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haupt keine Möglichkeit, A mit B durch ein irgendwie geartetes Vorstellungsurteil in Beziehung zu setzen. Erst das Gedächtnis ermöglicht die ersten Zeitvorstellungen, das Bewußtwerden des Nacheinander.

Und erst mittels des Gedächtnisses erzielt das erkennende Subjekt Vorstellungsurteile (durch die Vergleichungsmöglichkeit früherer mit späteren Orts- und Zeitrelationen, wofür die Grundlagen durch das Gedächtnis vermittelt werden) über ein näheres und entfernteres Neben- oder Nacheinander der Objekte.

Aber auch im Stadium dieser über die primitiven örtlichen und zeitlichen Vorstellungsinhalte bereits hinausgehenden Entwickelung sind (die örtlichen und zeitlichen Vorstellungsurteile oder) Raum und Zeit nur bloße Vorstellungen und lediglich als Relationen der sinnlich wahrgenommenen Dinge untereinander für das erkennende Subjekt gegeben.

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Hiedurch erweist sich aufs neue die Unrichtigkeit der Kantschen Darlegung, daß und weshalb Ort und Zeit im Gemüte a priori bereit liegen müssen". Er scheidet die Materie als das, was „in der Erscheinung der Empfindung korrespondiert", mit anderen Worten, als den Empfindungserreger, von der Funktion, welche die (empirischen) Empfindungen ordnet, ordnet durch die Ordnungselemente Ort und Zeit. Tatsächlich aber wirkt die Materie auf uns stets nur als eine örtlich fixierte empirische Vorstellung. Unser Rezeptivvermögen gegenüber der Materie ist immer nur ein örtliches (die Zeitrelationen lassen sich stets theoretisch auf örtliche zurückführen; denn das zeitliche Vorstellungsurteil erwächst durch die Fixierung von Einheiten, welche ja doch nur durch örtliche Feststellung erfolgen kann, mit der Apperzeption des Nichtmiteinanderseins). Die Materie unter Abzug des „Ortes" hört auf, mögliches Objekt unserer Erkenntnis zu sein; während die Materie unter Hinwegdenken der „Zeit“ Objekt einer, freilich sehr begrenzten Erkenntnis bliebe. Das, was Kant „Form der Erscheinung" nennt und was a priori gegeben sein soll, ist die Idee des Ortes (nicht aber, wie man nach Kant annehmen müßte, die Vorstellung die Anschauung a priori des Ortes). Die Idee des Ortes ist allerdings durch reine Abstraktion gewonnen. Jene Abstraktion aber, welche zur Idee des Ortes geführt hat, war erst dann für die Menschheit ermöglicht und nur dadurch, daß zuvor zahllose empirische örtliche Vorstellungen stattgehabt hatten.

Kants Erkenntnistheorie ist eine Parallelerscheinung des Naturrechts. Dieses, wie jene sind unhistorisch, rein deduktiv und konnten auch nach dem damaligen Stande der Wissenschaft nicht anders sein. Infolgedessen vermochte Kant gar nicht auf den Gedanken einer geschichtlichen Entwickelung der menschlichen Erkenntnis verfallen, welche heute an der Hand der prähistorischen und der etymologischen Forschung wenigstens in Hauptgrundzügen fixiert werden kann). So bleibt denn von Kant jene einschneidendste, erkenntniskritisch geradezu grundlegende Wahrheit unbeachtet, daß Vorstellungen jeder Art lange und längste Zeiten hindurch bestehen, ehe die diesen Vorstellungen korrespondierenden Begriffe (Ideen) erwachsen können.

Die Vorstellungen von Ort (= Nebeneinandersein), Zeit (= Nacheinandersein), Körper (= Ausgedehntem), Raum (= Geräumtem; dann: Aufnahmefähigem) haben auch schon die höheren Tiere. Ihnen fehlen aber, wie auch dem Naturmenschen, die Ideen Raum, Zeit, die Begriffe Körper, Ort, d. h. das der Vorstellung entsprechende in die Sphäre des Allgemeingültigen, der Abstraktion erhobene Korrelat. Jene Erkenntnissubjekte haben nur die konkreten, praktischen, empirischen Vorstellungsbilder, nicht die Idee; nur den Inhalt, nicht auch das (ideologische, unreale) Gefäß 6).

Als letztes Glied in der Reihe der elementaren Orientierungserkenntnisse entsteht das kausale Vorstellungsurteil. Denn um zu dem Urteile (B ist Folge von A oder A ist Ursache von B oder), wenn a geschieht, tritt b ein (oder: wenn b eintreten soll, muß a geschehen), gelangen zu können, muß das Erkenntnissubjekt nicht nur

a) zeitliche Vorstellungen überhaupt ins Bewußtsein aufgenommen haben und weiter

5) Daß die Ideen Ort und Zeit aus ganz plastischen konkreten örtlichen Vorstellungsbildern herausgewachsen sind, erhellt schon aus der einfachen sprachvergleichenden Beobachtung, daß »die Mande-Negersprachen „ein rückwärts, hinter" oder, bei zeitlicher Wendung des Begriffs, ein nach etwas“ durch ein suffigiertes Wort bezeichnen, das als selbständiges Substantivum „Rücken, Hinterteil" bedeutet ; oder daß sie den Inhalt unserer Präposition „auf“ durch „Nacken, Spitze" oder auch durch Luft, Himmel", ein „unter" oder „unten" durch „Erde, Boden" ausdrücken u. s. w. (Wundt, Völkerpsychologie I, 2 S. 77, unter Bezugnahme auf Steinthal, Mande-Negersprachen S. 201 ff.); oder, wenn man ins Auge faßt, daß lat. circum herum" der Acc. Sing. zu circus „Ring" ist (Wundt, daselbst S. 210).

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6) Ich gebrauche in diesem Kapitel die Bezeichnungen Idee und Begriff als Gegenstücke zur empirisch-sinnlichen Vorstellung, ohne den Wesensunterschied zwischen Idee und Begriff besonders zu betonen oder zu erklären. Über den Unterschied zwischen Idee und Begriff vgl. §§ 13, 14 der Abhandlung.

b) eine Vielheit zeitlicher Relationen apperzipiert haben, son

dern auch

c) Verstandestätigkeit aufwenden, um durch kritische Vergleichung zum (Vorstellungs-) Urteile der notwendigen Folge, oder der kausalen Verknüpfung zu gelangen.

$ 9. Die Zahl als Vorstellung und als Begriff.

Einheit ist, was als Einheit wirkt, d. h. als etwas gegenüber anderem (dem ununterscheidbaren Chaos) Differenziertes, in sich (d. h. in seinen Bestandteilen) nicht Differenziertes Wirkungen ausstrahlt.

Einheit als Vorstellung ist daher, was als Einheit apperzipiert (ins Bewußtsein des Erkenntnissubjekts aufgenommen) wird. Sobald die Tierwelt differenzierte Wirkungen irgend welcher Art sinnlich verspürte, und auf Grund der sinnlichen Wahrnehmung ins Bewußtsein aufnahm, war für sie die Einheit als Vorstellung in ihren primitiven Anfängen gegeben. Einheit ist also zunächst, im originären Entstehungsprozesse, was sich empirisch aus dem Chaos abhebt und sinnlich als Wirkendes wahrgenommen wird: Die Helligkeit, die vom Dunkel absticht; der feste Körper, der gegriffen wird; der Wohl- oder Übelgeschmack beim Kauen eines Etwas; ein Geräusch, das zuvor nicht gehört wurde; der Feind oder die Beute, die gewittert werden. Was irgendwie für einen der Sinne als greifbare (als sinnlich wirksame) Realität aus dem unbestimmt Vielen, dem chaotisch Unendlichen hervortritt, wird als für sich Seiendes, als Selbständigkeit (Perseität) apperzipiert und liefert hiedurch das Substrat für die Einheitsvorstellung. Ob ich „Einheit" sage, oder „Wirkung“ (präziser: „Wirksamkeit") ist somit gleichgültig. Das Wirksame ist die Einheit". Hiebei ist also der Gegensatz von Einheit für jene primitive Vorstellungsstufe, auf welcher die Einheitsvorstellung erwächst, nicht etwa die Mehrheit oder die Vielheit (dies würde ja die Entstehung der Zahlen vor der Bildung der Einheits-Vorstellung voraussetzen), vielmehr bildet die Einheit den Gegensatz zum unentwirrten Knäuel; die Einheit tritt wirkend aus dem Chaos ans Licht. Das Gesetz der Differenzierung wirft seine ersten Strahlen auf das Vorstellungsvermögen der höher organisierten Tierheit. Das Tier stellt sich die Einheit vor (hat aber auf jener Stufe ganz sicherlich nicht das klare Bewußtsein dieser Vorstellung; die Vorstellung der Einheit erfolgt zunächst nicht reflexiv, sondern instinktiv).

Wir sehen also, daß die Einheit als Vorstellung (als apperzipierte Wirkung) bereits auf einer Entwickelungsstufe der Tierheit entstanden ist, auf welcher die Möglichkeit zur Bildung der Idee der Zahl oder des Zahlbegriffs infolge der gering entwickelten geistigen Beschaffenheit des vorstellenden (Tier-) Subjektes völlig ausgeschlossen ist. Die Einheit als Vorstellung hat aber ihren Charakter bis auf den heutigen Tag nicht geändert; Einheit (als Vorstellung) ist auch heute noch, was als einheitliche, d. h. für sich seiende Wirkung apperzipiert wird, oder was differenziert erscheint, was sich von der ununterscheidbaren Gesamtmasse irgendwie selbständig wahrnehmbar abhebt.

Die Einheit entsteht also zunächst nicht als die Eins, sondern als das Etwas, nicht als Zahl, sondern als Realität. Daraus ergibt sich, daß in der originären Entwickelung der Zahlvorstellungen die Zwei nicht ohne weiteres durch Kumulierung zweier Einheiten zum Bewußtsein der Vorstellungssubjekte kommen konnte. Ursprünglich kann die Tierheit und die Urmenschheit nicht zur Zwei durch den Satz 1+1= 2 gekommen sein, denn die Einheit existiert für das Vorstellungsvermögen jener Zeit nicht als 1, sondern als bloßes Etwas. Die Zweiheitsvorstellung kann daher nicht durch irgendwelche Abstraktion, sondern nur auf empirisch-sinnlicher Grundlage erwachsen sein. Nichts liegt näher, als anzunehmen, daß die ursprüngliche Vorstellung der Zwei genau auf dieselbe Art ins Bewußtsein aufgenommen wurde, wie die Vorstellung der Eins. Ist die Eins als Wirkung (Wirksamkeit, Differenziertes) apperzipiert worden, so wurde die Zwei dadurch apperzipiert, daß sich dem Vorstellungssubjekte eine Wirkung verbunden mit einer Gegenwirkung, eine konträre Doppelwirkung sinnlich wahrnehmbar machte. Die Zwei muß daher ursprünglich die Vorstellung einer mit einer Gegenwirksamkeit verbundenen Wirksamkeit bedeuten.

Diese Hypothese findet ihre Rechtfertigung durch die Etymologie. Man leitet gewöhnlich bellum (= duellum) von duo ab. Die Verwandtschaft zwischen beiden ist unleugbar; jene Ableitung aber scheint mir das richtige Verhältnis gerade umzukehren. Nicht der Kampf ist von der Zweiheit abgeleitet, vielmehr konnte die Menschheit erst und nur durch den Anblick zweier streitender Wesen (oder Kräfte) irgendwelcher Art zur bewußten klaren Vorstellung (und später zum Begriffe) der Zweiheit gelangt. (Hieraus mag sich dann auch weiterhin die dualistische Bezeichnung von Kampf und Krieg schlechthin, ohne Rücksicht auf bloße Zweiheit oder mehr minder

unbegrenzte Vielheit der Teilnehmer, gebildet haben.) Wie die Einheit nur als Einheit der Ursache, als „das Wirkende" zuerst in die Vorstellung rezeptionsfähiger Wesen gelangt ist, so ist demnach die Vorstellung der Zweiheit aus der Zweiheit der Ursache, als „Wirkung und Gegenwirkung" erwachsen und darnach späterhin bezeichnet worden.

Die Urentstehung der Zweiheit als Vorstellung (und daraus hervorwachsend ihre Grundbedeutung als Begriff) kann nur auf disjunktiver, auf Gegensatzwirkung (und deren Wahrnehmung beruhen): Tag-Nacht; Winter-Sommer; der Verbrecher, der sich in Gegensatz zu seinem Lande setzt (perduellio) 1) 2) etc. etc.

Für unsere heutige Kulturanschauung ist die Zahl so eng mit dem Zählen verknüpft, daß wir darüber nur allzuleicht vergessen, daß das Zählen erst einer weit höheren Kulturperiode zugehört, für welche die Zahlen selbst bereits längst feststehen. Es hat sicher lange und längste Zeiträume gegeben, in welchen denkende Wesen den Satz: 1+1 2 nicht erfaßt hatten 3). Das Summieren zweier Einheiten setzt ja doch voraus, daß im Denken des Summierenden

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1) An der perduellio des altrömischen Strafrechts tritt die ursprünglich disjunktive Bedeutung der Zweiheit recht deutlich zutage. Perduellio bedeutet zunächst nicht die verbrecherische Tat selbst, sondern den durch das Verbrechen im Verhältnisse zwischen dem Verbrecher und dem Staate geschaffenen Zustand, daß nämlich der Verbrecher dem Staate fremd, feind geworden ist, außerhalb, jenseits des Staates steht, während er zuvor im Staate als dessen Glied aufgegangen ist. Vgl. v. Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts und der Strafrechtstheorien, Berlin 1882, S. 13 und meine Entgeltung im Strafrechte § 2, insbesondere S. 29.

Für meine Auffassung der disjunktiven Entstehung der Zwei spricht auch, daß im Mano und Gio zwei die ursprünglichere Form père hat, womit im Mano fara ,spalten" verwandt ist. Vgl. Steinthal, Die Zählmethode der Mandenga-Neger, in Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, herausgegeben von M. Lazarus und Steinthal, III. Bd., Berlin 1865, S. 364.

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2) Diese konträre Auffassung der Zweiheit hat sich in unserem Denken bis auf den heutigen Tag noch erhalten, insoferne wir nämlich von einer dualistischen Weltauffassung sprechen.

3) Cantor, Vorlesungen über Geschichte der Mathematik, I. Bd., 2. Aufl., Leipzig 1894, S. 4 sagt: „Und was war nun der Sinn dieser ältesten, der Entstehungszeit wie dem Inhalte nach ersten Zahlwörter? Die Annahme hat gewiß viel für sich, daß sie anfänglich nicht Zahlen, sondern ganz bestimmte Gegenstände bedeuteten, sei es nun, daß man von der eigenen, von der angeredeten, von der besprochenen Persönlichkeit, also von den Wörtern: ich, du, er ausging, um aus ihnen den Urklang für: eins, zwei, drei zu gewinnen (Verweisung auf Pott, die quinäre und vigesimale Zählmethode bei Völkern aller Weltteile, Halle 1847, S. 119), sei es, daß man von Gliedmaßen seines Körpers deren Anzahl entnahm (Verweisung auf L. Geiger, Ursprung und Entwicklung der menschlichen Sprache und Vernunft, 1868, Bd. I, S. 319). Cantor selbst fügt dem bei: „Wir wiederholen es, solche Annahmen haben

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