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des Frühlings, sondern er fährt spurlos dahin wie der Windstofs, der über ein Stoppelfeld streicht.

Zwei Jahre nach dem Erlafs des Schulmemorials folgte Daetrius dem Rufe des Herzogs August als Oberhofprediger, Abt und Konsistorialdirektor nach Wolfenbüttel. Noch kein volles Jahrzehnt hatte er dort gewirkt, als die stolze Hansastadt durch eine Belagerung gezwungen wurde ihre so lange Zeit aufrecht erhaltene Unabhängigkeit aufzugeben und wie die kleinen landsässigen Städte des Fürstentums sich demütig unter die Oberhoheit der Herzöge zu beugen. Als Herzog Rudolf August am 16. Juni 1671 auf dem Altstadt-Rathause die Huldigung der Bürgerschaft entgegennahm1, wurde mit der politischen Freiheit der Stadt zugleich auch die Selbständigkeit des städtischen Schulregiments ins Grab gelegt.

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Von der Unterwerfung der Stadt (1671) bis zur westfälischen Fremdherrschaft

Bei der Rückkehr der Stadt unter das landesherrliche Regiment wurden die geistlichen Angelegenheiten und in ihrem Gefolge die Schulen zunächst unter das Fürstliche Konsistorium zu Wolfenbüttel gestellt, und trotz ihres Protestes mufsten Ratskollegium und Stadtgeistlichkeit es sich gefallen lassen, dafs der Generalschulinspektor des Landes die Lateinschulen seiner Visitation unterzog3. Im Jahre 1682 übernahm dann eine neu errichtete herzogliche Behörde, das Geistliche Gericht, unter der obersten Aufsicht des Konsistoriums mit der Leitung der kirchlichen Verhältnisse zugleich auch die Verwaltung des Schulwesens. Dasselbe bestand aus einem der Bürgermeister als Direktor, dem Stadtsuperintendenten, dem Senior des geistlichen Ministeriums und einem Mitgliede des Magistrats als Beisitzern. Seine Befugnisse wurden nie scharf und gründlich bestimmt,

1 Die Bedingungen der Unterwerfung bei Rehtmeyer, Chronik III, 1512.

2 Ribbentrop, Stadt Braunschweig I. Einleitung, S. CLXXX.

3 Akten des Braunschweiger Stadtarchivs.

4 Ribbentrop, Stadt Braunschweig II, 105.

und fortwährende Streitigkeiten über die Grenzen seiner Rechte und Pflichten hinderten den Erfolg seines Wirkens, nicht zum wenigsten auf dem Gebiete der Jugendbildung1. Erst die französisch-westfälische Fremdherrschaft (1806-1813) machte dem geistlichen Gericht ein Ende 2. Aus der ganzen Zeit seines Bestehens wird auch nicht ein einziger Fall bekannt, in dem dasselbe aus eigenem Antriebe auf die Hebung der ihr anvertrauten Anstalten ernstlich Bedacht genommen hätte.

Gleichwohl war es ein Gewinn, dafs die Verwaltung des Schulwesens den altersschwachen Händen der früheren Weichbildsmagistrate entnommen und unter den Einfluss der fürstlichen Regierung gestellt ward. Verhielt auch die nächste Instanz sich lau und unthätig, so waren doch die darüber stehenden Behörden, wenigstens zuzeiten, von einem lebhaften Interesse für die Hebung der Bildungsanstalten erfüllt, und in einzelnen Fällen erhielten die Bestrebungen derselben durch die persönliche Teilnahme der Landesherren einen ganz besonderen Nachdruck und Aufschwung.

Die erste Frucht der neuen Verwaltung war die Begründung einer Anstalt für die armen und verlassenen Waisenkinder. Grofs ist der Segen, den dieselbe bis auf unsere Tage herunter in weiten Kreisen verbreitet hat.

In der That war es um die ärmsten unter den Armen übel genug bestellt. Von seiten des Gemeinwesens war bislang so gut wie nichts geschehen, um ihr Elend zu lindern. Ein Haus, worin man sie verpflegte, eine Schule, worin man sie unterrichtete, war nicht vorhanden. Bettelnd zogen sie von Thür zu Thür und fristeten von den gespendeten Almosen ein kümmerliches Dasein. Zu der leiblichen Not gesellte sich sittliche Verwahrlosung; nur zu oft wuchsen die sich selbst überlassenen Knaben und Mädchen zu unnützen und lasterhaften, nicht selten auch zu gefahrbringenden Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft heran. »Es finden sich«<, so wird berichtet, »unter denen vielen Bettlern arme Weysen und gantz verlaszene unschüldige Kinder, welche bey solcher Betteley übel erzogen werden und in Müfsiggang, Sünden und Lastern aufwachsen, dafs, wo sie nicht durch Gottes sonderbahre Gnade und Schickung

1 Bode, Stadtverwaltung III, 41.

2 Schröder-Assmann, Stadt Braunschweig I, 173.

hernach, wenn sie zu Jahren kommen, den Bettelstab fahren lassen und sich zu ehrlichen Handthierungen und Diensten begeben, sie zuletzt dem Nachrichter in die Hände gerahten oder doch sonsten ihres gottlosen Lebens halber ein böses Ende nehmen«<1.

Auch an erwachsenen Bettlern und an landstreichendem Gesindel fehlte es nicht. »Absonderlich in dieser Stadt«, so heifst es in demselben Berichte 2, »ist das Betlen auf den Gassen und vor den Thüren dergestalt häufig eingerissen, dafs alle bisher dagegen gebrauchten Mittel nicht bastant gewesen solchem Übel abzuhelfen, und es fast dahin kommen, dass man vor denen Bettlern, so wohl frembden als einheimischen, auf den Gafsen nicht mehr mit Frieden gehen oder stehen, noch in den Häusern das seinige ruhig und ohn derselben ungestümes Anlauffen verrichten kan, so gar, dafs auch durch das frembde Bettelvolk bisweilen allerhandt böse Krankheiten in die Stadt gebracht oder sonst gefährliche Bubenstücke verübet und grofser Schade und Unheil angerichtet wirdt«.

Solchen Zuständen gegenüber war die bisherige Praxis machtlos. Die Almosen, welche von der Kirche und von Privatleuten gespendet wurden, machten das Übel nur schlimmer, und es half wenig, wenn der Bettelvogt die verkommenen Landstreicher auf einige Tage ins Gefängnis warf oder zum Thore hinauswies. Man entschlofs sich daher, um dem sozialen Schaden wirksamer entgegenzutreten, das gesamte Bettelvolk in einer gemeinsamen Anstalt unterzubringen und es dort unter einer festen Zucht und Ordnung zur Arbeit und Gottesfurcht anzuhalten. Zu diesem Zwecke baute man 1676-1678 das reich begüterte Hospital der Jungfrau Maria3 zu einem »Armen-, Waisen-, Zucht- und Werkhause« um und sammelte darin alles, was durch Arbeitsunfähigkeit und Gebrechlichkeit, namentlich aber durch Arbeitsscheu und Hang zur Landstreicherei dem Gemeinwesen lästig oder gefährlich wurde. Auch Geistesschwache und Irrsinnige, wenn die eigene Familie für sie nicht zureichend zu sorgen vermochte,

1

Ordnung des Armen-, Waisen-, Zucht- und Werkhauses von 1677, Bl. 2. 2 Ebendaselbst Bl. 1.

3 Das Hospital Beatae Mariae Virginis wurde 1245 auf einer von zwei Okerarmen umflossenen Insel auf der Grenze der Altstadt und der Altenwik gegründet und von Herzog Otto I mit Privilegien ausgestattet. Näheres bei Dürre, Stadt Braunschweig S. 580 ff.

fanden darin Unterkunft. Neben dieser Gesellschaft wurde auch den Waisenkindern eine Heimstätte bereitet.

Für unser Gefühl ist es befremdlich, dafs man kein Bedenken trug das Waisenhaus mit dem Zucht- und Werkhause, wenn nicht unter einem Dache, so doch auf demselben Grundstück zu vereinigen. Auf den ersten Blick ist man zu der Annahme geneigt, dafs die bedenkliche Verbindung der leicht verführbaren Kinder mit denen, die zum grofsen Teil sittlich tief gesunken waren, nur durch den Druck der Verhältnisse veranlafst sein könne. Aber das 17. Jahrhundert liefs sich in dieser Hinsicht von anderen Gesichtspunkten bestimmen. Während unsere Zeit in den Waisenkindern vorwiegend einen Gegenstand des Mitleids erblickt, führten die thatsächlichen Zustände vor 200 Jahren von selbst darauf, dieselben von vornherein als verwahrloste und verkommene Glieder der menschlichen Gesellschaft, die für sie errichteten Anstalten aber an erster Stelle als Besserungshäuser zu betrachten. Nur so erklärt es sich, dafs auch an anderen Orten diese auf keinen Fall segensreiche Verbindung getroffen werden konnte. Der fromme Herzog Ernst von Gotha beabsichtigte gleich nach dem westfälischen Frieden ein »Zucht- und Waisenhaus« zu begründen und wurde nur durch Geldmangel an der Durchführung dieses Planes verhindert; in Frankfurt a. M. wurde 1675 ein »>Armen-, Waisen- und Arbeitshaus« errichtet, das neben den Waisenkindern u. a. auch Sträflinge und Blödsinnige aufnahm, und die Insassen des 1686 gestifteten Waisenhauses der Residenzstadt Dresden bildeten gleichfalls eine aus Verbrechern und Kindern gemischte Gesellschaft1.

Aufnahme in das Waisenhaus fanden nach den Statuten »zuvorderst hiesiger Bürger und Inwohner elterlofse oder von denen verlafsene arme Kinder, sowohl Knaben als Mägdtlein, unter vierzehn Jahren, hernach auch dergleichen inländische Kinder, nach Befindung auch wohl frembde, wie auch Fündtlinge und aufser der Ehe erzeugete arme Kinder<2. Wie hoch die Zahl derselben sich belaufen durfte, wird in den alten Statuten nicht bestimmt. Wahrscheinlich richtete man sich nach dem Bedürfnis und nach den Mitteln des Hauses3. 1 Vergl. Kaemmel in dem Art. »Waisenhaus<< in Schmids Pädag. Encyklop. X, 234.

2 Ordnung des Armen-, Waisen-, Zucht- und Werkhauses Bl. 12.

3 Jetzt werden in dem Waisenhause B. M. V. 172 arme Waisen (120 Knaben und 52 Mädchen) im Alter von 7 Jahren bis zur Konfirmation unentgeltlich unterrichtet

Abgesehen von der bedenklichen Nähe der Züchtlinge und Blödsinnigen war für die Waisenkinder in der neuen Anstalt, soweit es die unter 32 mitgeteilten Abschnitte aus der Ordnung derselben (S. 189 ff.) erkennen lassen, den Verhältnissen gemäfs wohl gesorgt. Die Kleidung war bescheiden, aber reinlich und haltbar, die Speisung einfach, aber ausreichend und jedenfalls besser als sie armen Kindern im Elternhause zu teil wurde. Die ganze Hausordnung war streng und von dem Geiste einer ernsten Religiosität durchzogen. Von besonderer Wichtigkeit aber war, dafs man eine eigene Schule für die Waisen errichtete, in der neben der Religion Lesen, Schreiben und Rechnen betrieben, den Mädchen aber auch Anweisung zum Spinnen, Nähen und anderen weiblichen Handarbeiten erteilt

wurde.

Wie für die Waisenkinder, so trat auch bald für die Nachkommenschaft der Garnison, die seit 1671 der Stadt zugewiesen war, eine besondere Schule ins Leben. Ihre erste Spur macht sich 1713 bei der Begründung der Garnisongemeinde bemerkbar, und es ist kennzeichnend für die Verhältnisse der Zeit, dafs gerade die Lehrer an den Lateinschulen, um nicht die Soldatenjungen für ihre Kurrendenklassen und damit einen Teil ihrer Einnahmen zu verlieren, gegen die Errichtung einer derartigen Anstalt Beschwerde erhoben1. Diese aber war notwendig genug. Die Besatzung, welche 1671 nach Braunschweig verlegt wurde, betrug 6500 Mann, und in ihrem Nachtrabe befanden sich 911 Soldatenkinder, von denen aber wohl ein guter Teil noch nicht schulfähig oder nicht mehr schulpflichtig war3. Die Unterrichtsgegenstände der Garnisonschule waren dieselben, wie sie mit den Waisenkindern betrieben wurden.

Auch für die Lateinschulen blieb der Wechsel der städtischen

und verpflegt. Bei der alljährlich zu Ostern stattfindenden Aufnahme sind vier nicht der Stadt Braunschweig angehörige Waisenkinder zu berücksichtigen. Vergl. Die Stadt Braunschweig im Jahre 1880. Verwaltungsbericht des Stadtmagistrats.<< S. 45.

1 >Copey des hochfürstl. Decrets, wie es mit den Soldatenkindern wegen des Schulegehens soll gehalten werden« d. d. 30. Aug. 1713, handschriftlich vorh. in einem in der Bibliothek des Martino-Katharineums befindlichen Quartbande »Monumenta scholae Catharinianae ab anno 1700 consignari coepta«.

2 Ribbentrop, Stadt Braunschweig I, 232.

3 Sack, Schulen S. 51 mit Bezugnahme auf das Archiv für Niedersachsen, 1848, S. 310.

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