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denken können. Die entgegengesetzte erkenntnistheoretische Ansicht Kants und Schopenhauers über die Apriorität des Kausalurteils: Nichts geschieht ohne zureichenden Grund," erscheint, wenn man die Entwickelungsgeschichte ins Auge faßt, durchaus haltlos. Man bedenke, daß es für den Naturmenschen ganz außer dem Bereiche seiner Denk- und Urteilssphäre lag, sich eine Ansicht über Kausalitätsvorgänge jenseits seines Handels, hinausreichend über seine Interessen, generell, abstrakt zu bilden. Erst auf dem langen und langsamen Wege der Analogie, einer Kette von über den Interessenkreis hoch sich erhebender - Induktionsschlüssen, konnte die Menschheit bei weit höherer Kulturstufe (als die Vernunft bereits zur Ausbildung gelangt war) sich zu dem Gedanken eines allgemeingültigen Kausalgesetzes erheben.

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Daß auch die Kausalität zunächst als Vorstellungsurteil erwachsen ist, ergibt sich ferner daraus, daß die Sprache ihre Kausalbezeichnungen durchaus plastisch-sinnlich-realistisch gewählt hat. Die causa ist:

entweder a) der Grund, also die Grundlage, von der etwas getragen wird, auf der etwas ruht: die Erdfläche als Unterlage für Gewächse und Gebäude, für Menschen und Tiere; der Meergrund als feste Unterlage für das Wasser; das Fundament 2) 3). Erst hieraus entwickelt sich weiterhin die Bedeutung Willensbestimmungsgrund = causa (volendi, agendi), Beweggrund.

oder b) die Ursache = Veranlassung einer Wirkung4), Geschehnisgrund.

oder c) der Urheber, abgeleitet aus dem untergegangenen Substantiv Urhab = mhd. urhap, welches dem Wort erheben entspricht (zu vergleichen anheben) 5) 6)

oder d) der Ursprung

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=

Werkursache.

"Quelle", „Ausgangspunkt eines Ge

Flußentstehungsgrund.

Diese vier Kausalbezeichnungen stimmen darin überein, daß sie nach ihrer unmittelbaren sprachlichen Bedeutung kein Kausal

2) Paul, Deutsches Wörtercuch, Halle 1896, S. 192.

3) got. grunduwaddjus

Grundmauer. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der

Deutschen Sprache, 5. Aufl., S. 147.

4) Paul a. a. O. S. 494.

5) Paul S. 494.

6) Das Wort Urhap findet sich noch im deutschen Rechtssprichwort: Web der Urhap ist, der soll bessern." (Graf und Dietherr, Deutsche Rechtssprichwörter, Nördlingen 1864, S. 305, Ziff. 149.)

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verhältnis bezeichnen. Der „Grund" (a) bringt von Haus aus lediglich eine örtliche Relation, das zu unterst Sein, zum Ausdrucke. Die Ursache (b) bezeichnet die Provenienz = Muttersache; das Wohersein. Die Urheberschaft" legt den Beginn der Tätigkeit des Erzeugers fest. Der „Ursprung" bezeichnet jenes Stadium des fließenden, in der Nähe des Entstehungsortes als Gebirgswasser meist springenden Wassers, in welchem es zuerst springt", also nicht das Werden oder Entstehen, sondern den Beginn des Seins des Flusses.

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Das begriffliche essentiale der Kausalität, die Notwendigkeit, die Unausbleiblichkeit der Folge, das Nichtandersseinkönnen, kommt in diesen Bezeichnungen in gar keiner Weise zum Ausdruck. Wäre die Idee der Kausalität im menschlichen Gemüte a priori gelagert gewesen, so hätte die Sprache wohl auch den adäquaten Ausdruck für Kausalitätsverhältnisse von Hause aus gefunden. (Dieses passive Verhalten der Sprache, welche die Notwendigkeit im Verhältnisse von Grund und Folge auszudrücken unterläßt, legt uns wohl zugleich die Frage nahe, ob wir nicht vielleicht heute dem Gedanken der Notwendigkeit" als dem essentiellen Kausalbestandteile eine übertriebene, eine ungerechtferrigte Bedeutung beimessen.) Die Kausalitätsidee lautet in ihrer allgemeinsten Fassung (welche die Frage nach dem Inhalte, nach der Beschaffenheit, der Qualität die Ursache völlig offen läßt): „Nichts geschieht ohne Grund." Somit stellt sich alles, was wir in dieser sinnlich wahrnehmbaren Welt antreffen, als Folge dar. Die Idee der Kausalität schließt daher die Idee der zeitlichen Unendlichkeit begrifflich in sich. Die Idee der Kausalität schließt aber weiterhin, gleichfalls begrifflich, die Idee der Differenzierung und des Ortes in sich. Hieraus ergibt sich, daß zumindest die Ideen der Differenzierung, der Zeit und des Ortes jenseits des Kausalitätsgesetzes stehen, d. h. dem Kausalitätsgesetze gegenüber präexistent sind. Das Kausalitätsgesetz kann daher der Menschheit erst in jenem Zeitpunkte zum Bewußtsein gelangt sein, in welchem die Idee der Zeit bereits festgewurzelt war. Die Zeitidee ist eine Komponente der Kausalidee, mithin ist auch hiedurch erwiesen, daß diese nicht ihrem Ursprung nach a priori sein kann.

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Die kausalen Vorstellungsurteile sind aus dem praktischen Leben und Handeln der Menschen heraus geboren. Die entwickelungsgeschichtlich primäre Fragestellung lautet: Was muß ich tun oder lassen, damit etwas geschehe oder nicht eintrete? Erst von hier ab erweitert sich der Kreis der Fragestellung dahin: Was muß (ganz allgemein, in der Natur) geschehen, damit eine Folge eintrete?

Diesen anthropozentrischen Ausgangspunkt in der Entwickelung des Kausalbegriffes muß man festhalten, um den vielen Irrungen und Wirrungen, die wohl nirgends so häufig als im Kausalprobleme zu Tage treten, nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen 8).

Zum Schlusse seien die Ergebnisse dieses Kapitels gegenüber der Kantschen Erkenntnislehre zusammengefaßt. Es ergeben sich hiebei gegen Kant folgende Antithesen:

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Raum und Zeit bestehen als bloße Vorstellungen und als Ideen. Soweit sie Ideen sind, erheben sie sich zwar über die Erfahrung und kommen nur durch die Mitwirkung der menschlichen Vernunft zustande (wie alle Ideen), sind ideal, die menschliche Vernunft wäre aber nimmermehr zur Idee des Raumes, noch zur Idee der Zeit gelangt, wären nicht millionenfache räumliche und zeitliche Vorstellungen vorhergegangen. Die Duplizität unserer Erkenntnis als bloßer konkreter, sinnlicher Vorstellung und als abstrakter Idee erstreckt sich nicht auf Raum und Zeit allein, sondern ebenso gut auf die Zahl, Farbe etc., kurz auf jede Orientierungserkenntnis.

Die Scheidung der Erkenntnis in a priori, vor aller Erfahrung, und a posteriori, mit Hilfe der Erfahrung statthabende, ist nicht haltbar; insbesondere ist es nicht richtig, daß Raum und Zeit Erkenntnisse a priori seien. Ebenso ist unrichtig, daß Raum- und Zeiturteile allen anderen vorhergehen, im Gegenteile ihre Entstehung ist durch die Existenz anderweiter (sinnlicher) Wahrnehmung und Erkenntnis bedingt. Die geometrischen Axiome sind nicht a priori gebildet, sondern durch Erfahrung vermittelt; so weit dies nicht der Fall ist, enthalten sie nicht synthetische, sondern rein. analytische Urteile. Auch die Kausalurteile wurzeln in der Erfahrung und sind als konkrete, kausale Vorstellungsurteile aus der Erfahrung hervorgewachsen 9).

Unrichtig ist ferner das von Kant aufgestellte Verhältnis von Raum und Zeit unter sich: „Der Raum, als die reine Form aller äußeren Anschauung ist als Bedingung a priori bloß auf die äußeren Erscheinungen eingeschränkt. Dagegen ist die Zeit eine Be

dingung a priori von aller Erscheinung überhaupt und zwar die unmittelbare Bedingung der inneren (unserer Seele) und eben dadurch mittelbar auch der äußeren Erscheinungen" 10). Vielmehr sind Zeit und Raum gleichermaßen Alles umspannende Vorstellungen; zudem

8) Siehe §§ 22, 22 a der Abhandlung.

9) Über die Kausalitäts-Idee vgl. des näheren §§ 22, 22a der Abhandlung. 10) Kritik der reinen Vernunft, Kehrbach-Ausgabe S. 61.

wird die zeitliche Vorstellung weit später Objekt der tierisch-menschlichen Erkenntnis, als die örtliche. Und das kausale Vorstellungsurteil folgt dem örtlichen und dem zeitlichen in der Entstehung nach.

Vor allem aber: die Spaltung der Welt in die unserer Erkenntnis allein zugänglichen Welt der Erscheinungen und die uns verschlossene intelligible Welt, jenes Hauptergebnis der Kantschen Erkenntnislehre, entbehrt jeder stichhaltigen Begründung, da die von Kant angeführten Argumente versagen.

Berolzheimer, Kritik des Erkenntnisinhaltes,

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Drittes Kapitel.

Die ideologische Weltbetrachtung.

§ 13. Das Verhältnis der Vorstellungen zu den Begriffen

und Ideen.

Die herrschende Psychologie vertritt allgemein die Ansicht, daß die Begriffe aus den Vorstellungen organisch, evolutionistisch, im Wege einer fortschreitenden Abstraktion herausgewachsen seien.

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Hiebei wird die Entstehung der Eigenschaftsbegriffe (als) der erste, die der Zustandsbegriffs (als) ein zweiter Schritt auf dem Wege der Entwickelung abstrakter Begriffe" 1) angesehen. „Gattungsbegriffe entstehen offenbar dann, wenn sich der nämliche psychische Vorgang, der zur Bildung von Eigenschaftsbegriffen und ihren Benennungen geführt hat, auf die ursprünglichen konkreten Gegenstandsbegriffe selbst überträgt 2). Dieser psychische Prozeß soll im wesentlichen darin bestehen, daß aus einer konkreten Vorstellung ein Merkmal (als das irgendwie wesentlich Erscheinende) herausgegriffen wird und das „in der Apperzeption vorherrschende, nie aber als isoliert benannte " 3) wird, sodaß bei jeder Begriffsbildung ein dominierendes Merkmal in der Vorstellung als das primäre, wesentliche apperzipiert wird, während die übrigen Merkmale akkordähnlich mitklingen 4) 5).

1) Wundt, Völkerpsychologie I, 2 S. 480.

2) Wundt a. a. O. S. 481.

3) Daselbst S. 472.

4) S. 455 ff. Gut zusammengefaßt wird die seit Wundt herrschende Lehre von G. Störring, Zur Lehre von den Allgemeinbegriffen (Philosophische Studien, herausgegeben von Wundt, 20. Bd., Festschrift für Wilhelm Wundt, II. Teil, Leipzig 1902) S. 329. Störing sagt dort:

"...

Wundt hat hervorgehoben, daß bei Gewinnung der gleichen oder ähnlichen Merkmale zusammengehöriger Vorstellungen nicht etwa, wie man gewöhnlich glaubt, Gleichheitsurteile primär in Betracht kommen, sondern Urteile, welche verwandte komplexe Vorstellungsinhalte A1 A2 A3 in ihre Bestandteile zerlegen (Wundt,

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