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was konnte dann erst in Zeiten erwartet werden, in welchen der Niedergang des Reiches alle Verhältnisse in die allgemeine Zerstörung wie in einen brandenden, brodelnden Riesenkessel hineinriss? Wenn die heiligsten Bande des Familienlebens nicht bloss gelockert, sondern in tausend Fällen vollständig zerrissen waren, konnte da die häusliche Kindererziehung noch erfreuliche Blüten entfalten und edle Früchte reifen? Wenn überall, im häuslichen Leben sowohl wie im öffentlichen, das böse Beispiel mit zahllosen Fangarmen nach den Kinderseelen griff, was vermochte die bestgemeinte Lehre, die eifrigste Ermahnung noch zu nützen, da doch das Wort ewig zu recht besteht: Verba movent, exempla trahunt! So fiel alles dem Verderben anheim, was aus dem heidnischen Unterrichte in den Schulen und aus einer sittenlosen Erziehung in Familien emporschoss. Der pädagogische Mahnruf eines St. Hieronymus blieb häufig völlig unbeachtet, dass das Kind weder beim Vater noch der Mutter etwas wahrnehmen dürfe, was zu thun für dasselbe eine Sünde sei1.

Man sieht hier wieder, dass das Christentum, nach Montalemberts Ausspruch, nicht imstande war, die allzu sehr in die Netze des Heidentums verstrickte alte Gesellschaft umzugestalten. Gallien, namentlich im südlichen und in den grossen Städten Marseille, Vienne, Lyon, Clermont, Arles, behauptete sich der heidnische Geist noch bis ins 6. Jahrhundert mit merkwürdiger Zähigkeit, die in jenen Rhetorenschulen gründete, wo der letzte und angestrengteste Versuch gemacht wurde, das Vordringen des Christentums zu stauen und zu unterbinden.

Es ist eine merkwürdige Thatsache, die zur Erklärung der zähen Natur des Heidentums notwendig herangezogen werden muss, dass der Glaube an die Unzerstörbarkeit des Römerreichs die Bürger desselben selbst dann noch durchdrang, als es schon wie ein zertrümmerter Koloss am Boden lag. Nicht die Heiden allein trugen sich mit jenem Glauben, auch das christliche Volk und selbst die Geistlichen huldigten ihm. St. Hieronymus hatte den Traum des Nebukadnezar beim Propheten Daniel (Kapitel 2) so ausgelegt, als ob das eiserne Römerreich, nachdem es die anderen Reiche zermalmt, bleiben solle bis zum Eintritte des himmlischen Reiches. Diese Auffassung wurde zur allgemeinen gemacht, denn sie gereichte dem Nationalstolze, wie sehr er auch durch die Schläge der Barbaren gedemütigt worden war, zur Befriedigung. So erklärt es

1 Hieronym. ad Laetam. c. 10.

sich, dass man in den kirchlichen Chroniken bis auf Marius von Avenches (6. Jahrhundert) die Jahre nach der Dauer der Kaiserregierungen und nach den Namen der Konsuln zählt, dass die geistlichen Annalisten Galliens den Vorgängen in Rom, und sogar denen im Orient mehr Aufmerksamkeit widmen, als den vaterländischen Ereignissen, und dass man noch bis ins 8. Jahrhundert für die Cleriker die Bezeichnung »>Romani« als Ehrentitel führt1, um sie in möglichst scharfen Gegensatz zu den barbarischen Elementen zu stellen.

In diesem Lichte geschaut begreift man die Hartnäckigkeit, womit gewisse Kreise in Gallien sich noch gegen das Christentum stemmten, nachdem es dort schon bis zu einem ansehnlichen Grade erstarkt war. Aber alles Ablehnen war am Ende doch vergeblich, mochte die feindliche Strömung von der Rhetorenschule, der Litteratur oder von was immer für Faktoren geleitet werden. Was Julian in Gallien nicht zuwege gebracht hatte, dem Christentume durch Einführung der eleusinischen Mysterien ein Hindernis entgegenzustellen und dadurch dem langsam hinschwindenden Paganismus nochmals Lebensfähigkeit einzuhauchen, das vermochte auch die Rhetorenschule nicht. Im Kampfe gegen das Evangelium stumpfte sich ebenso die geistige Waffe der Gelehrsamkeit ab, wie der billige Spott der heidnischen Litteraten. Von dem »Zu Palästina gekreuzigten Magier und Sophisten und seiner wunderlichen Lehre,<< über welche einst der Rhetor und Spötter Lucian sich lustig gemacht, und vor dem Kalvarienberge sank Jupiter und der Olymp, vor dem Berge eines Gottes der Berg der Götterhorde. Lucians Wort, dass es mit dem Flammengeschoss des alten, blöden und dickhäutigen Phlegmatikers Jupiter, dessen Donner und Blitze nichts als reine Fabelei und dichterischer Dunst sei, und mit dem Blitzeschleuderer, dessen sonstige Beinamen nur gerade noch gut genug, um hirnverbrannten Dichtern eine Lücke im Versmasse auszufüllen, bald aus sei und er von seinem Throne gestossen werde, verwirklichte sich.

In Gallien hatte das Christentum frühzeitig sein Banner entfaltet. Gehen auch dort die ältesten, datirten Inschriften über das Jahr 334 nicht herunter 2, so blühten dennoch schon im 2. Jahrhunderte die Kirchen von Lyon und Vienne, verherrlicht durch das

1 G. Monod, Études critiques sur les sources de l'Hist. Mérovingienne (8. Fascicule de la Bibliothèque de l'École des Hautes études, p. 11. 148.)

2 Herm. Schiller, a. a. O. I, 2. S. 917.

Martyrertum der Bischöfe Pothinus († 177) und Irenäus († 202)1. Bereits um die Mitte des 3. Jahrhunderts erstanden die Kirchen zu Toulouse, Narbonne, Arles, Clermont, Limoges, Tours und Paris. Als zu Arles (314) das erste gallische Konzil (gegen die Donatisten) stattfand, waren bereits 33 Bischöfe, unter ihnen die von Reims, Rouen, Vaison, Orleans, Bordeaux und Orange, anwesend. Wir wissen, dass der gallische Episkopat jener Jahrhunderte ausschliesslich aus der vornehmen und gebildeten Klasse hervorging. Trotz aller Festigkeit, womit sich die aristokratische Heidenwelt an den alternden Inhalt ihrer Anschauungen und Grundsätze klammerte und den Bestand ihrer besten Stützsäule, der Rhetorenschule, zu sichern strebte, verlor sie an Zahl, Bedeutung und sittlichem Gehalt, allmählig, Zoll um Zoll, aber unaufhaltsam die schiefe Ebene hinabgleitend. Darum betrat, wer in ihrem Schosse noch ein moralisches Gefühl, eine Willenskraft hatte, die Reihen des christlichen Klerus. So rechtfertigt sich die Thatsache, dass die gallische Kirche ihre leitenden Elemente aus dem Adelsstande erhielt. Mochten auch die Beweggründe, welche diesen und jenen vornehmen GalloRömer in die Reihen der kirchlichen Hierarchie führten, nicht immer die Probe vor dem lauteren Geiste des Christentums aushalten, mochte auch die gallische Geistlichkeit nicht in allen ihren Gliedern tadellos dastehen, im allgemeinen bietet sie doch ein erfreuliches Bild inmitten der Zeit des Verfalls. Allerdings berührt es seltsam, wenn man hört, dass bei einer Bischofswahl in Biturica (Bourges) die ehrgeizigen Bewerber um diese Würde nicht auf zwei Bänken Platz hatten und man Geld für dieselben anbot3; wenn man sieht, wie schwer die Bischöfe die aus der Schule mitgebrachten Rhetorengewohnheiten abstreiften und wie sie, am Altar vor dem stehenden Volke sitzend, predigten, ihre Zuhörer im geheiligten Raume zu lautem Beifallklatschen hinreissend+; wenn selbst ein Avitus von Vienne, ein strenggläubiger und eifriger Kirchenfürst, es der Mühe wert erachtete, sich gegen einen Vorwurf des Redners Viventiolus, als habe er in einer Predigt eine kurze Silbe lang ausgesprochen, mit vieler Gelehrsamkeit zu verteidigen; wenn ein Bischof Sidonius seinem Freunde, dem Minister

1 Alzog-Kraus, Kirchengesch. I, 161.
2 Gallia Christ. I, p. 523.

3 Sid. VII, 5. 9.

4 Sid. Carm. XVI.

5 Kaufmann, Rhetorenschulen S. 38.

Leo, das Leben des Philosophen und Theurgen Apollonius von Tyana (1. Jahrhundert) abschreibt, dessen angebliche Wunderthaten und Prophezeiungen man als Parodie und Parallele gegen das Leben und Wirken Jesu Christi heidnischerseits auszuspielen versuchte1, und diese Abschrift dann an den Freund mit einem Lobe des heidnischen Philosophen schickt, dem jener, den katholischen Glauben ausgenommen, in der Liebe zu den Wissenschaften, zur Armut und Entsagung so sehr gleiche2; wenn wir diese und ähnliche, in den Schriften des Sidonius, Ennodius und anderer Bischöfe und Geistlichen zu Tage tretenden Erinnerungen an die Rhetorenschule und deren heidnischen Charakter wahrnehmen aber man muss auch nicht ausser Acht lassen, dass, abgesehen von der Verantwortung, welche für derartige Schattenseiten auf das damalige Schulwesen fällt, solche Dinge denn doch zurücktreten vor der Mehrzahl der edlen und wahrhaft heiligmässigen Thaten, welche jene Männer als Bischöfe und Priester der gallischen Kirche vollbrachten, deren Stützen und Zierden sie in den sturmvollsten Zeiten gewesen sind; man darf nicht vergessen, wie sie hervorleuchteten durch die Reinheit ihrer Gesinnung, durch ihre sittliche Kraft, durch ihren ächt apostolischen Eifer, durch ihre oft bewundernswürdige Nächstenliebe und ihre wahrhaft evangelische Hingabe an ihren schweren Beruf, schwer gemacht durch die so überaus rauhe Gestalt der Zeit, deren Wesen viel mehr nach der zerstörenden als aufbauenden Richtung lag. Solche Bischöfe waren : Der hl. Lupus von Troyes († um 479), der grösste der gallischen Bischöfe3, ein Spiegel der Sitten, eine Säule der Tugenden und ein in den heiligen Wissenschaften sehr erfahrener Greis,

1 Lamprid. in Vita Heliogab. c. 3. 7. Cass. LXXXIX. c. 11.

Herodian, lib. 5. 6. · Dio

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2 Quid multis? schreibt Sid. weiter: Si vera metimur aestimamusque, fors fuat (!) an philosophi vitae scriptor aequalis majorum temporibus accesserit, certe par seculo meo par te lector obvenit. Gewiss sonderbare Worte im Munde eines katholischen Bischofs. Das von Sidonius abgeschriebene Werk über Apollonius war nicht das von dem Neupythagoräer Philostratus auf Befehl der Kaiserin Julia Domna verfasste (Hieronym. Paulino), sondern das von Tascius Victorianus, einem gelehrten Korrektor und Herausgeber alter Handschriften des 5. Jahrh., nach einem Exemplar des von Nicomachus dem Alten hergestellten. Letzterer, zum Unterschiede von einem jüngeren Träger desselben Namens so genannt, lebte zu Hadrians Zeit. Vopiscus, Aurelianus c. 27.

3 Sid. II, 1: princeps pontificum Gallicanorum.

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182 Fünftes Kapitel. Erziehung u. Unterricht beim Volke u. Adel Galliens.

dessen Urteil von allen seinen Genossen im bischöflichen Amte geehrt und von den Schriftstellern wie von den Sündern gefürchtet war1. An diesen erhabenen Kirchenfürsten, sowie an den Bischof Auspicius von Toul verwies Sidonius, weil er sich für einen Ausleger der heiligen Schrift nicht zuständig genug hielt, den ihn um Auskunft über einige Schriftstellen angehenden Grafen Arbogast von Trier, nachmals Bischof von Chartres 2. Zu diesen grossen Männern der Kirche zählte Patiens von Lyon († 491), der nicht nur, ein zweiter ägyptischer Joseph, die von den Gothen verwüsteten Gegenden Galliens mit Getreide versorgte, sondern als >> Seelenfischer<< (piscator animarum) die arianischen Burgunder bekehrte und mit seinem grossen Reichtume noch überdies zahlreiche Kirchen erbaute 3; ferner Faustus von Riez (Provence), † 490; Mamertus von Vienne, der Bruder des schärfsten Denkers seines Jahrhunderts, des Mamertus Claudianus, und Stifter der drei Bitttage (Rogationen) in der katholischen Kirche1; Bischof Graecus von Marseille, Agroecius von Sens, Basilius von Aix, Auspicius und Euphronius von Autun, Perpetuus von Tours, ein tüchtiger Schriftkenner und der Erbauer einer dem heiligen Martin geweihten Basilika, deren Pracht mit Salomos Tempel verglichen werden konnte 5; Leontius von Arles; Fontejus von Vaison; Censorius von Auxerre; Ruricius von Limoges, der weder Kosten noch Mühe scheute, um seine Bibliothek zu vermehren und der sich als Schriftsteller 6 durch zwei Bücher Briefe, teils leichte Plaudereien, teils fromme Betrachtungen enthaltend, einen Namen gemacht hat.

Diese Reihe glänzender Kirchenpersönlichkeiten Galliens könnte noch um manchen Namen vermehrt werden, was indes im Laufe der folgenden Darstellung geschehen soll. Unsere nächste Aufgabe wird es sein, zu erfahren, in welcher Weise der gallische Episkopat und die gallische Kirche der ersten Jahrhunderte überhaupt das Bildungswesen pflegten.

1 Rohrbacher, Universalgesch. 8. Bd. S. 305.

2 Sid. IV, 17.

3 In einer vom hl. Patiens erbauten Basilika findet sich auch die erste bestimmte Anwendung der kirchlichen Glasmalerei. Sid. II, 11. Vgl. Organ f. christl. Kunst (Köln 1856) Nr. 22.

4 Sid. VII, 1., VI, 7; V, 14.

5 IV, 18. Gregor Tur. hist. Franc. II, 14.

6 IV, 16; V, 15.

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