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würden dem Gymnasium wenige und nur solche Lehrfächer zugeteilt worden sein, welche, durch ihr Wesen und ihre Natur mit einander verbunden, die Lehrer von selbst zu einheitlicher Thätigkeit angetrieben hätten, während jetzt bei der Abwesenheit des organischen Zusammenhangs unter den Lehrfächern die Lehrer einer und derselben Anstalt, auch wenn sie den redlichen Willen dazu haben, in keinerlei Weise zusammenwirken können. Es läszt sich die apodictische Sicherheit, womit in jener Verordnung die Encyklopädie der Gymnasiallehrfächer als eine historisch und psychologisch so gegebene und gewordene behauptet wird, kaum anders erklären als dadurch, dasz sich in den Gedanken der Schulgesetzgeber unter dem Einflusse des Zeitgeistes, dem wir je nach vorwaltender Stimmung alles Gute und alles Böse zuschreiben, neben und über dem wirklichen und anerkannten Ziele des Gymnasialunterrichts die Vorstellung eines geistigeren, aber nur in der Phantasie und im unklaren Gerede der Menge vorhandenen Zieles festgesetzt, und dasz diese Vorstellung eines imaginären Zieles die Vorstellung von dem realen Ziele des Gymnasialunterrichts im Laufe der Zeit mehr und mehr absorbiert habe. Denn wie wäre es sonst zu erklären, dasz die genannten, in ihrem Wesen so verschiedenen Disciplinen Glieder eines lebendigen Organismus heiszen, dasz ihre Gesamtheit die Grundlage jeder höheren Bildung genannt wird? Dieses Nebelbild eines Zieles, in welchem das wirkliche und faszbare Ziel des Gymnasialunterrichts verschwommen ist, wird kein anderes sein, als jene 'Gesamtbildung' welche in den Preuszischen Verordnungen zwar nur hier und da und wie im Vorübergehen genannt wird, aber auch unter den anderen, sonst öfters gebrauchten Ausdrücken, wie 'höhere, allgemein menschliche Bildung, möglichst gleichmäszige Bildung, wissenschaftliche und sittliche Ausbildung' verstanden zu werden scheint. Die erste Frage lautet so was musz der Schüler gelernt und geübt haben, um für die Universität gehörig ausgestattet zu sein? Die zweite aber: wie entsteht die Gesamtbildung, welche der Schüler gewonnen haben musz, bevor er zur Universität übertritt? Ebendamit war allem und jedem Wissen und Können die Pforte des Gymnasiums aufgethan. Bildung ist ganz gewis der Zweck alles Unterrichtens, sei's in der Dorfschule oder auf der Universität, und dieser edle und grosze Zweck musz auch für den Gymnasialunterricht den modus abgeben. Aber eben, weil Bildung der Zweck alles Unterrichtens ist, kann sie nicht das Ziel für irgend eine Art von Unterrichtsanstalten sein. Niemand kann sagen: wer das und das gelernt und geübt hat, der ist gebildet. Also kann ich auch nicht von irgend einem Stadium der Bildung reden, von dem aus zu bestimmen wäre, was alles zur Bildung erforderlich sei. Die Gesamtbildung als Ziel des Gymnasialunterrichts gedacht, ist das Phantom, welches die Stelle des realen Zieles der Gymnasien usurpiert.

Hat die Vorstellung von den Erfordernissen der Bildung in das Gymnasium die multa hereingebracht, welche das multum verschlingen, so hat sie ebendamit dasselbe seines Charakters als Schule entkleidet, hat es zu vornehm werden lassen, als dasz es noch die Erziehung als seine erste und wichtigste Aufgabe behandeln könnte; und das ist das dritte, grosze

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unsern Gymnasien gemeinsame Uebel. Dieses erscheint vielfältig als Concretum in der Person solcher Lehrer oberer Classen, welche die Anfangsgründe und deren Lehrer gering schätzen und überhaupt nur den Sachen, nicht den Personen einen Werth zuerkennen, oder auch und fast noch öfter in der Person solcher Lehrer unterer Classen, welche ihre eigene Aufgabe verachten und meinen, zu gut für elementarisches Lehren zu sein. Dasz solche Einbildungen den Mann unfähig machen, mit andern zum Zwecke der Bildung zusammenzuarbeiten, bedarf keines Beweises: der Lehrer bleibt dadurch von seinen Collegen innerlich ebenso geschieden, wie von seinen Schülern. Es ist aber nicht überall die Individualität des Mannes, was die Gemeinschaft mit Collegen und Schülern abschneidet, sondern die von jener Meinung über die Bildung dictierten Lehrpläne tragen meines Erachtens den gröszeren Teil der Schuld daran, dasz der Lehrer je mit seinem Fach isoliert bleibt, statt sich und sein Fach als Teil eines Ganzen zu betrachten; dasz er da, wo noch immer am Legen und Befestigen des Grundes zu arbeiten wäre, den Hochbau emsig betreibt, und das, was durch fleiszige Uebung zum Verständnis gebracht werden sollte, nur dem Gedächtnis beizubringen, mehr den Schein eines Wissens für die Prüfungen als ein lebendiges Wissen zum Zwecke der Bildung zu erzielen bemüht ist. Gleichwie diese Lehrpläne die Leistungen des Gymnasiums als ein in sich abgeschlossenes, vielmehr abzuschlieszendes Ganzes betrachten 'das Gymnasium hat seinen Zweck in sich,' sagt einmal Ludwig Giesebrecht so werden durch die gegebenen Vorschriften auch die einzelnen Disciplinen in den Augen der Lehrer mit Notwendigkeit lauter einzelne, unverbunden nebeneinander stehende Ganze, welche nicht etwa die Elemente zu Wissenschaften, sondern die Wissenschaften selbst vorstellen. So will zwar eine Preuszische Instruction für den geschichtlich-geographischen Unterricht vom J. 1830*), dasz die Schule der Universität sowol das Eindringen in den Zusammenhang des Ganzen, als in viele einzelne Teile der Geschichte überlasse. Nichtsdestoweniger heiszt es unmittelbar vorher: 'Die oberste Stufe (des geschichtlichen Unterrichts in den höhern Gymnasialclassen) kann und musz der Geschichte als Wissenschaft, die ihren Zweck in ihrem eigenem Werthe hat, schon mehr Recht angedeihen lassen, und da diese wissenschaftliche Würde keine andere ist, als dasz das Leben der Menschheit in seinem allmählichen Werden, und die Offenbarung des höheren Planes der Vor ́sehung in demselben gezeigt werde, so kann sich auch die Schule der Pflicht nicht entschlagen, den Geist, der in der Entwicklung der Menschheit immer klarer und umfassender hervortritt, auch dem Geiste des Jünglings erkennbar zu machen.' Wo Geschichte nach dieser Anweisung gelehrt wird, da steht das Pensum doch gewis nicht als ein πрóс TI, sondern als Ding für sich in der Lehranstalt: der Lehrer musz glauben, nicht blosz ein in sich abgeschlossenes Ganzes von Geschichte, sondern auch noch die Philosophie der Geschichte seinen Schülern mitzuteilen. Gleich grosz erscheint die wissenschaftliche Spannung und Steigerung,

*) Bei Rönne S. 230 f.

wenn in der schon angeführten Pr. C. O. von 1837 als 'räthlich' erkannt wird das Naturleben, das in den vier untern Classen von Stufe zu Stufe entwickelt worden, nochmals in seinen wichtigsten Gestaltungen den Schülern der zweiten Classe vorüberzuführen, und ihnen die Idee desselben zum Bewustsein zu bringen'. Man möchte die Lehrer der Mathematik darum beneiden, dasz ihr Pensum eine so poetische Fassung ihrer Aufgabe von selbst abstöszt und dasz sie sich selbst das hoc age immer zu Gemüte führen müssen. Dagegen scheint in vielen Gymnasien ich selbst habe keine Beobachtung der Art gemacht das aliud agere nach allen drei Dimensionen in allzuwissenschaftlicher Behandlung des Unterrichts in den beiden alten, zum Teil auch der deutschen Sprache einheimisch geworden zu sein, wodurch denn, wo dies in die Sitte der Anstalt übergegangen ist, das Gymnasium auch für sein eigentliches und specifisches Lehrfach eine Schule zu sein aufgehört hat.

Das vierte unsern Gymnasien gemeinsame Uebel geht aus den drei ersten hervor, ist aber ein sozusagen selbständiges und das gröste Uebel dadurch geworden, dasz es die edelste Eigenschaft des deutschen Stammes, den Sinn für die Wahrheit, in den Gemütern derjenigen, welche künftighin unter dem Volke als Leiter und Vorbilder stehen sollen, mehr und mehr abzuschwächen droht. Wir sagen unsern Schülern freilich nicht, amare heisze hassen und niger heisze weisz, vielmehr bemühen wir uns, dieselben mit einer Menge von richtigen Notizen in allen Fächern auszustatten; aber wir pflegen mit allem Unterrichten den Schein stalt der Wahrheit, versprechen, was niemand leisten kann, z. B. Vaterlandsliebe durch Kenntnis unserer Nationallitteratur einzupflanzen, oder was der Lehrer gewöhnlicher Art an Schülern eines gewissen Alters und mittlerer Begabung niemals leisten kann, wie die Bildung durch den Geschichtunterricht; versprechen, allen Schülern der gleichen Kategorieen beizubringen, was nur wenige begreifen können, wie die Mathematik, und versprechen, durch eine Vielheit verschiedenartiger Kenntnisse in den Köpfen unserer Schüler eine Bildung zusammenzusetzen, welche niemals und nirgends vorhanden und sogar unmöglich ist. Wir rühmen vor der Welt die bildende Kraft unseres vornehmsten Lehrfachs, und behandeln dasselbe so, dasz der Schüler von dieser bildenden Kraft nichts bei sich selbst wahrnimmt. Teils gebotene Einrichtungen, teils pädagogische Theorieen, welche der Eitelkeit des Lehrers schmeicheln, und ihn des ernstlichen Arbeitens entheben, haben zusammen mit dem Nachahmungstriebe und der durchgehenden Neigung unserer Generation, sich je in seiner Weise gehen zu lassen, eine Halbheit des Thuns in unsere Gelehrtenschule hereingebracht, welche im nachwachsenden Geschlechte keine Liebe zur Wahrheit der Wissenschaft und keine Wahrhaftigkeit im Leben zu erwecken vermag.

Quibusdam aegrotis fit gratulatio, quum se aegros esse censuerunt. Wenn nun die vorbenannten vier Uebel dem Gymnasium nicht gestatten, seine Schüler zu erziehen, so wird dem vierten derselben, nemlich der Pflege des Scheines statt der Wahrheit, nicht unmittelbar und nicht im Allgemeinen begegnet werden können. Wenn z. B. ein ganzes

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Zweite Abteilung:

für Gymnasialpädagogik und die übrigen Lehrfächer, mit Ausschlusz der classischen Philologie, herausgegeben von Professor Dr. Hermann Masius.

1.

Zur Gymnasialreform.

Wenn ich anders recht sehe, so kann man die verschiedenen Klagen über das Nachlassen unserer Gelehrtenschule in ihrer Wirksamkeit in den wenigen Worten zusammenzufassen: das Gymnasium erzieht nicht mehr. Es wird damit nicht gesagt werden, dasz aus keinem Gymnasium annoch wolerzogene Schüler auf die Universität übertreten, was der Augenschein widerlegt. Vielmehr wird der Sinn jener Klage der sein, dasz die Schule an der groszen Mehrzahl ihrer Zöglinge hinsichtlich der Erziehung nicht das leiste, was sie leisten könnte und sollte. Wenn z. B. über den Mangel an Wiszbegierde und über Gleichgültigkeit gegen die Wissenschaft an und für sich geklagt wird, so wird das nur so viel heiszen: die grosze Mehrzahl der Gymnasialschüler ist nicht so erzogen worden, dasz die natürliche Trägheit durch Unterricht, Uebung nnd vernünftige Zucht überwunden und die Vernunft bei den Schülern soweit entwickelt und gestärkt erschiene, als sie vor dem Uebertritt auf die Universität entwickelt und gestärkt werden könnte und sollte, und dasz der selbständige Wille zum Studieren, das Verlangen nach Wahrheit in der Wissenschaft und die Lust zu wissenschaftlichem Leben in ihnen belebt worden wäre. Nimmt man die Klage in dieser Gestalt als wolbegründet, und den Uebelstand als einen allgemeinen, allen unsern Gymnasien mehr oder weniger gemeinsamen an, so wird man beim Aufsuchen der Mittel, wodurch dem Uebelstand begegnet werden könnte, nur auf die allen Gymnasien gemeinsamen Ursachen des Uebelstandes zurückgehen müssen; denn alles Persönliche, alles Nachteilige, was in den Lehrern oder den Schülern inwohnt, entzieht sich ja überall jeder Berechnung, und es ist gleich vergeblich, die schwächere oder herabgekommene Generation wie das Ungeschick oder den unverständigen Eifer der Lehrer anzuklagen. Wenn auch Hunderten von Lehrern nachzuweisen wäre, dasz sie nicht Erzieher seien, so wäre damit für die Erklärung der Sache nichts gewonnen und keine Handhabe geboten, wodurch man des Uebels habhaft werden könnte.

N. Jahrb. f. Phil. u. Päd. II. Abt. 1864. Hft. 1.

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