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Diese konträre Doppelgliedrigkeit der seelischen Wirksamkeit weit entfernt, den einheitlichen Seelenbegriff zur Aufhebung zu bringen — inhärent notwendige Eigenschaft der monistischen Seele, weil sie sich aus dem Gesetze der Differenzierung als Erscheinungs-Charakteristikum ergibt. Die dualistische Basis ist für die einheitliche Seele genau so begründet und notwendig, wie der Dualismus Körper-Geist für die Einheitsrealität „Mensch“. Und wie in der psychischen Persönlichkeit des Oefteren die Zwiespaltigkeit der Seele durch das gleichzeitige Auftreten einander bekämpfender seelischer Aeußerungen in den Vordergrund gelangt, so findet sich auch ein successiver Dualismus in der psychischen Persönlichkeit nicht selten. Wir sprechen dann von einer Umwandelung des Charakters durch die Läuterung, welche die schmerzende Schule des Lebens erzeugt; gegenüber der Einheit der Persönlichkeit tritt hier die Diskontinuität der Persönlichkeit in die Erscheinung. In der Anerkennung dieser Diskontinuität der Persönlichkeit liegt der wesentliche Grund für die gesetzliche Verjährung von Verbrechen, welche sich auf die präsumierte Annahme einer Besserung des nicht rückfälligen Verbrechers stützt und darin ihre Rechtfertigung findet 16). Auch in der Rechtswirksamkeit der Großjährigkeit (überhaupt der Altersstufen in Straf- und Zivilrecht), wie in der Möglichkeit der Entmündigung wegen Geisteskrankheit, Trunksucht oder Verschwendung offenbart sich die rechtliche Anerkennung der Diskontinuität der Persönlichkeit.

Die analoge Erscheinung, wie sie im seelischen Verhalten des Einzelnen zutage tritt, findet sich in den Lebensäußerungen der Volksseele.

Man kann die Annahme einer Volksseele, aus welcher das ohne äußeres Zutun geschehende Erwachsen von Gewohnheitsrecht und Sitte, von Glaube, Sprache und Sittlichkeit resultiert, nicht zurückweisen 17). Aber auch das Walten der Volksseele ist vielfach differenziert und offenbart sich oft als konträrer Dualismus in der Wirksamkeit der sich befehdenden Parteien 18) 19).

16) Diese in meiner Entgeltung im Strafrechte vertretene und dort eingehend begründete Ansicht ist allerdings höchst strittig. Vgl. meine Entgeltung im Strafrechte S. 304-313; 316-327 und die dort angeführte Literatur.

17) Vgl. meine Rechtsphilosophischen Studien S. 40-43; 113-115. Siehe auch Wundt, Völkerpsychologie, I. Bd., 1. Teil, S. 9 f. und oben S. 213.

18) Treffend sagt Richard Schmidt, Allgemeine Staatslehre, 1. Bd., Leipzig 1901, S. 243 f. (Vgl. die näheren Darlegungen daselbst S. 244-246 und S. 246–252): . . . die Parteien sind die staatsbildenden Kräfte des Gesellschaftslebens,

Auch die Welt erscheint zunächst als ein Dualismus sich bekämpfender Mächte, sodak die dualistische Weltanschauung in der Naturbeobachtung zweifellos eine unwiderlegbare Stütze findet. Der Kampf der finsteren Nachtmächte mit den hellen Tagesgeistern, oder des Bösen mit dem Guten als Weltprinzip ist demnach eine Auffassung, welche nicht ohne weiteres als irrig zurückgewiesen werden kann.

Aber diese Auffassung bildet keinen Abschluß; sie ist bloße Vordergrundperspektive; sie bezeichnet den Entwicklungsgang der Dinge, den Kampf, das stete Entstehen und Vergehen, das лáντα ģɛì. Damit ist nur der Wechsel zum Ausdruck gebracht; nicht das Beharrungsmoment im steten Fluß, das Ideologische, das aus den Erscheinungen erschlossen zu werden vermag. Die ideologische Betrachtung erkennt zwar den Dualismus, den sie als äußeres Prinzip der Erscheinungen beobachtet, an, ergibt aber zugleich die höhere monistische Synthese, in welche aller Dualismus schließlich einmündet. insbesondere auch die Kräfte, welche das Staatsrecht ausbilden. . . Das Parteileben (ist) vom Staatsleben unzertrennlich."

19) In der neueren Philosophie versteht man unter Monismus meist die Hypothese der Einheit von Körperlichem und Psychischem, nach welcher mithin alle Körperwelt von einem irgendwie gearteten Psychischem notwendig begleitet sei: Nichts Körperliches ist unbeseelt. (Vgl. hiezu Eucken, Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart, S. 96-114 über Monismus und Dualismus).

Ein Monismus in diesem Sinne läßt sich aber nur dadurch gewinnen, daß man den Begriff des Psychischen so weit erstreckt, daß er bis zur Unkenntlichkeit entstellt wird (die „Psyche“ der anorganischen Substanzen?!). Man erhält hiedurch einen sogenannten Monismus offenbar nur auf Kosten der Wahrheit und der Klarheit. Die Annahme einer „Seele" hat das Vorhandensein von Aktivitätsvermögen zur Voraussetzung. Aktivität kommt aber nur den Organismen zu. (Vgl. meine Rechtsphilosophischen Studien S. 2-9; siehe auch § 22a dieser Abhandlung). Und eben wegen dieser Aktivität bedürfen sie eines (wie immer beschaffenen) Regulators der Aktivität. Diese Regulatoren steigen von der reinen Reflexreaktion zu Instinkt, Gefühl, Verstand, Vernunft. Die anorganischen Substanzen können einen wie immer gearteten Regulator nicht haben; denn hätten sie ihn, so wären sie nicht, was sie sind (sondern mit Aktivität ausgerüstet).

Nur so viel ist zweifellos richtig, daß alle psychischen Vorgänge an Materielles gebunden sind: Nichts Seelisches ist ohne körperliches Substrat.

Viertes Kapitel.
Erkenntniskritische Ursätze.

§ 19. Qualitative Bedeutung quantitativer Unterschiede.

Als erkenntniskritische Ursätze bezeichne ich jene Fundamentalsätze oder beweislose Axiome, die sich aus der Erfahrung, aus der Betrachtung der Geschichte oder der Mitwelt abstrahieren lassen, die einer weiteren Deutung, Beweisführung, Ergründung nicht zugänglich sind, und die zugleich den Schlüssel für die Erklärung zahlreicher anderweit üherhaupt nicht oder nicht erschöpfend beweisfähiger Probleme geben. Es sind nicht logische Kategorien, wie die elementaren Orientierungserkenntnisse, vielmehr sind es metaphysische Gruppierungssätze. Jene ermöglichen die Grundanalysen, diese gewähren philosophische Synthese1).

Es handelt sich hier um ein Gebiet, das bisher von den Philosophen einigermaßen vernachlässigt worden ist, mehr gelegentlich gestreift wurde, nie systematisch durchforscht worden ist. Dieser Umstand wird es rechtfertigen, wenn meine Darstellung hier in erhöhtem Maße ergänzungs- und verbesserungsfähig sein mag, als auf anderen Gebieten. Ich gebe, was ich gefunden zu haben glaube, und werde für belehrende Kritik und bessernde und ergänzende Korrektur hier besonders dankbar sein.

Als bedeutsamster erkenntnis kritischer Ursatz drängt sich mir das Gesetz der qualitativen Färbung quantitativer Unterschiede auf.

Die Zahl der Belege, welche sich aus der Beobachtung unserer Qualitätsurteile für diesen Satz ergeben, ist eine schier endlose.

1) Mit den erkenntniskritischen Ursätzen verhält es sich ähnlich wie mit den chemischen Elementen: Man kann sie nicht auf noch einfachere Grundformen zurückführen, aber man darf den wissenschaftlichen Glauben hegen, daß eine solche Rückführung noch gelingen werde.

Dieses Gesetz tritt in nuce schon in dem, Solon zugeschriebenen Griechenworte undèv ayav zutage und wird auch in der pythagoräischen Zahlenphilosophie (welche Unterschiede, Qualitäten in Zahlen, also in Maßen, in Quantitäten aufzulösen unternimmt) implicite zum Ausdruck gebracht.

Eine ganz exakte, unwiderlegbar in die Augen fallende Gestaltung gewinnt das Gesetz in der chemischen Analyse: Die Gruppierung derselben Elemente in verschieden großer Gruppierungsanzahl ergibt verschieden geartete Stoffe; so ist H20=Wasser, H202=Wasserstoffsuperoxyd, oder CH30H-Metylalkohol, CH3CH20H = Trinkalkohol etc.

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Auch in der Medizin tritt uns das Gesetz vielfach entgegen: Von dem sporadischen Auftreten einer Infektionskrankheit scheidet. sich die Epidemie qualitativ, jedoch charakterisiert ausschließlich quantitativ durch die unverhältnismäßig große Zahl der Erkrankungen; analog dürfen Krankheitsträger in geringer Zahl im menschlichen Körper vorkommen, ohne die Gesundheit zu beeinträchtigen, während erst das massenweise Auftreten etwa von Tuberkelbazillen zur tuberkulösen Erkrankung führt. Ja der Begriff der Krankheit selbst, welcher sich in dem abnormeu Funktionieren irgendwelcher Organe offenbart, ist nur gegeben, wenn die Normabweichung eine (quantitativ) nennenswerte, beträchtliche ist (der zur Konstatierung der Krankheit" erforderliche Grad der Abweichung ist je nach dem Falle verschieden), sodaß auch hier der qualitative Unterschied sich in den quantitativen löst (man denke z. B. an die fieberfreie und die fieberdiagnostizierende Temperaturerhöhung des Körpers). Insbesondere auf dem Gebiete jener psychischen Erkrankungen, welche nicht zugleich von einer pathologischen Veränderung des Gehirns begleitet sind, wie auch bei manchen. Nervenkrankheiten, wirkt das Maß der abnormen Erscheinungen qualitativ bestimmend; man denke z. B. an die gelegentliche Zerstreutheit, Gedächtnisschwäche, Schreckbarkeit, Schwatzhaftigkeit etc. gegenüber jenen Graden, in denen sich bereits die Symptome der Krankheit dokumentieren. Mancher vermeintliche Chikaneur wird vor allem und zuerst an der Unzahl seiner Beschwerden als Querulant erkannt etc. etc.

Auf der Qualitätswirkung der Quantitätsunterschiede beruht in letzter Linie die Scheidung des Normalen vom Abnormen überhaupt. Schon die vedischen Inder haben die Fehler und Körpergebrechen der Mißgestalteten (virūpa) quantitativ ausgedrückt; zu lang (atidirgha),

zu kurz (atihrasva), zu dick (atisthūla), zu dünn (atikṛça), zu weiß (atiçukla), zu schwarz (atikṛshṇa), zu kahl (atikulva), zu haarig (atilomaça) 2). Und genau so sprechen wir heute noch von Riesen und Zwergen etc. So bestimmt sich auch die Annahme einer besonderen Rasse oder Species bei Klassifikationen durch die Größe des Unterschiedes der gesondert klassifizierten Objekte.

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Auch andere Qualitätsunterschiede weisen deutlich auf die quantitative, bezw. zahlenmäßige Basis des Unterschiedes: z. B. die Großstadt die Kleinstadt; das Geheimnis die notorische Tatsache ); Reichtum Armut. Ebenso ist unser Qualitätsurteil quantitativ (zahlenmäßig) beeinflußt, wenn wir von guten Sicherheitszuständen, sauberen Häusern, Flüssen, Straßen, Städten, von einem gesunden Lande etc. sprechen. Wenn wir die guten Sicherheitszustände einer deutschen Stadt und die schlechten am Balkan hervorheben, wollen wir damit nicht zum Ausdruck bringen, daß hier stets, dort nie Leben und Vermögen der Einwohner oder der Reisenden bedroht und gefährdet seien, vielmehr wirkt die Häufigkeit, die Regel der Sicherheit oder Unsicherheit maßgebend für unser Qualitätsurteil4).

Vor allem bedeutsam aber ist das quantitative Qualitätsgesetz bei einer Reihe von ethischen Urteilen und von Erscheinungen der Rechtsgestaltung, die man ohne Kenntnis und Zugrundelegung jenes Gesetzes unmöglich erschöpfend zu lösen oder zu deuten vermag.

So ist weder der gute Mensch ein Engel, noch der schlechte ein Teufel. Die Prädikate gut und schlecht (und böse) sind Übergewichtsurteile. Wer regelmäßig, überwiegend, aus seinem Charakter heraus, Übeltaten verübt, wer zum Schlechten neigt, ist der Böse; in wessen Charakter umgekehrt die Neigung zum Guten do

2) Zimmer, Altindisches Leben S. 428.

3) Eine Tatsache, die den Wenigsten bekannt ist, ist geheim; was die Meisten wissen, ist notorisch.

4) Einen weiteren Fall qualitativer Bedeutung quantitativer Unterschiede, siehe Nietzsche, Der Wille zur Macht, W. W. II. Abt. XV, S. 81 Ziff. 81: „Der Begriff ,starker und schwacher Mensch' reduziert sich darauf, daß im ersten Fall viel Kraft vererbt ist er ist eine Summe: im andern noch wenig (eine unzureichende Vererbung, Zerspitterung des Ererbten). Die Schwäche kann ein Anfangsphänomen sein: noch wenig'; oder ein End-Phänomen: ,nicht mehr."

Siehe ferner Lipps. Vom Fühlen, Wollen und Denken, Leipzig 1902, S. 161 Sind Empfindungsvorgänge reicher differenziert als andere, so ist nicht nur die Lust größer, sondern sie ist auch Lust anderer Art. . .“

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