Obrázky na stránke
PDF
ePub

nungen, welche die Kaiser verliehen hatten, ihrer Bedeutung entkleidet worden, hatten sich wenigstens eine Zeit hindurch noch die Gebildeten durch den Adel der Studien von der Hefe des Volkes unterschieden. Nun verwischte sich auch dieses Merkmal und schwand auch dieses Kennzeichen der höheren Stände. Nicht so fast die siebenfüssigen Barbarengiganten waren es, welche den Flug lateinischer Poesie lähmten und einen Sidonius zu der Äusserung bestimmten, seine Muse verschmähe es, Hexameter zu machen, seitdem sie von sieben füssigen Patronen umgeben sei2; der Sitz des Übels lag bei den Gebildeten selbst, die schlimmer waren als die Barbaren, wie Sidonius unverblümt einräumt. Und nochmals muss auf die Thatsache verwiesen werden, dass gerade in den von den Barbaren bewohnten Hauptorten Galliens die Musen eine Zufluchtstätte gefunden hatten.

Freilich, verglichen mit dem ganz trostlosen Zustande der Wissenschaften in anderen Ländern beim Ausgange des 5. Jahrhunderts, verdient die geistige Regsamkeit in Gallien noch immer Anerkennung und erregt sie bis zu einem gewissen Grade unser Staunen, das nur gedämpft wird beim Anblicke der elenden Aufgabe, an welcher so viele Kräfte sich nutzlos verzehrten.

>>Als einer der letzten Repräsentanten der altrömischen Bildung steht Sidonius vor unseren Blicken. Sein Tod (um 483) gibt auch den Zeitpunkt für den Untergang der alten Kultur, ihrer Litteratur und Erziehungsweise an, denn als Mitglied einer zahlreichen Klasse damaliger römischer Provinzialen ist er noch der Typus jenes Teils des Adels, der in seinen Anschauungen auf dem Boden treu überkommener Tradition fusst, und innerlich noch nicht zu den neueren, durch das Christentum und die Bildung der germanischen Staaten geschaffenen religiös-politischen Verhältnisse sich bekennt 3.«

1 Ep. VIII, 2: Nam jam remotis gradibus dignitatum, per quas solebat ultimo a quoque summus quisque discerni, solum erit posthac nobilitatis indicium litteras nosse.

2 Carm. XII.

3 Kaufmann im N. Schweiz. Mus. 1865 S. 3. 5. 21.

Fünftes Kapitel.

Erziehung und Unterricht beim Volke und Adel Galliens.

Die Bevölkerung Galliens setzte sich zu jener Zeit aus vier von einander wesentlich verschiedenen Elementen zusammen. Das an Besitz, Reichtum, Intelligenz und Bildung zu oberst stehende war der Adel, hervorgegangen zum grössten Teile aus gallischen Clanshäuptlingen, die sich, um ihrer Existenz willen, in die neuen Verhältnisse gefügt hatten, und aus denen die Senatoren, Consuln, Proconsuln, Tribunen und sonstige Würdenträger genommen wurden, die über dreihundert Jahre lang die wichtigsten Reichsämter inne hatten. Dieser alte gallische Adel ging bis auf die Namen sogar im römischen Wesen auf1, den Grundzug der gesamten Nation teilend, der, wie nirgends anderswo, der Verschmelzung mit der neuen Herrschaft Vorschub geleistet hatte, allerdings mit dem fortwährenden und oft unterdrückten Streben, Rom selbst zu ersetzen 2 und den Schwerpunkt römischer Macht nach Gallien zu verlegen.

Die zweite Klasse der Bevölkerung waren die Curialen oder Decurionen, vermögliche Eigentümer und Mitglieder des Municipalkörpers ihrer Stadt. Ihre Zahl schmolz jedoch im 5. Jahrhunderte insbesonders in den grossen Städten infolge der auf sie drückenden und schweren Lasten fast bis zu gänzlicher Verarmung zusammen, so dass man an Orten wie Narbonne, Toulouse, Lyon, Nîmes, Arles kaum noch hundert Curialen fand.

Die Municipalnoblesse der Curialen war das Bindeglied zwischen dem Adel und der freien Städtebevölkerung, welche zugleich die dritte Klasse der Einwohnerschaft bildete. Diese begriff einerseits die kleinen Grundeigentümer, denen ihr Vermögen nicht gestattete, unter den Curialen zu sitzen, andererseits die Kaufleute und jene Handwerker, welche sich im Laufe der Zeit aus Sklaven zu freien

1 Fauriel, I, p. 386.

2 Broglie, L'église et l'empire rom. au IV. siècle, t. IV, p. 4.

Leuten emporgerungen und sich, besonders im südlichen Gallien, schon damals zu Körperschaften zusammengeschlossen hatten, welche noch bis ins Mittelalter hinein als Gilden fortlebten.

Die vierte und unterste Klasse war die der Sklaven, welche sich in die mit den häuslichen und die mit den ländlichen Arbeiten beschäftigten schieden, nach welchen Bethätigungen sie sich Colonen, Ackerbauer, Pflüger u. s. w. 1 benannten.

Wie stellten sich diese vier Klassen der Bevölkerung Galliens zum allgemeinen Bildungswesen?

Von dem Adel und seinem Verhältnis zur Bildung war bereits die Rede und wird noch eingehender gehandelt werden. Was die Curialen betrifft, so ist es einleuchtend, dass sie ohne genügende Schulkenntnisse den ihnen zugeschobenen Obliegenheiten, nämlich den Municipalfunktionen, als: Verwaltung der städtischen Angelegenheiten, Besorgung des Steuerwesens, wofür sie sogar mit ihrem eigenen Vermögen haftbar waren, nicht gerecht zu werden vermocht hätten. Solche Pflichten gebührend wahrzunehmen, ist niemand ohne zureichende Kenntnisse in der Lage. Wer aber hätte dieselben vermitteln sollen, wenn nicht eben die Schule?

Einen gleichen Grad der Schulbildung darf man ebenso bei den Mitgliedern der dritten Klasse voraussetzen, welcher Annahme auch die Thatsache keinen Abbruch zufügt, dass ein nicht geringer Prozentsatz dieses Bevölkerungselements aus ehemaligen Sklaven bestand. Man braucht hier nicht erst an die gelehrten Sklaven zu denken, welche als Lehrer und Pädagogen zum Ingesinde des Hauses gerechnet wurden. Bei den Römern hatte schon Cato von den Wirtschaftsklaven die Befähigung verlangt, lesen und schreiben zu können. Unter den gleichen Voraussetzungen müssen dieselben Zustände wie auf den Gütern der römischen, so auch der gallischen Grossgrundbesitzer vorhanden gewesen sein, soweit die intellektuelle Bildung des Sklavenvolkes in Frage kommt. Überhaupt gilt auch für Gallien, was Mommsen, wie schon früher erwähnt wurde, für römische Verhältnisse annimmt, indem er sagt: »Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung der elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich zurückgestanden habe; auch unter den niederen Klassen und den Sklaven wurde viel gelesen, geschrieben und gerechnet 2.«<

1 Guizot, Hist. de la civilisat. en France I, p. 52 squ. 11. Aufl. 2 Mommsen, Römische Geschichte I, S. 892. Vgl. oben S. 66.

Den Hauptanteil an dem Inhalte des Schul- und Bildungswesens trug allerdings der Stand der Adeligen davon. Die Mehrzahl des Volkes musste die Erwerbung seiner Kenntnisse mit dem Elementarschullebrer abschliessen. Wenige mögen es im allgemeinen gewesen sein, denen ein günstiger Zusammenfluss äusserer Umstände ermöglichte, bis zur Halle des Rhetors vorzudringen. Anders lagen die Dinge bei den Vornehmen. Schon der Umstand, dass ohne rhetorische Bildung ein Erreichen staatlicher Vorteile, Ehren und Würden nicht oder kaum zu gewärtigen stand, legte den Söhnen des Adels die Verpflichtung höherer Bildung nahe. Wenn man das als eine bevormundende staatliche Einmischung beklagen will, die übrigens nie zu einem eigentlichen Schulzwang im modernen Wortsinne sich gestaltete, so muss nicht ausser Acht gelassen werden, »dass es schlechterdings eines geregelten Apparates bedurfte, um jene breite und zugleich feste Verzweigung der Bildungsarbeit herzustellen, welche durch die ganze Geschichte der späteren Zeiten hindurchreicht 1.«

Die antike, von Grammatikern und Rhetoren geleitete Schule betonte als Hauptaufgabe ihrer Thätigkeit nicht die eigentliche Erziehung, wie solche in der harmonischen Ausgestaltung von Geist, Seele, Wille, Gemüt und Empfinden stattfindet. Es lag ihr weit weniger an der Sittlichkeit des Menschen als vielmehr an seiner formalen Bildung. Sittliche Charaktere zu formen besass jene Schule weder die Kraft, noch hegte sie die Absicht. Der Unterricht in den Schulfächern aber, lediglich auf die reine Äusserlichkeit abzielend, bewegte sich nicht nach der Tiefe, nach der Seele und dem höheren Menschen zu; darum hielt auch seine Wirkung nicht lange an. Die wenigen Sittenregeln der Philosophen und Dichter waren schnell verflogen und die Geister fielen dem vollsten Unglauben, dem Natur- und Sinnendienste um so schneller anheim, als die Einflüsse des Zeitcharakters und das tägliche und vielgestaltige Leben mit Notwendigkeit zersetzend sich äussern mussten 2. Der Ausspruch des Plinius: >>Zuerst Sittlichkeit uud dann Beredsamkeit, welche ohne jene eine schlechte Kunst ist3,« war in den auf diesen Römer folgenden Jahrhunderten vollständig ausser Acht und Brauch geraten. Was half es aber, den Söhnen der »oberen Zehntausend<< eine Bildung

1 Willmann, Didaktik I, S. 205.

2 Bened. Braunmüller, O. S. B., Gesch. der Bildung in den drei letzten Jahrhunderten des Christentums. Schulpr. Regensburg 1855, S. 9. 3 Plin. ep. III, 9.

zu geben, welche sie nicht vor jener fürchterlichen Fäulnis bewahrte, durch die gerade die Auflösung der vornehmen Welt herbeigeführt wurde?

Treten wir nun der Untersuchung über Bildungs- und Erziehungswesen im Schosse des gallischen Adels näher.

Die Aristokratie Galliens führte im grossen Ganzen, vorübergehende Quälereien durch tyrannische Reichsbeamte abgerechnet, wie der Präfect Arrandus und dessen roher Nachfolger Seronatus waren, von denen dieser nicht einmal in den notdürftigsten Wissenselementen unterrichtet war und der von Sidonius »Catilina unseres Jahrhunderts<< genannt wird ein behagliches Dasein entweder in den Städten oder auf ihren prachtvollen Landsitzen, wo Natur und Kunst sich vereinten, um alle möglichen Reize hervorzuzaubern und wo alle Annehmlichkeiten der vornehmen Römerwelt aufgehäuft waren. Dort strömten geistige und körperliche Genüsse zusammen, ermöglicht durch einen grossen Reichtum der Geniessenden, so dass man von Vergnügen zu Vergnügen taumelte, um ein Wort des Sidonius zu gebrauchen, der einen Landaufenthalt bei zweien seiner besten Freunde, den liebenswürdigsten Herren Tonantius Ferreolus und Apollinaris schildert1. Von diesen beiden gebührt jenem das Lob, ein musterhafter gallorömischer Edelmann gewesen zu sein. Geboren 420, († 485) war sein Vater Präfekt Galliens unter Honorius gewesen. Die Präfekturen, Patriciate und Triumphe konnten in dieser Familie nach der Anzahl der Grossväter gezählt werden. Unter Valentinian war Ferreolus gegen die Mitte des 5. Jahrhunderts Präfekt Galliens; er zeichnete sich durch seine Milde aus, liebte das Volk und nahm es gegen die Beamtenunterdrückungen in Schutz. Mit einem edlen Charakter verband er hohe geistige Bildung und eine Liebe zu den Wissenschaften, die sein Haus zu einer Freistätte für die Musen schuf, als die Barbaren Gallien überschwemmten. Man glaubte bei ihm die Akademie Hadrians zu finden, so besucht war sein Haus von Gelehrten und so reich war sein Bücherschatz, der sich eben so sehr durch sorgfältige Auswahl als durch seinen geordneten Zustand hervorthat. Diese Bücherei zerfiel in drei Abteilungen, von denen die erste die für die Frauen bestimmten Erbauungsbücher mit Augustinus, Prudentius, Origines u. s. w. enthielt, die zweite die klassische Litteratur für die Herren barg und die dritte die den beiden Geschlechtern gemeinsame Litteratur umschloss. Diese

1 Sid. ep. VII, 12.

« PredošláPokračovať »