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Kapitel III.

Theorie und Praxis der neutestamentlichen

Textkritik.

Eine Theorie der nt.lichen Textkritik giebt es im Grund genommen nicht. Aufgabe und Methode der Textkritik ist bei allen Schriftwerken dieselbe. Die Aufgabe ist, das herzustellen, was der erste Verfasser seinen Lesern mitteilen wollte, und der Weg dazu ist einfach der, die Geschichte des in Untersuchung stehenden Schriftwerks bis auf seinen Anfang zurückzuverfolgen, falls und soweit es mit den zur Verfügung stehenden Mitteln geht. Nur dadurch dass die Geschichte eines Litteraturwerks mannigfaltiger und wechselreicher war als die eines andern, für das eine uns mehr Hilfsmittel zu Gebot stehen als für das andre, kommt eine Verschiedenheit der Behandlung herein.

Sehr einfach gestaltet sich die Aufgabe, wenn nur ein einziges völlig isoliertes Dokument zur Verfügung steht, wie bei manchen der neuen Papyrusfunde; doch wird dieser Fall bei litterarischen Texten selten sein. Hier handelt es sich nur darum, den vorhandenen Text richtig zu lesen, und dann durch Innere Kritik. die sogenannte innere Kritik zu entscheiden, ob der so erhaltene Text richtig sein kann. Stehen mehrere Zeugen zu Gebot, so wird man bei deren Abwägung und Beurteilung die sogenannte innere Kritik auch nicht ganz entbehren können; aber schlimm wäre es, wenn man auf ein so subjektives Kriterium allein angewiesen wäre. Nicht bloss verschiedene Gelehrte werden in solchem Fall sehr verschieden urteilen, selbst ein und derselbe Gelehrte käme über ein unsicheres Schwanken in den meisten Fällen nicht hinaus. Der Grundsatz lectio difficilior placet oder wie ihn Bengel (s. S. 19) richtiger und vorsichtiger

formulierte: scriptioni proclivi praestat ardua ist ja vollkommen richtig: diejenige Lesart, aus welcher sich die Entstehung einer andern oder mehrerer anderer am leichtesten erklären lässt, ist die richtige, ursprüngliche: in wie wenig Fällen lässt sich das aber zweifellos darthun. Ein Beispiel:

Wie schliesst a und damit das NT.? Von den Zusätzen, Schluss der wie »Amen<< oder »Amen, Amen«<, auch von der Verschiedenheit Apokalypse. ob es heisst »die Gnade des Herrn Jesus« oder »unseres Herrn Jesus« oder »des Herrn Jesus Christus« oder nur »des Christus<<

sei ganz abgesehen. Folgende Formen liegen vor:

1) μετὰ πάντων ὑμῶν. 2) μετὰ πάντων ἡμῶν. 3) μετὰ
πάντων τῶν ἁγίων. 4) μετὰ πάντων. 5) μετὰ τῶν

ἁγίων.

Wer will ohne äussere Zeugnisse entscheiden, was die richtige Form sei? Selbst wenn man weiss, dass und warum die 2 ersten Formen nicht in Betracht kommen können, fällt aus innern Gründen allein die Wahl zwischen den drei andern schwer. Für 4 entschied Lachmann, der 5 noch nicht kannte, entscheidet aber ebenso noch Tischendorf, v. Weizsäcker, Weiss, letzterer mit der Begründung, 5 (tav åyiwv) sei eine Erläuterung des scheinbar zu allgemeinen závτov in 4 und sei dann in 3 mit dem richtigen verbunden. Umgekehrt zogen Tregelles, Westcott-Hort 5 vor, ohne 4 auch nur am Rand zu erwähnen. Bousset, der neuste Erklärer von a hält 3 für das richtige und meint, 4 und 5 seien »beides wohl Schreibversehen<<. Wie ist zu entscheiden? Es liegt auf der Hand, dass man mit gleichem, ja mit grösserem Recht als Weiss sagen kann, statt des beschränkenden und etwas auffallenden »mit den Heiligen« habe ein späterer Leser die a und damit das NT. mit einem möglichst umfassenden Segenswunsch schliessen wollen und darum geschrieben »die Gnade sei mit allen«. Dass die dritte Fassung »mit allen Heiligen« nicht in Betracht komme, erklärte ich in der ersten Auflage für sicher, ohne zu beachten dass noch Bousset sie vertritt. Aber nicht desswegen »>weil diese Fassung sich als Combination der beiden andern ergiebt oder weil ihre Vertreter jünger sind, sondern weil sich nachweisen lasse, dass die Vertreter derselben auch sonst einen korrigierten Text befolgen, und schloss mit

Subjektivität.

der Bemerkung, dass auch die Entscheidung zwischen 4 und 5 nicht lediglich von inneren Kriterien abhängig gemacht werden könne, sondern von der Entscheidung über das allgemeine Verhältnis der Zeugen abhänge, die sie vertreten, in diesem Fall der Codices A für 4, & für 5.

1) Nur anmerkungsweise soll gesagt werden, dass die 1) Form >>mit euch allen« nachweislich von Erasmus ohne alle griechische Bezeugung aus seiner lateinischen Bibel ins Griechische übersetzt. wurde, trotzdem aber von der englischen Bibelgesellschaft mit dem textus receptus noch heute griechisch verbreitet wird, und in Luthers. deutscher Bibel auch bei der letzten Revision unbeanstandet blieb. Die Revision der englischen Uebersetzung, die gleichfalls so hatte, entschied sich für 5 (with the saints) fügt aber auf dem Rande die Bemerkung über 4 hinzu: 2 alte Autoritäten lesen »mit allen<«<.

Die 2. Form »mit uns allen ist eine eben so willkürliche Aenderung in der von Melanchthon besorgten Herwag'schen Bibel von 1545. Die 3. »mit allen Heiligen« hatte die Editio princeps des NT.s, die Complutensis, mit Q, über 40 Minuskeln, dem Syrer, Kopten, Armenier. 4) »mit allen« hat A, und von lateinischen Hdss. der Amiatinus. 5) »mit den Heiligen« hat und der Altlateiner g. Durch die von Gwynn 1897 herausgegebene syrische Uebersetzung der a scheint noch eine sechste Variante hinzugekommen zu sein und wird von Baljon (s. S. 25), der sich selbst für 5 entscheidet, so aufgeführt »μɛrα navτwv Twv αyiwv avtov« syr gwynn. Aber das Pronomen, das im Syrischen durch ein blosses Suffix bezeichnet wird, dient da und dort nur zur Wiedergabe des bestimmten griechischen Artikels, und so werden wir in dem neuen Syrer nicht eine sechste, sondern nur einen weitern Vertreter der dritten Variante erhalten. Dagegen erwähnt Gwynn die von Tischendorf u. Weiss gar nicht erwogene Weglassung des ganzen Verses bei Primasius und führt endlich an, dass ein Vulgatacodex (armachanus) »cum omnibus hominibus« habe. Man sieht, welche Mühe es erfordert, wenn man auch nur an einem einzelnen Punkt mit dem Grundsatz Bengels Ernst machen will, dass die kleinste Partikel Goldes Gold sei, dass man aber nichts als Gold ausgeben dürfe was man nicht als solches erprobt habe (Introductio in crisin NT. § 1, p. 572).

2) Vielleicht ist es nicht unnütz an einigen Beispielen die Subjektivität innerer Kritik zu zeigen. Ich wähle dazu einige Fälle, die mir bei Bernh. Weiss aufgestossen sind. Nachdem er ein langes Gelehrtenleben der Erforschung des NT.s gewidmet, ist sein Schwanken um so lehrreicher. In der Jugend, die mit dem eignen und fremden Wort leicht fertig ist, hält man oft recht unwahrscheinliche Einfälle für sonnenklar, selbstevident, unwidersprechlich, die man nach wenigen. Jahren ganz anders ansieht. Bernh. Weiss schreibt also beispielsweise

zu ę 8,24 1891: »zu der Weglassung von Ti zaι (B. WH. txt.) ist gar
kein Grund ersichtlich«.

1896: 8,24 hat WH. txt. mit Recht die Worte Ti za nach
B fortgelassen.

zu

8, 34 1891:

[ocr errors]

»Das Ιησους hinter Χριστος ist zu streichen«<.
1896: >>Hier wird die Auslassung eine reine Nachlässigkeit

sein<<.

zu 10, 9 1891: »Bemerkenswert ist die Lesart von B Clem εav ouolo-
γησης το ρημα εν τω στοματι σου οτι κυριος Ιησους,
die wohl ursprünglich sein könnte«.

1896: »Das in B... nach oμoloynons eingeschaltete to oŋua
ist ganz gedankenlos als Objekt dazu aus V. 8
wiederholt. Ob schon vorher oder erst in Folge davon
das in xvolov Inoovv folgende Objekt nach dem Parallel-
satz in οτι κυριος Ιησους konformiert ist, lässt sich
nicht sagen«.

zu 12, 15 1891: »[es] ist das zaι wohl als Verbindungszeichen zu
streichen, wenn es auch vor zλa- aus Versehen aus-
gefallen sein kann«<.

1896: . . . »halte ich den Ausfall des xa vor xhauɛiv für

einen blossen Schreibfehler.

Um so wichtiger wäre es, sichere Grundsätze und Massstäbe für die Kritik zu haben.

3) Zur Litteratur vgl. vor allem v. Gebhardt (Urt. S. 16); Ed. Litteratur. Reuss, Geschichte der h. Schriften NT.8 Braunschweig 1887, § 351 ff. S. P. Tregelles, an introduction to the textual criticism of the NT. (= Vol. 4 von Horne's Introduction) 10 Lond. 1856, 14 1877. F. H. A. Scrivener (S. 9); ders., Adversaria critica sacra (ed. Miller), Cambr. 1893. B. F. W[estcott], The New Testament in W. Smith, a dictionary of the Bible. Vol. II. Lond. 1863, 506–534. C. E. Hammond, Outlines of textual criticism, applied to the NT., Oxf. 1872, 5 1890. Westcott-Hort (Bd. II, s. S. 23); B. B. Warfield, an Introduction to the textual criticism of the NT. New York 1887, Lond. 1893. J. W. Burgon, the last twelve verses of the Gospel according to St. Mark vindicated against recent critical objectors and established, Oxf. & Lond. 1871; ders., The Traditional text of the holy Gospels vindicated and established, ed. by Edw. Miller. Lond. 1896; ders., The causes of the corruption of the traditional text of the holy Gospels, ed. by Edw. Miller, Lond. Cambr. 1896. The Oxford Debate on the Textual Criticism of the New Testament held at New College on May 6, 1897. With a Preface [von Ed. Miller] explanatory of the Rival Systems. London G. Bell (Oxf. Cambr.) 1897, XVI. 43. Edw. Miller, the Present State (s. S. 120).

J. P. P. Martin, introduction à la critique textuelle du NT.

Evangelien.

T.1-5. Paris 1884-86 (autogr.); ders., Description technique des mss. grecs rel. au NT. conservés à Paris 1884. 4o; ders., Les plus anciens mss. grecs du NT., leur origine, leur véritable caractère (in Rev. des quest. hist. 1884, n. 71, p. 62—109); ders., Origène et la critique textuelle du NT. Paris (Extrait de la Rev. des quest. hist. Janv. 1885, n. 73, p. 5—62).

Zahn, Theod., Geschichte des Neutestamentlichen Kanons. Erlangen, Deichert. Erster Band. Das NT. vor Origenes. Erste Hälfte 1888. Zweite Hälfte 1889, zus. 968 SS. Zweiter Band: Urkunden und Belege zum ersten und dritten Band. Erste Hälfte 1890. Zweite Hälfte 1892, zus. 1022 SS. (Dritter Teil noch nicht erschienen; in Teil II über Ordnung der nt.lichen Bücher S. 343 ff., den Schluss von μ S. 910 ff., etc.)

George Salmon, Some Thoughts on the textual criticism of the New Testament. London, Murray 1897. XV. 162. Fr. Blass, Philology of the Gospels, London, Macmillan 1898. VIII. 250.

Ada Bryson, Recent Literature on the text of the NT. (The Expository Times X, 7. April 1899, 294-300).

2) Wenn es den Versuch gilt mit Hilfe der bisher geschilderten Materialien den Text des NT.s möglichst in seinem ursprünglichen Wortlaut herzustellen, muss man vor allem im Auge behalten, dass das NT., wie es uns heute vorliegt, nicht ein einheitliches Ganze ist, sondern aus 27 einzelnen jetzt in 5 Gruppen zusammengefassten Schriftstücken besteht, von denen fast jedes einzelne Stück und jede einzelne Gruppe eine eigene Geschichte gehabt hat. Die verwickeltste vielleicht diejenige Gruppe die jetzt das NT. eröffnet, die Evangelien.

Es ist völlig unsicher, wann zuerst unsere vier Evangelien in einen Band zusammengeschrieben und in die jetzt herrschende Reihe gebracht worden sind. Der im Eingang defekte, sogenannte muratorische Kanon scheint sie vorauszusetzen 1); man nahm an, dass die Evv. in dieser Folge geschrieben seien: M zuerst, zuletzt; herrschend ist diese fast durch alle griechischen und syrischen Hdschrr. vertretene Ordnung Muλ durch Eusebius und Hieronymus geworden, da jener sie den canones zu grunde

1) Am bequemsten zugänglich bei Erwin Preuschen, Analecta. Kürzere Texte zur Geschichte der alten Kirche und des Kanons. (Achtes Heft von G. Krügers Sammlung ausgewählter kirchen- und dogmengeschichtlicher Quellenschriften, Freib. & Leipz. 1893.) S. 129-137.

139. 142.

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