe, sonderlich wenn sie essen oder, wie leider es die Erfahrung gegeben, Karten spielen und würfeln; wozu allerdings der damalige Rektor die Bemerkung macht: „so etwas mag vor diesem geschehen sein; man weisst aber nichts mehr davon". Weiter, dass die Schüler während der Profitierung des Professors zur Thür hinauslaufen, um liederlicher Ursachen willen, für die andern Klassen laufen, dort anklopfen, den Kameraden herausrufen, ihn auf den Markt schicken, um Obst, Bretzeln und dergleichen einzukaufen. Endlich nicht die geringste Attention sei unter dem Bibellesen und bei dem Gebet zum Anfang und Schluss des öffentlichen Unterrichts. Während es in allen Gymnasiis gebräuchlich sei, dass ein jeder Schüler seine Handbibel aufschlage und das betreffende Kapitel mitlese, damit, wenn der Professor finita lectione Bibliorum etwas aus dem Kapitel entweder interrogando oder obiiciendo oder dictitando traktiere, der Schüler bereit sein könne, zu respondieren, in seine libellos biblicos zu notieren u. s. w., seien im hiesigen Gymnasio die discipuli stets zu ermahnen, nicht mit ihren eigenen confabulationibus die Lesung und Anhörung der heiligen Schrift zu violieren". Fast noch stärker ist übrigens, was sonst über die Exorbitantien, Unbotmässigkeit, Plaudereien und Prügeleien in der Kirche, Besuch der Wirtshäuser an Sonn- und Feiertagen, auch zwischen den Predigten, beharrliches Schwänzen, Frechheit einiger Quintaner, die wenn sie sollen kastigiert werden, das Federmesserlein in die Hand nehmen mit dem Vormelden, der Präzeptor solle sich erkühnen sie anzugreifen, endlich über ärgerliche und unverantwortliche Exzesse geklagt wird, die besonders an Sonn- und Feiertagen zur Abendzeit auf dem sogenannten Graben [der jetzigen Königs- und Eberhardsstrasse] bei einem wider die Gebühr und das Herkommen sich an solchem Platz privative angemassten Spaziergang mit öffentlichen höchst skandalosen Buhlschaften und grobem Zotenreissen seit geraumer Zeit verübt werden. Um so bedeutsamer

erscheint, was Bengel selber über seine Entwicklung während der Gymnasialzeit mitteilt; vgl. die vita b. auctoris im Gnomon (1866) § 3-5, 27-29.

2) Auch über die Studien und Vorlesungen seiner Tübinger Zeit (1703-7) möchten wir gerne mehr wissen, als die gewöhnlichen Biographien z. B. Wächter mitteilen. Die angeführte vita nennt § 6 als seine Lehrer Johann Wolfgang Jäger, Michael Förtsch, der 1705 nach Jena ging; Andreas Adam Hochstetter; den früheren Stuttgarter Gymnasialprofessor Christof Reuchlin († Juni 1704), nach dessen Tod Johann Christian Klemm und Johann Christof Pfaff; daneben noch in § 7. Matthäus Hiller und Gottfried Hoffmann. Unter diesen war Jäger vorher magister domus des Stipendiums und Prof. der Philosophie gewesen und nun als 5. Theolog angestellt worden, indem, wie Weizsäcker hervorhebt '), zum erstenmal diese Stellung am Stift zu einer nicht ganz korrekten Intrusion ins theologische Lehramt benützt wurde. Mit ihm kamen, wenn auch zunächst nur vorübergehend und hauptsächlich wohl um Konkurrenz zu vermeiden, zwei neue Fächer in den Kreis der Vorlesungen, die theologia moralis und über eine materia historico-theologica, de statu ecclesiae primitivae et modernae. Mit Jäger war nach W. ein neuer Geist und Ton in die Fakultät eingezogen; er hat es z. B. auch der Regierung gegenüber offen ausgesprochen, man sollte eben Männer haben wie Spener und Veiel [von Ulm]. Vielleicht noch eine interessantere Persönlichkeit war indes Förtsch, der vorherige Baden-Durlachsche Konsistorialrat und Hofprediger, welcher der Fakultät von Stuttgart her aufgedrängt wurde; gegen den sie sich hauptsächlich deswegen wehrte, weil er in Giessen studiert und promoviert hatte, und deswegen im Verdacht stand, dass er mit dem Mentzerianismo behaftet sein könnte; in Wirklichkeit hatten sie das ganz richtige Gefühl, dass Förtsch noch mehr als Jäger der Mann einer neuen Zeit sei und in diesem Gefühl haben sie sich gegen ihn gewehrt (das Nähere a. a. O. S. 84 ff.). Zum Teil durch solche Anordnungen von oben und unter dem Widerstreben der Universität selbst, zum Teil durch die neuen Männer, welche in die Fakultät gekommen waren, bekam damals alles an der Universität einen modernen Anstrich. Das zeigen insbesondere die Visitationen von 1696 und 99. Von Stuttgart aus wurde vom Professor controversiarum verlangt, dass er nicht mehr bloss über die alten Kontroversien handeln solle, sondern auch über die heutigen ratione Pietismi, Chiliasmi, Fanatismi; von Stuttgart aus dem Exegeten bedeutet, nicht mehr bloss einzelne dicta polemisch zu traktieren, sondern ganze Bücher zu erklären und deren usus insbesondere

1) Lehrer und Unterricht an der ev. theol. Fakultät (Festprogramm 1877) 81 ff., aus dieser Quelle stammt alles Folgende.

in moralibus und in formandis concionibus zu zeigen. So bekämpfte man den Pietismus, fügte sich aber doch seinen Impulsen." Noch mehr 1699, wo der Fakultät von den Visitatoren vorgehalten wird, dass die Studenten zwar etwas von kuriosen und problematischen quaestionibus, die eigentlich zur Theologie nicht gehören, aufklauben, in fundamento biblico aber, womit . . . zumalen die wahre Pietät gelehret und gepflanzet werden solle, ut plurimum wenig, ja auch die Kardinalsprüche nicht zu recitieren wissen, daher auch im Predigen gar schwach und schlechtlich bestehen. Besonders bezeichnend ist, dass damals die Frage angeregt wurde, ob das alte Hafenreffersche Kompendium nicht veraltet und durch ein neues zu ersetzen sei. Dasselbe war 1600 in erster Auflage erschienen (21601, 33, 562 680 sic [Rosenthal]), also jetzt gerade 100 Jahre alt; die neuen von H. nicht berührten Kontroversien mit oder ohne Namensnennung mit einzubringen, wären die Tübinger bei dieser Gelegenheit schon gern bereit gewesen, im ganzen zeigten sie wenig Verständnis für die neuen Fragen (das Nähere a. a. O.) und so wundern wir uns nicht, wenn B. sagt: so viel Dankbarkeit er gegen seine Lehrer habe, so wenig könne er sagen, dass sie ihm das, was er in öffentlichen Schriften ausgeführt, angegeben oder beigebracht hätten, wiewohl er nicht bergen könne, dass sie ein und anderes praesagium haben blicken lassen, das er lieber zu seiner Konsolation bedenke, als zum Gepränge anführe. De theologia mystica lautete das Thema bei seinem Examen. Ist das nicht eine lehrreiche Parallele zu unsern Tagen, in denen wiederum, nur in entgegengesetztem Sinne, zur Frage von der Mystik in der Theologie das Wort ergriffen wird?

Ueber Bengel's einjähriges Vikariat können wir rasch weggehen, aus seiner Repetentenzeit 1708-13 teilen uns die populären Biographien fast nur die eine Thatsache mit, dass er de sanctitate Dei handelte '); von seiner 1/2jährigen wissenschaftlichen Reise betonen sie mit Recht besonders den Besuch in Halle; doch ist für Bengels gelehrte Neigungen bezeichnend, dass er insbesondere auch die Bibliotheken besuchte. Unter die Grundsätze, die er sich bei seinem Amtsantritt niederschrieb, musste er auch parsimonia iusta aufnehmen, in primis in emendis libris.

3) Am 17. Nov. 1713 zog Bengel als Klosterpräzeptor in Denkendorf auf und sprach in seiner Antrittsrede, die zugleich eine der Eröffnungsreden für die neu errichtete Anstalt war: de certissima ad veram eruditionem perveniendi ratione per studium pietatis. Sehr lehrreich sind die kurzen Regeln und Grundsätze, die er sich damals für sein Verhalten und seinen Beruf aufzeichnete, (bei Wächter

1) Vgl. dazu die Ternio Epistolarum im Lit. Briefw. S. 57–66.

S. 14. 15), sehr eindringlich die schönen Worte, die Wächter S. 15-17 aus dieser Rede mitteilt 1), aber wichtiger für uns ist hier die Würdigung, welche Ritschl in seiner Geschichte des Pietismus derselben zu teil werden lässt 2). Dieselbe Aufgabe, sagt er, sei es, welche Francke verfolgte, die Verbindung von Frömmigkeit und theologischem Studium, aber wie verschieden von Francke's Methode sei die Deutung, welche der 26jährige Mann darbiete. B. erkläre allerdings für Theologen, auch für zukünftige, müsse Gottseligkeit das erste und das letzte sein, sie allein bringe Einheit in unser Arbeiten, mache dasselbe nachhaltig fruchtbar, und wenn nach Aristoteles Anlage, Unterricht, Uebung die Mittel zur Gelehrsamkeit seien, so erhalten dieselben ihren Segen durch den Fleiss in der Gottseligkeit. Da zeige sich, sagt Ritschl, der Unterschied von Francke. B. lasse die Aufgabe der Gelehrsamkeit und die Pflege der direkten Mittel zu derselben stehen, Francke hebe sie durch die Empfehlung der Gottseligkeit auf, schränke sie wenigstens wesentlich ein. Bei B. sei die richtige evangelische Art. Die weltliche Aufgabe der Wissenschaft in ihrer Eigentümlichkeit anerkannt, deren Erwerb durch die Frömmigkeit geregelt und gefördert. „Es ist gut, sagt R., dass man dem Franckeschen Ideal des Theologen Bengels Ansicht von der Sache entgegenstellen kann. Hier steht Pietist gegen Pietist. Bengel urteilt nach evangelischem Mass, Francke nicht". Dabei sei es gleichgültig, dass Bengel seiner Anerkennung von Francke's Person und Schriften stets vollen Ausdruck verlieh, daneben habe er doch das Urteil gesprochen, die Halle'sche Art sei für die jetzige Zeit etwas zu kurz geworden 3).

1) Fast ganz steht sie in J. U. Pregizer's Suevia et Wirtenbergia sacra. Tüb. 1717. 4. 353-356; s. im Anhang.

2) III (1886) S. 63 ff.

3) Die Anwendung auf unsere Zeit liegt nahe; ich hebe sie nicht ausdrücklich hervor und fü ier nur an, wie sich in einigen monumentalen Zeugnissen die Anschauungen über das Verhältnis von Frömmigkeit und Gelehrsamkeit je nach dem Geschmack der Zeit Ausdruck gegeben haben. Deo et Musis lautet die Inschrift an dem unter Abt S. F. Wolfhardt [† 1709] erbauten Schulhaus in Kloster Berge. Christum si nescis, nihil est, quod cetera discis wurde vor 3 Jahren als Inschrift über dem Katheder des neugeschmückten Gymnasiumfestsaals in Bautzen geschrieben. Das war auf Grund von Joh. 17, 3 Bugenhagens Wahlspruch, der in PRE 2, 777 so wiedergegeben ist:

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Si Jesum bene scis, satis est, si caetera nescis,
Si Jesum nescis, nil est quod caetera discis.

Das neue (kath.) Ehinger Gymnasium trägt in der Mitte nur die Inschrift: Domicilium studiorum humanitatis, an dem östlichen Flügel: mens discendo alitur, an dem westlichen: virtus doctrina perficitur (Programm von 1885. S. 9. 18), lässt also die Bedeutung der Frömmigkeit sehr wesentlich zurücktreten. Das herzogliche Gymnasium illustre in Stuttgart hatte bekanntlich Prov. 9, 1 als Wahlspruch und wenn die Ueberschrift über dem Portal es rühmt

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