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Aus unseren Darlegungen ergibt sich, daß die Lehre der Dreidimensionalität des Raumes ein bloßer Denk- und mathematischpraktischer Hilfsgebrauch ist. Es gibt in Wahrheit nicht drei Dimensionen, sondern es gibt nur den Raum, die Räumlichkeit, die Körper; und die Flächen, Linien und Punkte, welche wir mit weniger als drei Dimensionen ansetzen, sind nichts anderes als Körper, deren Körperlichkeit nach der einen oder anderen Richtung unendlich klein gesetzt wird, um praktische Berechnungen und Gliederungen jeder Art zu ermöglichen. Die Mathematik arbeitet eben (und darin liegen ihre Erfolge und ihre relative Richtigkeit) nicht nur - wie man vermeinen möchte - in der Infinitesimalrechnung, sondern schon in der Begründung und Vorführung der geometrischen Axiome mit unendlich Kleinem: die Flächen, die Linien, die Punkte, deren konstruktive Verbindung den ersten geometrischen Aufbau ermöglicht, sind tatsächlich Körper, deren Körperlichkeit in Ansehung einer oder zweier oder (bei den Punkten) sämtlicher Beziehungen unendlich klein ist und eben darum im praktischen Leben wie in der geometrischen Konstruktion sogar verschwindet. Man kann daher zwar rein ideologisch die Annahme von n Dimensionen aufstellen und verwerten, aber es fehlt für diese Idee jede Möglichkeit eines Vorstel

samt verwandter einschlägiger Literatur anderer Autoren a. a. O. S. 452 f. anführt. Vgl. dazu weiterhin v. Cyon, Beiträge zur Physiologie des Raumsinnes, II. Teil, in Pflügers Archiv, Bd. 90, 1902, S. 585–590, und v. Cyon, Beiträge zur Physiologie des Raumsinnes, III. Teil, in Pflügers Archiv, Bd. 94, 1903, S. 139–249 und die Literaturangaben daselbst S. 249 f, sowie die bei Landois, Lehrbuch der Physiologie des Menschen, 10. Aufl., Berlin 1900, S. 794 gegebene Darstellung der Ansichten von Mach (,,Sinneswerkzeug' für die Wahrnehmung der Kopfbewegung“), Goltz, R. Ewald, Matte (daß die Bogengänge gewissermaßen als ein,statistisches Sinnesorgan' für das Gleichgewichtsgefühl funktionieren“) und Breuer (, daß das Labyrinth für die Orientierung im Raum bestimmt sei"). In der weiteren Abhandlung „Nochmals die Physiologie des Raumsinns", Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie, Bd. 96, Bonn 1903, S. 486-497 gibt v. Cyon den experimentellen Nachweis, daß durch die Zerstörung der drei Bogengangpaare des Ohrlabyrinths der volle Verlust der Orientierungsfähigkeit im äußeren Raume eintritt.

Zweifellos steht physiologisch fest, daß nach Zerschneiden der Bogengänge des Labyrinthes sehr prägnante Gleichgewichtsstörungen“ auftreten. (Landois, Lehrbuch der Physiologie des Menschen, 10. Aufl., S. 793; vgl. auch v. Bunge, Lehrbuch der Physiologie des Menschen, I. Bd., Leipzig 1901, S. 46-48, insbesondere über die Beobachtungen von Flourens und Ewald.)

Mir scheint indes, daß diese physiologischen Feststellungen mit dem Erkenntnisprobleme des Raumes nichts zu schaffen haben, indem jene nur Störungen des praktischen Orientierungsvermögens (wie sie etwa auch der Schwindel verursacht) betreffen.

lungssubstrates, und die Idee selbst nähert sich bedenklich der bloßen Phantasie. Die Idee einer Mehrheit von Dimensionen über die Drei hinaus wäre daher vielleicht nie aufgetaucht, wenn man die Lehre der Dreidimensionalität schon früher erkenntniskritisch beleuchtet und ihre sinnlich-empirische Basis, ohne die sie jede reale Bedeutung verliert, genügend beachtet hätte.

Daß endlich die Maßbegriffe empirischen Ursprungs sind, wird durch den Hinweis auf die Bezeichnungen der ältesten Maße erhärtet. Bei den vedischen Ariern finden sich nur die Maße: angula (im Rigveda) im Worte daçāngulam, vyāma, Klafter, Maß der ausgespannten Arme; tausend aufeinanderstehende Kühe als Entfernung des Himmels (Firmaments) von der Erde 23).

Die Maßbezeichnungen im germanischen Rechte weisen gleichfalls auf empirischen Ursprung 24).

Auch der „Winkel" als mathematisches Messwerkzeug weist auf empirischen Ursprung zurück, wie schon der Name der Winkellinien als oxelos bei den Griechen, crus bei den Römern, Schenkel im Deutschen, leg bei den Engländern, jambe bei den Franzosen, bâhu = Arm bei den Indern, kouh Hüfte bei den Chinesen, und die Verwandtschaft von yovos, Winkel mit yóvv, Knie ergeben 25)26).

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§ 11. Die Zeit (Zeitpunkt und Zeitdauer; Zeitfolge).

Die alte Sprache scheidet scharf zwischen Zeitpunkt und Zeitdauer. Der Ausdruck ,Zeit" bedeutet in der alten Sprache den „Zeit23) Zimmer S. 348.

24) Vgl. Jakob Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer, 4. Ausg., Bd, I, S. 77—153; insbesondere: Wurf S. 78-96; Berührung (nicht näher, als man mit einem Bogen oder Fausthammer mit der Hand reichen konnte, S. 96) S. 96-104; Schein (nach dem Schimmer fernleuchtender Gegenstände) S. 104-106; Schall S. 106-111; Joch (durchschlüpfende Tiere) S. 129 f.; Berechnung nach Gliedmaßen S. 137-143; Wegbreite S. 143 f.; Bd. II, S. 65-68 über Immobilienvermessung; s. auch Bd. II, S. 236. Die Menschheit ist zu den Maßbestimmungen und Meßwerkzeugen genau so auf empirischem Wege, unter Benützung vorgefundener empirischer Verhältnisse gelangt, wie zu ihren ersten Werkzeugen. S. zu diesem letzten Punkte Johannes Ranke, Der Mensch, II. Bd., Die heutigen und die vorgeschichtlichen Menschenrassen, 2. Aufl., Leipzig und Wien 1894, S. 421, 423, 449, 458, 469, 518.

25) M. Cantor, Vorlesungen über Geschichte der Mathematik, I. Bd., 2. Aufl., Leipzig 1894, S. 15.

26) L. Geiger, Ursprung und Entwicklung der menschlichen Sprache und Vernunft, II. Bd., Stuttgart 1872, S. 16 verweist darauf, daß manche Gefäßnamen sich in allen Sprachen so mit den Begriffen der hohlen Hand berühren, daß es naheliegt, diese als ihr Vorbild aufzufassen. So zoruln bei Homer Hüftpfanne und Becher, bei anderen Schriftstellern auch hohle Hand, hohler Fuß und ein gewisses Maß.

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teil", den „Zeitpunkt", während die Zeitdauer" als „Weile" benannt wird, woraus sich die Bedeutung der „Zeitfolge" entwickelt1).

Zeit führt auf die Wurzelsilbe tî- des germ. tî- di- „Zeit“ zurück 2) und erscheint in des Ulfilas Bibelübersetzung als theihs. Aus diesem Worte schließt Jakob Grimm ) auf das Wurzelwort theihan

crescere, proficere, sodaß Zeit = „Zeitpunkt" oder „Zeitteil" die zeitliche Veränderung, den zeitlichen Wechsel, das Nichtbeharrende bezeichnet. Dies wird durch das Gegensatzwort skr. a-diti zeitlos, unendlich, Name der Göttin Aditi 4) =,dem Wechsel nicht unterworfen", bestätigt.

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χρόνος

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Hingegen ist weile got. hveila xoóvos im Sinne von oa 5), ahd. hrvîla, die Zeit als ruhende, Zeitabschnitt von einer bestimmten, ruhigen Dauer = quies ), und ist im Sinne verwandt mit ahd. bleiben goth. bileiban, ahd. pilîpan, biliban, mhd. belîben. Die Wurzel des Wortes lib hat die Bedeutung des Harrens jedenfalls aus der sinnlichen des Klebens herausgebildet und durch be- verstärkt, urverwandt scheint griech. Aínos Fett, Schmalz, lipáô bin fett, klebrig, das in liparéô auch in den Begriff des Beharrens übergeht. “7)

Demnach erweist die etymologische Betrachtung mit größter Deutlichkeit die empirisch-sinnliche Entstehung der Zeitvorstellung. Nicht minder beim Zeitpunkte. Bekanntlich ist die älteste Zeitrechnung nicht jene nach Tagen, sondern nach Nächten. Begreiflich genug, wenn man bedenkt, daß dem Naturmenschen die Nacht nicht primär die Ruhezeit, sondern die Zeit der Gefahren und Schrecknisse bedeuten mußte, die Zeit, wo Wölfe und anderes tierisches Raubgesindel sich in die Nähe der menschlichen Behausung wagten, wo Sümpfe ihr tödliches Gift mit größter Intensität aushauchten, wo der Mensch nur ein engstes Gesichtsfeld zu überschauen und daher nicht schon auf die Entfernung sich vor Gefahr zu schützen vermochte 8). Als Beleuchtungs- und insoferne Schutzmittel, das ein Heranschleichen des Wolfs zu erkennen ermöglicht, bleibt der Mond - der stets wachsende und vergehende. So bilden sich am Monde die sinnlichen

1) Heyne, Deutsches Wörterbuch, III. Bd., Leipzig 1895, S. 1429.

2) Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 5. Aufl., 1894, S. 415. 3) Deutsche Mythologie, Göttingen 1835, S. 457.

4) Kluge a. a. O.

5) Grimm a. a. O.

6) Schade, Altdeutsches Wörterbuch, 2. Aufl., Halle 1872-1882, I. Teil, S. 439 f. 7) Heyne, Deutsches Wörterbuch, Bd. I, 1900, S. 448 f.

*) Die vedischen Arier haben deshalb auch ein spezielles Gebet um Schutz gegen die Gefahren der Nacht. Vgl. Zimmer, Altindisches Leben S. 179 f.

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Vorstellungen des Wachsens" der Zeit, wird der Mond zum Zeitmesser 9).

Demzufolge wurde dann die ganze Zeitrechnung der späteren höheren Kulturstufe durch das wechselnde Zeitmoment in Beobachtung des Mondes festgestellt: Ein Halbmonat von Neumondsnacht bis Vollmondsnacht oder umgekehrt hieß bei den vedischen Ariern pañcadaça (= franz. quinze jours), die Teilung der Monatshälften, zu welcher man ebenfalls durch das Zu- und Abnehmen des Mondes geführt wurde, ergab die Wochen; die Vereinigung zweier Halbmonate, die Zeit von Neumond bis zum nächsten Neumond bildete den Monat (mās, māsa) 10).

Schon in ältester Zeit hatte man eine Grund-Zeiteinteilung, welche aus den klimatischen Verhältnissen, mithin auch aus der empirischen Beobachtung herausgewachsen war: Kalte Jahreszeit, Winter (hima) und warme Jahreszeit, Sommer (samā) 11).

Die empirisch-sinnliche Entstehung der Zeitvorstellung ist auch durch Beobachtung von Kindern im 3. Lebensjahre bestätigt worden. Diesen fehlt der Zeitbegriff völlig und nur konkret sinnfällige Folgeerscheinungen kommen ihnen als Vorstellungen und selbst da nur mangelhaft zum Bewußtsein. Die den Zeitbegriff voraussetzenden Worte Vormittag und Nachmittag, Morgen und Abend, gestern, heute und morgen werden nur sinnlos nachgeplaudert 12).

Wie stark die Zeiturteile an sinnlich grob auffallende, stark einschneidende Ereignisse namentlich bei Menschen, deren Leben. im allgemeinen einförmig dahinrauscht — gebunden sind, kann man auch bei der zeugschaftlichen Vernehmung von Bauern, ländlichen Arbeitern, Knechten, Mägden beobachten. Wenn etwa in einem Alimentationsprozesse der Zeitpunkt der ersten Begattung festgestellt werden soll, oder bei einer Testamentsanfechtung der Geisteszustand des Testators in Frage steht etc., wird man regelmäßig verlässige

9) Schrader, Sprachvergleichung und Urgeschichte S. 445-450.
10) Zimmer, Altindisches Leben S. 364 f.

11) Zimmer a. a. O. S. 371.

12) Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. II, Zur Sprachwissenschaft, Stuttgart 1901, S. 423. Taine berichtet von einem Mädchen im Alter von 3 Jahren 1 Monat, für das wohl das Früher und Später existierte, aber ohne schärfere, genauere Fixierung: „Gestern heißt für sie in der Vergangenheit und morgen in der Zukunft; keines von diesen Worten bedeutet in ihrem Geiste einen bestimmten Tag in Bezug auf den heutigen, den vorhergehenden oder den folgenden." (Taine, Der Verstand, nach der 3. französ. Ausgabe übers. von Siegfried, I. Bd., Bonn 1880, S. 294.)

Zeitangaben nur durch die Frage: War es vor oder nach der Kirchweih, der Grummeternte etc.?, herbeiführen können. Diese sinnlich stark in die Erscheinung tretenden Ereignisse haften im Gedächtnis als Zeitintervalle, und sie fast ausschließlich.

Erst nachdem Zeitpunkt und Zeitweile empirisch festgestellt waren und festhafteten, konnte die Zeit folge ins Bewußtsein der beobachtenden Subjekte treten. Erst in diesem Momente war die psychologische Möglichkeit für das Urteil: A ist zeitlich vor oder nach B, gegeben. Dieses scheinbar so einfache zeitliche Relationsurteil erweist sich somit als etwas recht Kompliziertes, das eine relativ hohe Halbkulturstufe zur Voraussetzung hat: Da müssen Einheiten (A, B), Raumvorstellungen apperzipiert, das Gedächtnis bis zu einer gewissen Stufe entwickelt, die Vorstellungen von Zeitwechsel und Zeitdauer gefestigt sein, ehe das Zeitfolge-Urteil erwachsen kann. Aus dieser Kompliziertheit des hier in Tätigkeit tretenden psychologischen Prozesses und aus der langen Dauer der zuvor notwendigen Kulturentwickelung kann man entnehmen, was es mit der Kantschen Ansicht über die Apriorität der Zeit für eine Bewandtnis hat! Diese Ansicht ist nichts als eine höchst geistvolle philosophische Spekulation, die nicht auf dem realen Boden der Tatsachen steht, sondern ins Gebiet der Phantasie zu verweisen ist. Erst nachdem das höchste Zeitvorstellungsurteil, das konkrete Urteil über zeitliche Folge gebildet ist, entsteht die psychologische Möglichkeit für das Erwachen der Zeitidee.

Die Zeit erweist sich ebenso wie der Raum erkenntniskritisch als Duplizität, auflösbar in Zeitvorstellung und Zeitidee. Die Zeitvorstellung enthält das konkrete zeitliche Bestimmungsurteil, die zeitliche Relation zwischen mehreren zeitlich betrachteten Objekten; die Zeitidee ist der abstrakte, generelle Begriff über zeitliche Verhältnisse.

Während aber der Raum eine dreifache Bestimmungsmöglichkeit in sich schließt und erfordert, gibt es in der Zeit nur eine zweifache Bestimmungsart: den Zeitpunkt und die Zeitdauer, wogegen ein zeitliches Korrelat zur räumlichen Fläche und zum räumlichen Körper fehlt. In der Betrachtung der Raumverhältnisse haben wir darauf verwiesen, daß Punkt, Linie und Fläche sich in ihren Bestimmungsverhältnissen auf die Körperwelt zurückführen lassen, indem die Fläche ein Körper ist, dessen eine Ausdehnungsrichtung unendlich klein ist, die Linie ein Körper von zweifach unendlich kleiner Dimension, der Punkt ein schlechthin infinitesimal kleiner Körper.

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