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Disputatio

contra scholasticam theologiam.

1517.

Aristoteles beherrschte die Theologie des späteren Mittelalters: er mußte entthront werden, sollte die neue Richtung des Glaubens durchdringen. Klaren Blickes erkannte dies Luther, mit kühnem Muthe griff er an. Schon 1514 meinte er, was jener sachlich Wahres gesagt, sei gestohlen. Seine Abneigung gegen den Philosophen war mit seiner Vertiefung in die Theologie, die „den Kern der Nuß und das Mark der Knochen erforscht", nur gewachsen. Anfang 1517 erklärte er, wenn Aristoteles nicht Fleisch gewesen, so würde er ihn für den Teufel halten. Aber er hoffte, dessen Reich bald wüste gelassen zu sehen. Darauf wollte er hin= wirken namentlich durch einen Commentar zum ersten Buch der Aristotelischen Physik: er wollte dem Gaukler, der so lange die Kirche genarrt, die Maske abreißen und ihn aller Welt in seiner Schande zeigen. Dies Werk ist wahrscheinlich unvoll= endet geblieben: nicht einen Buchstaben kennen wir davon; aber als einen Ausfluß der Studien dazu dürfen wir die nachfolgenden Thesen betrachten.

Bestimmt waren unsere Säße für die Disputation in Wittenberg am 4. September 1517, in welcher Franz Günther aus Nordhausen, ein auch nachmals für die Sache des Evangeliums hervorgetretener Mann, sie unter Luthers Vorsitz vertheidigen sollte, um die Würde eines biblischen Baccalaureus zu erwerben. Verfaßt sind sie früher, doch nicht vor dem 21. August, da erst an diesem Tage die Disputation beschlossen ward. Luther verschickte diese Thesen, ohne Zweifel gedruckt, zunächst nach Erfurt. Er war gespannt, was man hier dazu sagen. würde, wußte aber bei der dort herrschenden Richtung das Urtheil voraus. fiel denn auch sehr mißgünstig aus: er sei zu vermessen, zu hochfahrend in seinen Behauptungen, hieß es, verdamme zu leicht Anderer Meinungen. Es waren eben. in der Scholastik ergraute Männer, deren Spruch wir vernehmen, erstarrt in ihren Formen, die durch Aufnahme des neuen Geistes in Luthers Thesen gesprengt worden wären. Entgegengesetzt war die Wirkung in den Kreisen jüngerer Gelehrten. Hier hatte man das Joch des Aristoteles gefühlt und erblickte in Luthers Auftreten eine befreiende That. In Wittenberg fanden die Thesen allgemeinen Beifall: uno

consensu Dominorum ward ihrem Vertheidiger die erstrebte Würde zuerkannt. Christoph Scheurl in Nürnberg, dem sie Luther erst nach gehaltener Disputation gesandt hatte, war nun überzeugt, daß man ohne Aristoteles ein christlicher Theologe werden könne; er verkündete prophetisch eine große Umwälzung der theologischen Studien, ja seinen Brief an Luther vom 4. November 1517 begann er, die Reformation und den Reformator vorahnend, statt der gewöhnlichen Grußformel mit dem Saße: Christi theologiam restaurare! Von unsern Thesen insonderheit gilt, was Köstlin von Luthers Angriffen auf Aristoteles überhaupt sagt, daß er damit das ganze Fundament und Gerüste der mittelalterlichen Wissenschaft zu erschüttern gewagt; mit ihnen führte er, wie Plitt sich ausdrückt, einen „Entscheidungsschlag".

Vgl. hier S. 28. De W. I S. 6. 15 f. (Brief an Joh. Lang vom 8. Februar 1517). Decem praecepta Wittenbergensi praedicata populo 1518 zum 8. Gebot (im Januar 1517 gepredigt). Liber Decanorum ed. Foerstemann S. 20. De W. 1 S. 60. 72. Scheurl's Briefbuch II S. 25-27. 35 f. Jürgens III S. 311 ff. Köstlin I S. 135 f. 137 f. Plitt, D. Martin Luthers Leben und Wirken, Leipzig 1883. S. 69.

Ausgaben.

A. Infignium theologorum Domini Martini Lutheri, Domini Andree Ca-
roloftadii, Philippi Melanchthonis, et aliorum, conclufiones varie,
pro diuine gratie defenfione ac commendatione: contra fcolafticos
et pelagianos: difputate in preclara academia Vvittenbergenfi. Lege
Lector et afficieris, verfa facie catalogum inuenies. Mit Titel-
einfassung. Titelrückseite bedruckt. 12 Blätter in Quart. S. 3-7.
B. PROPO= || SICIONES A MARTI. || LVTHERO SVBIN || DE DISPV= ||
TATAE. Mit Titeleinfassung. Titelrückseite bedruckt. 40 Blätter
in Oktav, letzte Seite leer. Auf der vorletzten Seite nur ein Holz-
schnitt und darunter: IMPRESSVM VVITE= || bergæ per Iofephum
Clug Anno. | A. [sic] D, XXX, Bl. B 8b-Cvb.

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Holzschnitt: Ein geflügelter Knabe, in der einen Hand eiren Stock, in der andern eine Rübe haltend, reitet auf einem Drachen.

C. PROPO= || SITIONES A MARTINO || LˇTHERO SVBINDE || DISPVTATAE. || ADDITAE SVNT QVAE= || DAM, QVAE IN PRI= || ORE EDITIONE DESIDERAN= || TVR. || VITEBERGAE IN AEDIBVS || IOSEPHI CLVG. || ANNO M. D. XXXI. || 56 Blätter in Oktav, die drei lehten Seiten leer. Am Ende: IMPRESSVM VITEBERGAE || per lofephum Clug. | M. D. XXXI. | BI. Ca-Cvb.

D. D. MARTI || NI LVTHERI, CON | TRA PORTENTOSAS QVASDAM, || et Antinomicas Pofitiones, inter Fratres | fparfas, de uera Ponitentia, hoc anno XXXVIII. edita | Difputationes qua- || tuor. | HIS ADIVNXIMVS, || PROPOSITIONES AB EODEM || D. MART. LVTHERO ante annos aliquot, elucidandæ ueritatis gratia || publicè difputatas. || BASILEAE || M.D.XXXVIII. ||* Auf der Titelrückseite das Vorwort des Herausgebers Oswald Myconius. 59 Blätter in Oktav. Am Ende: BASILEAE PER THOMAM PLATTERVM, MENSE MARTIO.|| Anno M.D.XXXVIII. * BI. D 2a—D 6a.

E. Der hier S. 143 unter A beschriebene Druck der Propositiones D. Mart. Luth. Vitembergae. M. D. XXXVIII. und der ebenda unter B folgende, welche beide vollkommen übereinstimmen. Bl. B 8 ь — C 5 a.

F. Der hier S. 143 unter C beschriebene Druck der Propositiones theologicae. reverendorum virorum D. Mart. Luth. et D. Philippi Melanth. Witebergae. 1558. BI. C 2b-C 7.

Ein Einzeldruck von unsern Thesen ist nicht bekannt; sicher aber sind sie ursprünglich in Plakatform erschienen. Ausgabe A hat uns nicht vorgelegen: wir haben sie nach Riederer, Nachrichten IV S. 53. 55 ff., beschrieben; sie wird dort in das Jahr 1520 gesezt. In ihr sind unsere Säße überschrieben: „Sequuntur centum conclufiones de gratia et natura. D. M. L." Dies hat im Original offenbar nicht gestanden. Dagegen zeugt in B die überschrift für einen genauen Anschluß an den Urdruck. C hat sich nach B gerichtet, den Text nur da gebessert, wo sich dies aufdrängte, an andern Stellen ihn verschlechtert. Auf C beruhen D und E; lettere Ausgabe hat aber einige Abweichungen, die Nachdenken beim Abdrud befunden. F stützt sich auf E, mehrt jedoch die Fehler und hat aus der Wittenberger Gesammtausgabe zwei Randanmerkungen in den Tert aufgenommen.

In den Sammlungen der Werke Luthers finden sich unsere Thesen lateinisch Witebergae 1545 I BI. LV— LVII. Jenae 1556. I B. IX-XI. Löscher I G. 540-545. Erlangae, Opp. lat. var. arg. I S. 315-321. Der Wittenberger Ausgabe liegt E zu Grunde, der Jenaer die Wittenberger, Löschers Reformations= akten die Jenaer; in der Erlanger ist bisweilen auf B zurückgegangen, aber ohne kritisches Bewußtsein, da sie jeder ihrer Vorlagen einmal den Vorzug giebt. Deutsch lesen wir die Säge in dem sog. Halleschen Theil S. 87-89, in der Leipziger Ausgabe Th. XVII S. 143–146 und bei Walch XVIII Sp. 6-14.

Wir bieten den Tert von B, dem wir auch folgen würden, wenn uns A vorläge, berücksichtigen aber die anderen Ausgaben, welche wir oben besonders aufgeführt haben. In B können nur 97 Säße gezählt werden: der Schluß ist keine These mehr, sondern eine bei den Disputationen jener Zeit übliche Formel. Nume= rirt sind sie in B, C und E nicht; wir thun es nach dem Vorgange von D und F sowie aller Gesammtausgaben. Wenn in D 98 Säße erscheinen, so liegt dies darin, daß der Schluß verkehrter Weise mitgerechnet ist. Dies ist auch in F und den Gesammtausgaben der Fall, die dadurch, daß sie unsere These 55 gespalten haben, es auf die Zahl 99 gebracht. Wie nun A gar 100 Säße erhält, darüber giebt Riederer keine Auskunft.

Unsere Überschrift vor der Einleitung haben wir der Jenaer Ausgabe ent= lehnt, welche die Thesen im Register so aufführt; sie schien uns bezeichnender als die, welche sich hätte aus A entnehmen lassen.

=

Erklärung einiger Abkürzungen: Contra Sco. Contra Scotum,
Contra communem

=

=

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Contra Gab. Contra Gabrielem [Biel], Contra com. fere
fere, Contra Card. oder Contra Card. Ca.
[Pierre d' Ailly].

Ad subscriptas conclusiones

respondebit Magister Franciscus Guntherus
Nordhusensis pro Biblia, Praesidente Reveren-
do patre Martino Luthero Augustiniano, Sa-
crae Theologiae Vuittenberg. Decano, loco et
tempore statuendis.

1. Dicere, quod Augustinus contra haereticos excessive loquatur, Est dicere, Augustinum fere ubique mentitum esse. Contra dictum commune.

2. Idem est Pelagianis et omnibus haereticis tribuere occasionem triumphandi, immo victoriam.

3. Et idem est omnium ecclesiasticorum doctorum authoritatem illusioni exponere.

4. Veritas itaque est quod homo arbor mala factus non potest nisi malum velle et facere.

5

10

5. Falsitas est quod appetitus liber potest in utrunque oppositorum, 15 immo nec liber sed captivus est. Contra communem.

6. Falsitas est quod voluntas possit se conformare dictamini recto naturaliter. contra Sco. Gab.

7. Sed necessario elicit actum difformem et malum sine gratia dei. 8. Nec ideo sequitur, quod sit naturaliter mala, id est, natura mali, 20 secundum Manicheos.

9. Est tamen naturaliter et inevitabiliter mala et viciata natura. 10. Conceditur, quod voluntas non est libera ad tendendum in quodlibet secundum rationem boni sibi ostensum. Contra Sco. Gab.

11. Nec est in potestate eius velle et nolle quodlibet ostensum. 12. Nec sic dicere est contra B. Augustinum dicentem: Nihil est ita in potestate voluntatis sicut ipsa voluntas.

13. Absurdissima est consequentia: homo errans potest diligere creaturam super omnia, ergo et deum. Contra Sco. Gab.

25

14. Nec est mirum, quod potest se conformare dictamini erroneo et 30

non recto.

15. Immo hoc ei proprium est, ut tantummodo erroneo sese conformet et non recto.

16. Illa potius est consequentia: homo errans potest diligere creaturam, ergo impossibile est ut diligat deum.

3 Bibliis D 5 Vittenberg. C Viteberg. D Vittembergae EF 15 appetius F

8 mentium F

35

35

10

15

20

5

17. Non potest homo naturaliter velle deum esse deum, Immo vellet se esse deum et deum non esse deum.

18. Diligere deum super omnia naturaliter Est terminus fictus, sicut Chimera. Contra com. fere.

19. Nec valet ratio Scoti de forti politico rempublicam plusquam seipsum diligente.

20. Actus amicitiae non est naturae, sed gratiae praevenientis. Contra Gab.

21. Non est in natura nisi actus concupiscentiae erga deum.

22. Omnis actus concupiscentiae erga deum est malum et fornicatio spiritus. 23. Nec est verum quod actus concupiscentiae possit ordinari per virtutem spei. Contra Gab.

24. Quia spes non est contra charitatem, quae solum quae dei sunt querit et cupit.

25. Spes non venit ex meritis, sed ex passionibus merita destruentibus. Contra usum multorum.

26. Actus amiciciae non est perfectissimus modus faciendi quod est in se, Nec est dispositio perfectissima ad gratiam Dei aut modus convertendi et appropinquandi ad Deum.

27. Sed est actus iam perfectae conversionis, tempore et natura posterior gratia.

Jac. 4, 8.

28. Illae authoritates: Convertimini ad me, et convertar ad vos, Item: Sach. 1, 3. appropinquate deo et appropinquabit vobis, Item: Quaerite et invenietis, Matth. 7, 7. Item: Si quaesieritis me, inveniar a vobis, et iis similes, si dicantur, quod Jer. 29, 13 f. 25 unum naturae, alterum gratiae sit, nihil aliud quam quod pelagiani dixerunt asseritur.

29. Optima et infallibilis ad gratiam praeparatio et unica dispositio est aeterna dei electio et praedestinatio.

30. Ex parte autem hominis nihil nisi indispositio, immo rebellio

30 gratiae gratiam praecedit.

31. Vanissimo commento dicitur: praedestinatus potest damnari in sensu diviso, Sed non in composito. Contra Scholast.

32. Nihil quoque efficitur per illud dictum: praedestinatio est necessaria necessitate consequentiae, Sed non consequentis.

33. Falsum et illud est, quod facere quod est in se sit removere obstacula gratiae. Contra quosdam.

34. Breviter, Nec rectum dictamen habet natura nec bonam voluntatem. 35. Non est verum quod ignorantia invincibilis a toto excusat. Contra omnes scholast.1

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1) Sat 35 erläutert Luther in seinem Briefe an G. Spalatin vom 11. November 1517 (De W. I S. 74 f. vgl. S. 81) und kommt zu dem Schluß: Idcirco verum non est, quod Luthers Werte I.

15

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